Dushan-Wegner

06.02.2019

Grund zur Verzweiflung, Grund zur Hoffnung

von Dushan Wegner, Lesezeit 7 Minuten, Bild von Stephen Walker
Trump motivierte gestern US-Demokraten und US-Republikaner, gemeinsam »USA! USA!« zu rufen – in Deutschland versuchen derweil Politiker, auch nur das Wort »Deutsche« zu vermeiden. – Was für ein schmerzhafter Kontrast!
Telegram
Facebook
𝕏 (Twitter)
WhatsApp

In den USA sehe ich zarten Grund zur Hoffnung, in Deutschland suche ich noch – helfen Sie mir dabei?

Trump hat nun doch seine State of the Union Address 2019 halten können, seine Ansprache zur Rede der Nation. Sogar CNN (siehe YouTube) bestätigte via Schnellumfrage, dass 82% der Zuschauer die Rede positiv bewertet, 59% sogar »sehr positiv«. Laut YouGov/cbsnews.com stimmten 76% der Zuschauer seiner Rede zu (»approve«), 97% der zuschauenden Republikaner stimmten zu, 82% der Unabhängigen (»Independents«) und sogar 30% der Democrat-nahen Zuschauer.

Die Zahlen zur Rede erscheinen mir hier inzwischen fast schon wichtiger als die Inhalte. Politische Reden sind immer ein Spiel von Talking Points und Relevanten Strukturen. Wir wissen, dass Trump wirklich gut ist in Talking Points, und wir wissen, welche relevanten Strukturen er bei Wählern anspricht – und welche nicht.

Eine Kostprobe, zunächst im englischen Original:

An amazing quality of life for all of our citizens is within our reach. We can make our communities safer, our families stronger, our culture richer, our faith deeper, and our Middle Class bigger and more prosperous than ever before. But we must reject the politics of revenge, resistance and retribution — and embrace the boundless potential of cooperation, compromise and the common good. (Donald Trump, SOTU 2019, via foxnews.com, 5.2.2019)

Ins Deutsche übertragen:

Eine großartige Lebensqualität für alle unsere Bürger ist in Reichweite. Wir können unsere Gemeinden sicherer machen, unsere Familien stärker, unsere Kultur reicher, unseren Glauben tiefer, und unseren Mittelstand größer und wohlhabender als jemals zuvor. Aber wir müssen die Politik der Rache, des Widerstands und Vergeltung ablehnen – und wir sollten das grenzenlose Potential zu Kooperation, Kompromissen und gemeinsamem Wohl annehmen.

(Anmerkung zur Sprache: Es ist geradezu dichterisch, wie Trump in der Ablehnung mit dem Stabreim »re« operiert – reject, revenge, etc. – und im positiven Appell dann mit dem Stabreim »co« – cooperation, compromise, common good.)

Trump listet die relevanten Strukturen der Konservativen auf (Familie, Gemeinschaft), in geradezu mathematischer Präzision. In sauberster Talking-Points-Technik zeigt Trump hier und an anderer Stelle auf, wie seine politischen Gegner maximal relevante Strukturen angreifen und beschädigen. In der zitierten Passage ruft er nach Einigkeit, und deutet so recht offen (und sachlich womöglich richtig) an, dass die US-Democrats es auf Spaltung und Gegnerschaft als Selbstzweck abgesehen haben.

An anderer Stelle der State of the Union Address spricht Trump von den »lebendigen, fühlenden, wunderschönen Babys«, die laut neuer New Yorker Gesetzgebung bis zu wenigen Momenten vor der Geburt »aus dem Schoß der Mutter gerissen« werden können, worüber New Yorker Politiker freudig jubelten (»cheered with delight«) – unabhängig vom Inhalt baut Trump sauberste Talking Points nach dem Muster »mir ist wichtig, was euch wichtig ist – die aber wollen zerstören, was uns wichtig ist« (SOTU-2019-Zitate via foxnews.com, 5.2.2019, ggf. meine Übertragung).

Doch, Trumps saubere Talking-Points-Arbeit erfreut mich eher professionell, ein anderer Aspekt aber gibt mir ganz persönlich Hoffnung.

Als Trump davon spricht, dass 58% der neu geschaffenen Jobs von Frauen besetzt wurden, dass mehr Frauen arbeiten denn je, und dass mehr Frauen denn je im US-Kongress sitzen, applaudieren auch die weißgekleideten Frauen der US-Democrats, und sie brechen kollektiv in »USA, USA«-Rufe aus (siehe z.B. bei youtube.com).

In der CDU derweil

Ashok-Alexander Sridharan ist CDU-Politiker und der aktuelle Oberbürgermeister der deutschen Nicht-Mehr-Hauptstadt.

Sridharan hat ein Interview mit der Welt jüngst mit diesen Worten abgeschlossen:

Ich werde großen Wert darauflegen, dass wir bei all unseren Überlegungen sowohl die Sorgen der Menschen berücksichtigen, die schon immer oder länger hier leben, als auch jener, die Migration kritisch sehen. (welt.de, 5.2.3019)

Interviews werden in Deutschland in der Regel autorisiert; der Interviewte kann also meist auch später das Gesagte korrigieren. Es ist davon auszugehen, dass dieses Schlusswort genau das ist, was Sridharan gesagt haben wollte; schauen wir es uns in einigen Details an!

Sridharan hat Merkels Diktion von den »Menschen, die schon immer oder länger hier leben« übernommen. Man spricht immer wieder nicht von Deutschen oder gar vom deutschen Volk, sondern reduziert die Bürger eines Landes auf eine zufällige und austauschbare Verwaltungsmasse.

Wir können nicht davon ausgehen, dass Merkels Formulierung damals nur der Lapsus einer von der deutschen Sprache herausgeforderten FdJ-Sekretärin war, der orwellsche Austausch von Begriffen scheint sich in der CDU zu etablieren.

Die Formulierung des Christdemokraten Sridharan verkleinert den Souverän, den Deutschen, der ihn gewählt hat, auf die Größe eines Bittstellers, der darauf hoffen muss, dass seine Sorgen »berücksichtigt« werden.

Wenn Sridharan die Sorgen der Deutschen berücksichtigen will, was tut er den Rest der Zeit? Wessen Auftrag erfüllt er, wem ist er Rechenschaft schuldig?

Stellen Sie sich ein Arbeitsverhältnis vor, in dem die Arbeiter dem Chef versprechen, in Zukunft die Sorgen des Chefs mehr zu »berücksichtigen« – entweder die Arbeitsverhältnisse oder das Unternehmen würden nicht lange bestehen.

Die Ein- und Auslassungen des Bonner CDU-Politikers sind mehr als eine rhetorische Entlarvung, und doch ist es mehr ein Symptom als das eigentlich Problem – das Problem ist nicht die eine Aussage eines Kommunalpolitikers, der sein Bestes gibt – das Problem ist eine politische Stimmung, in der solche eigentlich skandalösen Aussagen normal sind. Wieder gilt: Es ist ein Skandal, dass es kein Skandal ist. Es ist kaum ein demokratisches Land vorstellbar (außer vielleicht Schweden oder England, beides wahrlich keine Erfolgsmodelle), wo Politiker die Bürger derart zu Bittstellern reduzieren – und das ist kein Zeichen der Hoffnung.

Harmonische Nachbarschaft

Die größte politische Lüge unserer Zeit ist die Behauptung, sein Volk und sein Land zu lieben würde automatisch bedeuten, andere Länder und Völker hassen zu müssen.

Ich liebe meine Kinder mehr als irgendein anderes Kind, doch ich freue mich sehr, dass die Nachbarfamilie ihre Kinder liebt, und so bilden wir eine meist harmonische Nachbarschaft. Es ist mir vollständig unverständlich, warum die Liebe zu meinen Kindern in irgendeiner Form eine Abneigung gegenüber anderen Kindern erzwingen sollte.

Scherz-Frage: Merkel hat keine Kinder, aber wenn sie welche hätte, wie würde sie diese nennen? Antwort: »Heranwachsende, die schon länger in meinem Haushalt leben«. – Scherz-Ende.

Indem Politiker wie Merkel oder Sridharan in ihrer öffentlichen Sprache das Deutschsein – und damit gefühlt das Bürgersein – durch ein zufälliges »Dasein« ersetzen, reißen sie die Gesellschaft weiter auseinander.

Solange es Menschen gibt, will der Mensch ein Zuhause haben, und das Bedürfnis bleibt im Menschen, selbst wenn man seine Äußerung mit propagandistischer Gewalt unterdrücken wollte.

Hoffnung drüben

Am 7.11.2016, dem Tag vor der US-Wahl, schrieb ich den Text »Warum ich Trump wählen würde«.

Ich schloss den Text damals so:

Donald Trump steht für unterhaltsamen Wahnsinn, mehrfache Pleiten und die Überzeugung, dass »at the end of the day« Amerika und der American Dream noch immer »Rock’n’Roll« sind. – Amerikas Stärke wird ganz wesentlich gespeist vom Bild, das die Amerikaner von sich selbst haben. Die Welt braucht ein starkes Amerika. Trump wäre besser für das Selbstbild »normaler« Amerikaner. Deshalb würde ich Trump wählen.

Das Trumpsche Politikmodell ließe sich beschreiben als »Mein Land zuerst, plus freundschaftlich ehrliche Beziehungen zu den anderen, und: Deals! Deals! Deals!« – was ist denn das Gegenmodell?

Soll das merkelsche Modell besser sein, wo man mit orwellsch anmutendem »Kampf gegen Rechts« die Bürger davon abhalten muss, auf etwas zu bestehen, das in den anderen Ländern selbstverständlich ist? Soll es Frankreich sein, wo die Polizei erschreckend brutal gegen Demonstranten vorgeht? (siehe z.B. welt.de, 1.2.2019 (€): »Die tödlichen Waffen der französischen Polizei«) Soll es gar Schweden sein, mit seinen Islamisten-Hotspots und der Gewalt in den Vororten? (siehe z.B. heise.de, 19.1.2019, nzz.ch, 5.3.2018, bild.de, 14.8.2018)

Zu sagen, dass die globalistische, postnationale Wer-schon-länger-da-ist-Philosophie überlegen sei gegenüber der freundschaftlichen Nachbarschaft demokratischer Nationen, das bedeutet eben auch, dass man bereit ist, Leid in Kauf zu nehmen, um eine bestimmte Ideologie durchzusetzen –als hätte man nichts, aber auch gar nichts aus der Geschichte gelernt.

Hat sich denn jemals eine Ideologie durchsetzen können, welche ungerecht war, welche die Menschen gleichmachte und als auswechselbar betrachtete?

Hoffnung und Ratlosigkeit

Als US-Republikaner und US-Democrats gleichzeitig »USA, USA« riefen, ahnte ich, dass ich Recht behalten könnte: Trump könnte gut sein für das Selbstbild der Amerikaner. Es zeigen sich erste Risse in der Anti-Trump-Front.

Einzelne CDU-Politiker vermeiden inzwischen gelegentlich, auch nur von »Deutschen« zu sprechen – in den USA wird der Erfolg der amerikanischen Frauen als Erfolg der gesamten USA gefeiert.

Natürlich war der spontane Ausbruch von Gemeinsamkeit schnell wieder eingefangen. Die US-Democrats setzten bald wieder auf Spaltung und Beschimpfungen, aus der NYTimes-Ecke kam teils absurde (und falsche) Kritik (man ist müde, den Unsinn nachzuerzählen, schauen Sie ggf. selbst: @anniekarni/archiviert), doch für einen Moment, für einige wertvolle Sekunden, legten die US-Democrats ihren Hass beiseite und zeigten, dass irgendwo in einer Ecke ihres linken Herzens doch noch so etwas wie Stolz auf die USA steckt, eine Sehnsucht nach einer gemeinsamen Heimat für alle Amerikaner, und eben zuerst für die.

In den USA haben die Amerikaner für ein paar Sekunden ein Schimmern der Hoffnung gesehen, ein Aufbrechen linker Spalterei – in Deutschland dürfen die, »die schon immer oder länger hier leben« noch hoffen.

Sicher, es ist traurig, wenn die Hoffnung auf Vernunft und Miteinander am hellsten von anderswo her scheint, doch würden wir sie nur deshalb missen wollen? Nein!

Ein Licht von der anderen Seite des Atlantiks ist besser als gar kein Licht, viel besser.

Weiterschreiben, Wegner!

Danke fürs Lesen! Bitte bedenken Sie: Diese Arbeit (inzwischen 2,028 Essays) ist nur mit Ihrer Unterstützung möglich.

Wählen Sie bitte selbst:

Jahresbeitrag(entspr. 1€ pro Woche) 52€

Augen zu … und auf!

Auf /liste/ finden Sie alle Essays, oder lesen Sie einen zufälligen Essay:

Mit Freunden teilen

Telegram
Reddit
Facebook
WhatsApp
𝕏 (Twitter)
E-Mail

Wegner als Buch

alle Bücher /buecher/ →

Grund zur Verzweiflung, Grund zur Hoffnung

Darf ich Ihnen mailen, wenn es einen neuen Text hier gibt?
(Via Mailchimp, gratis und jederzeit mit 1 Klick abbestellbar – probieren Sie es einfach aus!)