Dushan-Wegner

30.06.2024

Demokratie vs. »Zivilgesellschaft«

von Dushan Wegner, Lesezeit 5 Minuten
Deutsche Politik hetzt und wiegelt gegen Opposition auf – aber »distanziert« sich von Gewalt. So glaubwürdig, wie wenn einer Milch auf den Herd stellt, voll aufdreht … und sich dann vom Überkochen »distanziert«.
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Die schöne deutsche Stadt Essen ist Geburtsstadt von Otto von Bismarck und Heinz Rühmann, und damit auch ein würdiger Ort, um eine großpolitische Komödie wie einen Bundesparteitag abzuhalten. Ebendas tat dieses Wochenende die AfD, sprich: die im Bundestag inhaltlich einzige Oppositionspartei.

Auf diesem Parteitag wurde Tino Chrupalla als Co-Chef der AfD mit 82,7 Prozent der Stimmen (ohne Gegenkandidaten) bestätigt (welt.de, 29.06.2024). 

Die knapp 83 Prozent für Chrupalla sind eine bemerkenswerte Verbesserung gegenüber den 53 Prozent vor zwei Jahren in Riesa.

Chrupallas »Co-Chefin« Alice Weidel wurde mit 79,8 Prozent ebenfalls im Amt bestätigt.

Nebenbei: Ich finde es charmant, dass während die grünen und guten Untertanen brav die AfD hassen, diese derweil fast schon linksgrün schimmert, indem sie mit einer Männlein-Weiblein-Doppelspitze auftritt. Mit der bekennend Weidel und dem Handwerksmeister Chrupalla. Dessen Wortwahl zum persönlichen Wahlerfolg klingt fast schon linksgrün gefühlig: »Ich bin wirklich ein Stück weit überwältigt.«

Doch die braven Untertanen des deutschen Propagandastaates sind zu stramm programmiert, um solche Verwandtschaft zu merken. Also marschierten einige Tausend von ihnen in Essen auf, um das Ende der Opposition und damit das Ende der Demokratie zu fordern.

Die neueste Iteration

Ein »Bündnis« namens »Widersetzen« etwa wollte wohl Tausende »Blockierer« zu aktiven Blockaden aufwiegeln – tatsächlich versuchten sich nur einige hundert Spinner in diesem sehr direkten Angriff auf unter anderem Artikel 8 des Grundgesetzes (siehe welt.de, 29.06.2024). 

Bürger, die politisch werden und als solche der Regierung zu widersprechen wagen, werden in Deutschland bekanntlich als »Nazischweine« beschimpft, so auch in Essen (welt.de, 29.6.2024).

Es ist das immer gleiche Theaterstück. Essen ist Heimat des »Grillo-Theaters«, des »Theaters im Rathaus«, und – neben vielen weiteren Theatern – auch des traditionsreichen »Kleinen Theaters Essen«.

Dieses Wochenende führte aber die ganze Stadt Essen ein Theaterstück auf, und zwar die neueste Iteration eines modernen Klassikers. 

Politiknahe Vereine mit spannenden Geldflüssen riefen wieder einmal zu Aufmärschen auf. Zehntausende williger Schafe protestieren gegen das Recht politischer Minderheiten auf politische Vertretung, damit für das Ende demokratischer Wahlen und die Ächtung Andersdenkender.

Man forderte nicht nur das Verbot der Opposition, man versuchte auch, gleich selbst Fakten zu schaffen und die stattfindenden demokratischen Vorgänge zu verhindern.

Die Polizisten aber, die tapfer die Grundrechte auch der Andersdenkenden verteidigten, wurden von militanten Demokratiefeinden beschimpft und bedroht. »Pisser« war noch einer der milderen Ausdrücke, die sich die Beamten anhören mussten. Nach den mir vorliegenden Informationen wurden immerhin elf der Beamten bei Angriffen der »Guten« verletzt.

Natürlich werden sich die Altparteien offiziell von der politischen Gewalt distanzieren. Doch das ist so glaubwürdig, wie wenn einer einen Topf Milch auf den Herd stellt, die Hitze voll aufdreht, und sich dann kurz darauf vom Überkochen der Milch »distanziert«.

Mit einem »Aber« … 

Der berüchtigte NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst, der mir zumindest bislang nicht durch allzu überzeugende demokratische Gesinnung auffiel, sprach angesichts der demokratiefeindlichen Aufmärsche von einem »starken Zeichen« n-tv.de, 29.06.2024.

Der Politiker lobt das »starke Zeichen der Zivilgesellschaft« – und »Zivilgesellschaft« ist schon längst ein Code für politisches »Astroturf«, sprich: von oben organisierte und finanzierte Aufmärsche, auf denen die Interessen etablierter Parteien, internationalen Akteuren oder Konzernen eingefordert werden, während so getan wird, als hätten sich da spontan private Bürger zusammengefunden. Hadmut Danisch notiert auf danisch.de konkrete Hinweise auf zentrale und politiknahe Organisation der Proteste.

Politiker wie Hendrik Wüst verurteilen derweil routiniert gewaltsame Aktionen. Gewalt dürfe nie »das Mittel der Wahl sein«, so sagt der lupenreine Demokrat – eine Formulierung, die geradezu nach einem relativierenden Relativsatz schreit, der dann natürlich mit »aber« beginnt. 

Wirklich: eine Liste

Wogegen ist die AfD wirklich? Und wofür sind damit die, die gegen die AfD protestieren?

Nun, wir wissen es: Es ist das veränderte Deutschland, auf welches sich die andere ehemalige DDR-Propagandasekretärin zu freuen schien.

Ja, ich könnte an dieser Stelle das Leid der neuesten Messer- und Gewaltopfer schildern. Ich könnte wiederholen und neu betonen, dass das Blut der Opfer an den Händen der willigen Trottel klebt, die sich vom Propagandastaat zum Protest gegen Demokratie und Deutschland aufwiegeln lassen.

Ich will nur kurz eine Liste verlesen, welche ich von achgut.com, 28.6.2024 geborgt habe. Jener Text ist überschrieben »Ein Messer hier, ein Messer dort – kleine Chronik der letzten Tage«. Die darin erwähnten Städtenamen sind, hier alphabetisch geordnet: Baden-Baden, Bellheim, Berlin-Friedenau, Berlin-Mitte, Brandenburg an der Havel, Bremen, Dillingen/Saarland, Duisburg, Ernstweiler, Frankfurt, Fulda, Geesthacht, Gifhorn, Hamburg-Barmbek, Harthausen, Hof, Krefeld, Mannheim, Obersendling, Paderborn, Potsdam, Rendsburg, Siegen, Stuttgart, Velbert.

Es ist die neue deutsche Rundreise auf Messers Schneide. Die auf den Straßen von Essen finden das okay – die in der Halle nicht.

Halle oder Bühne

Vor einigen Wochen geriet der deutsche Propaganda-Apparat geradezu in gleißende Weißglut, als ein paar Deutsche auf Sylt von Sekt beschickert unter anderem »Deutschland den Deutschen« gesungen hatten. (Und dann sangen sie noch etwas anderes. Die Angelegenheit insgesamt aber bot einigen deutschen Lupenreinen erneuten Anlass, sich wieder einmal bis zur Kenntlichkeit zu entstellen.)

Doch zumindest um diese erste (und übrigens noch durchaus legale) Forderung – in einer verfeinerteren Form – geht es in Essen, ob in der großen Halle oder auf der Straßenbühne.

Ja vs. Nein

Es geht um die Frage, ob ein Land, ein Volk und eine Gesellschaft ihr eigenes Schicksal selbst und in freien Wahlen bestimmen dürfen. Die tagende Opposition sagt »Ja«, die blökenden Schafe sagen »Nein«.

Es war der in Essen geborene Otto von Bismarck, der uns bescheinigte: »Die Neigung, sich für fremde Nationalitäten und Nationalbestrebungen zu begeistern, auch dann, wenn dieselben nur auf Kosten des eignen Vaterlandes verwirklicht werden können, ist eine politische Krankheitsform, deren geografische Verbreitung leider auf Deutschland beschränkt ist.«

Wenn aber eine »Krankheitsform«, ob psychisch oder politisch, zum »neuen Normal« erklärt wird (womöglich mit Androhung einer Bestrafung, wenn man den nackten Kaiser nackt nennt), oder wenn das Irre eben als nicht-irre zu gelten hat, dann wird das Vernünftige und Anständige zu tun, »irre« genannt werden.

Eine eigene Meinung zu haben, den von oben kontrollierten Untertanen und willigen Schafen der »Zivilgesellschaft« zu widersprechen, all das gilt heute als »irrsinnig«.

Doch mir geht es heute so, wie es der in Essen geborene Heinz Rühmann in der Rolle des Dr. Johannes Pfeiffer im Film »Die Feuerzangenbowle« formulierte: »Ich habe mir schon immer mal gewünscht, mal etwas wirklich Irrsinniges zu tun.«

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