Dushan-Wegner

26.03.2018

Widersteht dem Zynismus!

von Dushan Wegner, Lesezeit 10 Minuten
Es war, wieder, ein Wochenende der blutigen Messer. Man könnte sich dem Zynismus hingeben. Bitte tun Sie es nicht! Hier ist mein Plädoyer GEGEN das Gift des Zynismus.
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Es ist Montag, der 26. März 2018. Deutschland hat ein weiteres Wochenende der scharfen Messer hinter sich gebracht. BILD-Journalisten dokumentieren es. Tagesschau-Angestellte verharmlosen es. Wieder liegen Menschen im Krankenhaus und werden den Rest ihres Lebens mit Narben leben müssen.

Ähnliches habe ich vor 2 Wochen geschrieben. Ich könnte es jede Woche schreiben in den Zeiten von Merkels neuer Republik. In Varianten – selbst der halb panische, halb mahnende Text muss ja angenehm zu lesen sein, das ist das Geschäft des Schreibers – in Varianten kann und muss ich es tun.

Kinder, die heute aufwachsen, könnten glauben, in Deutschland sei Messergewalt und Angst schon immer Teil des Alltags gewesen. Arme Kinder. Nein, war es nicht! Der Account @Zahlensammler hat eine Grafik zusammengestellt mit dem Anstieg der Nennung von »Messer« in Polizeimeldungen.

Ich gehe von einer nicht unerheblichen Dunkelziffer aus, vor allem bei den Fällen, wo mit dem Messer »nur« gedroht wurde.

Vergessen wir nicht:

Erstens: Die Chefs der Polizeibehörden sind oft politische Beamte und werden von den Regierungen ein- und abgesetzt, stehen dadurch also (realistischerweise) unter Druck (oder sind von Natur aus so veranlagt), Parteilinie (neudeutsch: »Haltung«) an den Tag zu legen. (Dies wird oft kritisiert, weitgehend ergebnislos.) Es ist sicher nicht so systematisch wie etwa gelegentlich in Schweden, aber auch in Deutschland gab es in der Vergangenheit durchaus Vorwürfe, dass Polizei-Meldungen aus Gründen politischer Korrektheit unterblieben. Auch die Presseleute der Polizei, kann man nach aller Lebenserfahrung schließen, müssen in Einzelfällen die Wahrheit politisch korrekt verpacken – und da kann schon mal das Wort »Messer« entfallen. (Die Gewerkschaft der Polizei fordert, Messerangriffe statistisch zu erfassen; in NRW will man es tun – ab 2019, nur keine Eile!)

Zweitens: Schon Jahre vor der Flüchtlingskrise merkte ich etwa einen Trend, Vorfälle gar nicht erst anzuzeigen – auch weil es technisch nichts anzuzeigen gab. Beispiel: Wenn die bekannte »Gruppe junger Männer« durch eine U-Bahn-Station oder Stadtstraße zieht, zufällige Passanten bedrohend und anpöbelnd, wird das ja nicht von der Polizei erfasst, senkt aber das Sicherheitsgefühl massiv. Während das Bedrohen mit einer Pistole wohl ein Fall für die Polizei wäre, wird die Bedrohung mit einem Messer nicht erfasst.

Gespött, Häme, Hohn

Wie hat man als Mensch und Bürger damit umzugehen? – Ich schreibe die folgenden Zeilen auch und zuerst als (Er-) Mahnung an mich selbst.

Lasst uns nicht zynisch werden!

Zuerst: Was ist »Zynismus«? – Eigentlich kommt es vom griechischen »κύων«, was Hund bedeutet. Der Kynismus war eine griechische Philosophieschule. Man kleidete sich besonders schlicht und lebte die Bedürfnislosigkeit. Man nahm Ethik und die Naturnähe sehr ernst.

Heute bedeutet »Zynismus« etwas anderes. Heute gilt Zynismus als etwas Schlechtes. Es gibt kaum eine menschliche Eigenschaft, die ich mehr verachte, als Zynismus. (Und damit meine ich nicht Harald Schmidt, doch dazu später.)

Der Duden schlägt als Synonyme für den Zynismus vor: »Boshaftigkeit, Gespött, Häme, Hohn, Ironie, Spöttelei, Spötterei, Spott[lust], Stichelei, Verspottung; (bildungssprachlich) Sarkasmus; (veraltend) Malice«

Das ist alles nicht falsch, doch ich sehe es als meine Schreiber-Pflicht an, genau anzugeben, was ich meine, wenn ich vom Zynismus rede.

Meine Definition von Zynismus: Ein Zyniker ist ein Mensch, der sich im Bösen einrichtet. (Entsprechend: Zynismus ist, sich im Bösen einzurichten.)

Das ist alles, das genügt mir – ich führe es Ihnen gern vor.

Harald Schmidt ist gescheitert

Harald Schmidt galt in Deutschlands besserer Zeit als der Zyniker vom Dienst. In seiner Late Night Show spöttelte er über die Mächtigen und die Doofen. Seine Rolle war die des erdverbundenen Bildungsbürgers und des gutverdienenden Weltverächters.

Schmidt war und ist praktisch das Gegenteil heutiger GEZ-Comedians. Schmidt war ein öffentlicher Denker, der tat, als wäre er Zyniker – heutige TV-Propagandisten sind Zyniker, die tun, als wären sie Comedians. Schmidt trat nach oben, gegen die Reichen und Mächtigen, heutige ZDF-Comedians treten nach unten, gegen die Verängstigten und Abweichler.

Harald Schmidt ist gescheitert … please let me explain! Natürlich – vermute ich – hatte Schmidt kein Ziel in seinem Schaffen. Ein öffentlicher Denker denkt eben öffentlich, so wie ein Bäcker seine Brötchen backt and feilbietet. Das Ziel eines Bäckers, wenn er so eines hätte, wäre doch immer nur das Brot und die Brötchen des jeweils nächsten Tages. Das Ziel des öffentlichen Denkers ist der jeweils nächste Gedanke.

Auch wenn der Arbeiter kein erklärtes Ziel hat, kann noch immer seine Arbeit selbst eine Richtung haben, und diese Richtung lässt sich durchaus von außen beobachten und unter Umständen kann man ihr einen Zielpunkt zuschreiben.

Schmidts Zynismus, ob gespielt oder nicht, nutzte das Kabarett und die Late Night Show (oder wie auch immer man das Witzemachen gerade nennt), also das Uneigentliche. Schmidt gab den Zyniker, und darin war als Richtung hineincodiert, die Welt außerhalb der Bühne möge bitte nicht so zynisch sein wie er es vorspielte.

Harald Schmidt deutete das Weltgeschehen »zynisch«, doch wenn er etwa die FDP oder die Hausfinanzierung von Schröder erklärte, so schwang darin immer auch (unsere) Hoffnung mit, dass die Welt doch nicht so böse ist, wie der Witzemacher es humorvoll darstellte. Wir hatten das Gefühl, dass sein Zynismus uneigentlich war, dass er sich nicht wirklich im und mit dem Bösen eingerichtet hatte, dass er dieses Eingerichtet-Sein im Bösen nur spielte.

Schmidts letzte Show lief bei Sky bis 2014, auf SAT1 davor zuletzt von 2011 bis 2012.

Doch, sein Zynismus war zuletzt nicht mehr »lustig«.

Was war geschehen?

Die Welt hatte sich verändert, Deutschland war ein anderes geworden.

2005 kam Merkel an die Macht. 2008 war die letzte große Finanzkrise und 2010 begann die Griechenlandkrise. In der Finanzkrise wurde der Zynismus (also Einrichtung im Bösen) der US-Banken deutlich, in dem Ignorieren von Zusagen an den deutschen Wähler (Kein Land kommt für die Schulden eines anderen Landes auf) bei der griechischen Schuldenkrise wurde der pragmatische Zynismus deutscher Politik deutlich. Diese Tendenz aber, wonach Wahrheit und Moral nur der Karren sind, auf den man nach Bedarf und bis zur nächsten Ecke aufspringt, diese buchstäblich un-verschämte Einrichtung im Falschen, und später wohl auch im Gesetzesbruch, diese Tendenz war schon vorher spürbar gewesen.

Ich glaube nicht, dass Schmidt ein Ziel hatte oder hat, aber er hatte eine Richtung, in welche er »zielte«. Schmidt schien darauf hinzuarbeiten, uns und die ganze Bundesrepublik gegen den Zynismus zu immunisieren, indem er ihn in kleinen Dosen, als Impfung quasi, abendlich reichte. In der Immunisierung des Landes gegen den Zynismus ist Harald Schmidt gescheitert.

Sie, die Sie Harald Schmidt noch aus dem Fernsehen kennen, stellen Sie sich doch bitte vor, Schmidt hätte nach einem Terroranschlag in seinem Standup folgenden Spruch gebracht: »Schlimm, diese Toten, so zerfetzt in der Straße verteilt, aber Sie müssen bedenken, auch daheim bei Badezimmer-Unfällen kann man sterben!«

Oh, das wäre eine große Empörung gewesen! Wie kann man nur so menschenverachtend zynisch sein?!

Jener Zynismus, den Schmidt noch als uneigentlicher Witzemacher gespielt hätte, ist heute verwunderliche Realität.

Eines von vielen Zitaten:

So grausam jeder dieser Morde ist, es gibt Gefährlicheres. Allein in Deutschland sterben pro Jahr über 500 Leute an einer Fischgräte.

Ich habe dieses Beispiel-Zitat, als Zitat, einem Artikel von Rainer Mayer entnommen. (Auch er wurde jetzt gegangen, zumindest als Blogger bei der FAZ, bleibt aber wohl nicht arbeitslos.)

Ein Clown, der über seine Füße stolpert, wäre nicht mehr lustig, wenn es auf einmal als normal und anerkannt gälte, über die eigenen Füße zu stolpern. Wenn wir alle über unsere Füße stolpern und nichts dabei finden, dann wird der über seine Füße stolpernde Clown arbeitslos.

Was bei Harald Schmidt noch öffentliche Persona war, ist heute schulterzuckende Realität: Zynismus als Einrichtung im Bösen wurde, um ein Wort aus dem Lexikon der Empörten zu verwenden, normalisiert.

Gut gelaunt bergab

Es war nicht nur ein Wochenende der blutigen Messer, es war auch das Wochenende der Demonstrationen in Kandel.

Es war zur Demonstration aufgerufen worden, anlässlich der Ermordung einer 15-Jährigen durch einen wohl ca. 20-jährigen »unbegleiteten minderjährigen Flüchtling«. Die Tat geschah am 17. Dezember 2017 und das Tatwerkzeug war ein 20 Zentimeter langes Brotmesser. (Zwei Texte in dem Kontext: »Seid’s ihr völlig deppert?« und »Angst ist ein Stück Lebenskraft«)

Völlig zu recht verstanden die Regierenden diese Demonstrationen auch als Kritik an ihrer Politik, die bestehendes Recht aufhebt und Menschen ohne Papiere und Kontrolle ins Land lässt. Also wurde zu Gegendemonstrationen aufgerufen – und wo Kritik an der Regierung laut wird, da sind in letzter Zeit die Gegendemonstranten und die Schläger der Antifa nicht weit.

Malu Dreyer (SPD), Vorsitzende des ZDF-Verwaltungsrats und  Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, verbreitete via Facebook eine an FakeNews grenzende Halbwahrheit:

Danke #Kandel! Ich bin stolz auf euch alle, die heute hier her gekommen sind, um friedlich gegen Hass und rechte Hetze zu demonstrieren. Das ist ein starkes Zeichen!
via facebook

Während die auch politisch aktive ZDF-Dame ihr recht klares Freund-Feind-Schema ausbreitete, twitterte die Polizei, gewissermaßen ergänzend:

Unsere Kolleginnen und Kollegen vor Ort wurden von Personen des linken Spektrums angegriffen. Deshalb mussten wir Pfefferspray und Schlagstock einsetzen. Wir berichten weiter. #Kandel
@PP_Rheinpfalz, 24.3.2018

Während die politisch SPD-nahen Antifa-Trupps gegen Demokratie, Demokraten und die Polizei kämpften, erzählte die Politik und der Nennt-uns-nicht-Staatsfunk das Märchen von den friedlichen Gegendemonstranten. Die Wahrheit war wohl eher, dass sich zeitweise die Antifa-Schläger am Bahnhof aufgebaut hatten, um anreisende Bürger, die ihr Demonstrationsrecht nutzen wollten, einzuschüchtern und vom Aussteigen abzuhalten.

Doch, wer Zynismus in gruseliger Reinform erleben will, der wird seit einiger Zeit zuverlässig bei der SPD fündig.

Die SPD-Fraktion Rheinland Pfalz twitterte:

Kandel ist gut gelaunt, Kandel ist bunt, Kandel ist weltoffen! Auch viele Abgeordnete der @SPDFraktionRLP zeigen heute Gesicht gegen Fremdenfeindlichkeit. #WIRsindKandel
@SPDFraktionRLP, 24.3.2018

Betrachten Sie bitte den Kontext: Ein 15-jähriges Mädchen wurde von ihrem abgewiesenen Freund verfolgt und im Drogeriemarkt öffentlich mit mehreren Messerstichen ermordet. Es war der Stich ins Herz, der ihrem Leben ein Ende setzte. Zur Motivation für diesen Mord schien auf den ersten Blick beizutragen, dass für den Täter die Zurückweisung durch eine Frau eine so unvorstellbare wie vernichtende Schmach darstellt, was natürlich mit Sozialisation zusammenhängt. Ich bin selbst Vater einer Tochter. Eltern zu sein bedeutet, Tag für Tag zu bangen und zugleich für die Zukunft zu planen. Wo wird mein Kind mit 20 Jahren sein, mit 30 und 40? Alle Hoffnungen und Pläne haben sich für die Eltern des Mädchens erledigt. Es ist unvorstellbares Leid.

Die SPD aber hat »gute Laune«.

Selbst wenn man politische Differenzen zu einigen der Demo-Aufrufer hat, selbst wenn man der Meinung ist, der Mord würde »instrumentalisiert« – wer im Kontext einer solchen Tat »gute Laune« hat, hat sich im Bösen eingerichtet. Diese Leute tragen Herzchen und nennen sich »bunt«, doch ihr Handeln ist allzu oft seelenlos und ohne Empathie.

Sie rechnen brutale, blutige Morde auf gegen Senioren, die im Badezimmer ausrutschen. Sie rechnen Terror und Messergewalt, die unser Leben vergiften und unsere Freiheit einschränken, mit quersitzenden Fischgräten auf.

Es ist Zynismus.

Widerstand!

Zynismus bedeutet (für mich), sich im Bösen, der Lüge und der Verantwortungslosigkeit einzurichten. Zynismus bedeutet, fröhlich zu feixen während der Parteichef vom Terror berichtet. Zynismus bedeutet, ungeprüft Menschen aus den gefährlichsten Regionen der Welt auf die eigenen Bürger loszulassen, und dann zu sagen, »nun sind sie halt da«.

Ich will mich dem Zynismus widersetzen. Wer sich dem Zynismus hingibt und dann in den Spiegel schaut, was sieht er?

Es kann sein, dass uns als Einzelnen die Mittel oder die Kraft fehlen, selbst und in diesem Moment der Unwahrheit und der Gewalt zu widerstehen. Es kann sein, dass wir aus beruflichen Gründen den Mund halten – was nutzt Heldenmut, wenn man fürs Aussprechen der Wahrheit entlassen wird und dem Kind nicht mehr die Zahnspange bezahlen kann? Es kann sein, dass wir uns der Gefahr entziehen.

Doch niemals, niemals dürfen wir uns dem Zynismus hingeben. Unrecht bleibt Unrecht, auch wenn das Fernsehen es als »Haltung« verkauft. Gewalt bleibt Gewalt, auch wenn die Parteien »gute Laune« dabei haben.

Das nächste Wochenende wird kommen. Es wird passieren, was in der Wir-schaffen-das-Republik eben passiert. Die Krankenhäuser werden Wunden zunähen. Das Fernsehen wird uns beschwichtigen wollen, auf dass wir uns mit dem Bösen abfinden – Gewalt als neue Normalität.

Nein.

Zynismus ist der Selbstmord des Gewissens. Alles, buchstäblich alles ist besser, als zynisch zu werden.

Hoffnung und Zynismus schließen einander aus. Zynismus ist das Gegenteil von Hoffnung. Wer sich aber dem Zynismus verweigert, der hat den ersten Schritt zur Hoffnung getan.

Weiterschreiben, Wegner!

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