Dushan-Wegner

21.01.2018

Würden Sie für Merkel sterben?

von Dushan Wegner, Lesezeit 7 Minuten, Bild: Daria Shevtsova (bearbeitet)
Jede politische Entscheidung hat Trade-Offs. Ob Autos oder Tabak, überall werden die Folgen debattiert. Nur bei »Willkommenspolitik« wird die Debatte niedergeschrien. Dadurch geht die Frage aber nicht weg!
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Eines Morgens wachen Sie aus unruhigen Träumen auf und stellen fest, Sie sind Staatschef geworden. Sie reißen sich also zusammen, nehmen die Macht an und arbeiten sich ins Regieren ein.

Ein Pudel kommt durch ihre Tür und bietet Ihnen als neuerwachtem Staatschef folgenden Deal an: Er wird die Wirtschaft in Ihrem Land fördern und das Umherreisen für einzelne Bürger komfortabler gestalten, doch dafür wird er jährlich 3.000 Menschen töten.

Würden Sie so einen Deal annehmen?

Nun, die gute Nachricht ist, dass die Zahl der »Verkehrstoten« in Deutschland seit Jahren zurückgeht. Die schlechte Nachricht ist, dass auch in diesem Jahr wohl etwa dreitausend Menschen im Straßenverkehr sterben werden.

Nicht dagegen

Keine Angst, ich setze hier nicht zu einem Plädoyer gegen den Individualverkehr an, nicht einmal zu einer Verteidigung von Tempo-Limits!

Mein Plädoyer ist ein anderes, ein übergreifenderes: Ich plädiere dafür, uns ehrlich bewusst zu machen, welche »Deals« Gesellschaften eingehen.

Die PKWs in Deutschland fahren, so lese ich, etwas über 600 Milliarden Kilometer im Jahr. Wären alle Verkehrstoten die Folge von PKW-Verkehr, könnten wir 600 Milliarden gefahrene Kilometer durch 3000 Tote teilen und kämen auf 1 Toten pro 200 Millionen gefahrene Kilometer. Diese Rechnung stimmt zwar so nicht genau(weil wir LKWs außer Acht lassen, et cetera), doch die Dimension sollte grob hinkommen.

Die Ratio der Ratio

Was ist eigentlich die Grenze, ab der eine Gesellschaft nicht hinnehmen würde, dass Menschen durch Autoverkehr sterben?

Wenn 1 Toter auf 200 Millionen gefahrene Kilometer tolerabel ist, dann würde wohl auch 1 Toter auf 190 Millionen gefahrene Kilometer hinzunehmen sein – oder auf 180 Millionen Kilometer.

1 Toter auf nur hundert gefahrene Kilometer, oder auch nur auf tausend oder zehntausend, das würde dagegen wohl deutlich kritischer gesehen; das würde eine Gesellschaft nicht akzeptieren (hoffe ich).

Wir verbieten Betrunkenen das Autofahren, weil sie die Tote-pro-Kilometer-Ratio allzu stark hochziehen. Wir erlauben dagegen das Essen und Rauchen am Steuer, weil die geringe (denkbare) Steigerung der Tote-pro-Kilometer-Ratio vernachlässigbar oder zumindest hinnehmbar scheint.

Die Frage ist nicht ob es Tote durch Individual- und Lieferverkehr gibt oder ob wir diese Toten akzeptieren. Es gibt sie und wir akzeptieren sie. Die Frage ist, wie viele es gibt und wie viele wir als Gesellschaft akzeptieren. Es scheint, dass Deutschland mit den etwas über 3000 Toten auf etwas über 600 Milliarden gefahrener PKW-Kilometer ganz gut schlafen kann (betrachten Sie, wie gesagt, die Zahlen symbolisch – es kommen weitere Faktoren hinzu).

Mathematik mit großen Zahlen

Der Unterschied zwischen geringem Risiko und einzukalkulierenden Toten ist die Anzahl der Beteiligten.

Wenn es eine Wahrscheinlichkeit von eins-zu-eine-Million gibt, dass ich bei einer Handlung umkomme, dann ist es für mich, als Einzelnen, »praktisch ausgeschlossen«. Wenn dieselbe Handlung allerdings von achtzig Millionen Menschen durchgeführt wird, sollten wir mit achtzig Toten rechnen – das ist es ja, was das »eins-zu-eine-Million«-Risiko bedeutet. Das Individuum darf das eins-zu-eine-Million-Risiko belächeln, die Gesellschaft aber sollte Särge bereitstellen.

Ausklammerndes Intermezzo

Der Spiegel schreibt von »Merkels Aufschwung«. Roger Köppel durfte in der Welt von »Merkels Wirtschaft« reden. Die CDU wird nicht müde, zu versichern, dass es dem Land gut gehe, »unter Merkel«.

Ich will an dieser Stelle eher nicht in die Debatte einsteigen, warum es zwar edel und gut sei, Merkel alles Positive, was im Land geschieht, zuzuschreiben – aber des »Rufmords« oder der »Verleumdung« verdächtig, auch mögliche negative Folgen ihres teils den Rechtsstaat aushebelnden Handelns – inklusive etwaiger Toter – mit ihr zu verbinden. Das überlasse ich den Hurra-Schreiern in den Hauptstadtredaktionen, das ist mir zu blöd. In 2015 hatten sie sich zum Spieler um die Mächtige aufgestellt, Mann an Mann, Feder an Feder, stolzbesoffen, in so wichtiger Stunde für ihre Kanzlerin da sein zu dürfen. Nach Breitscheidplatz warfen sie sich gleich auf den Boden und boten ihr Rückgrat als Brücke an, auf dass die Schuhe der Mächtigen nicht vom Blut der Opfer besudelt würden. Die Altmaierisierung der Redaktionen. Solche Gehorsamsgeilheit, wie ich sie bei deutschen Journalisten erlebe, wird mir wohl immer verschlossen bleiben.

Meine Debatte

Das Brandenburger Innenministerium teilte dieser Tage mit, dass Cottbus keine weiteren Flüchtlinge aufnehmen wird. (Quelle: welt.de)

Hintergrund dieser Entscheidung ist eine Kette von Zwischenfällen mit Minderjährigen. (Etwa: Drei Minderjährige streiten mit 51-Jährigem, weil sie Vortritt vor einer Frau verlangen – und am Ende wird zugestochen.)

Als Merkel in 2015 unter einheitlichem Jubel der Medien den Rechtsstaat aushebelte, umging sie Regelungen, die eigentlich dazu dienen, genau das zu verhindern, was jetzt geschieht: Kein überlebenswilliger Staat lässt Menschen komplett unkontrolliert ins Land. Nun sind sie halt da.

Die Frage ist nicht (mehr), ob »Wir schaffen das« zu Kriminalität und Toten führen wird. Ja, wird es. Sogar das ZDF spricht inzwischen von »Flüchtlingskriminalität«. Erst ein Jahr nach dem Attentat auf den Breitscheidplatz konnte sich Merkel bequemen, den Ort des vollständigen Scheiterns ihrer Politik aufzusuchen – wo sie fröhlich die Bratwürste begutachtete und für weitere Selfies bereitstand.

Die Frage ist nicht, ob es mehr Kriminalität und Tote durch Merkels Welteinladung gibt. Die Antwort ist, in kalten Zahlen: ja.

Trade-Offs

Bei Entscheidungen in Politik und Wirtschaft hat man es praktisch immer mit »Trade-Offs« zu tun. Jede Handlung hat auch ungewollte Konsequenzen. Will ich die Margarine mit besseren Zutaten produzieren, steigt der Herstellungspreis. Will ich Individual- und Lieferverkehr via PKW und LKW ermöglichen, werden Menschen in den Straßen sterben. Will ich als praktisch einziges Land der Welt die Grenzen bedingungslos öffnen, werden einige meiner Bürger zu Opfern von Gewalt und Terror werden.

Das deutsche TV ließ noch am 15.11.2015 Merkels Justizminister behaupten (archive.is), dass es »keine nachweisbare Verbindung zwischen Terroristen und Flüchtlingen« gäbe. Zu dem Zeitpunkt wurde bereits seit Monaten davon ganz konkret berichtet, wie ISIS ihre Terroristen via Flüchtlingstreck nach Europa lotst (etwa welt.de am 29.06.2015).

Wir haben uns als Gesellschaft darauf geeinigt, dass die Anzahl der Toten pro Jahr vertretbar ist als Trade-Off für Mobilität und Stärkung der Wirtschaft. (Was nicht heißt, dass wir nicht versuchen würden, sie zu senken!)

Es wächst der gesellschaftliche Konsens, dass die Anzahl der auf Tabakrauch zurückzuführenden Krebstoten pro Jahr nicht akzeptabel ist als Trade-off für die Freiheit, öffentlich zu rauchen. Deshalb setzen sich nach und nach in westlichen Ländern die Rauchverbote durch.

Die Debatte, die Merkel und ihre Journalisten noch immer fürchten, beginnt mit der Frage: Wie viel Gewalt und wie viele Tote ist Deutschland die Umsetzung des Merkels »Wir schaffen das« wert?

Ungarns Orbán etwa hat klar geantwortet mit: Null. Kein einziger ungarischer Bürger soll für Merkels Welteinladung um seine Sicherheit fürchten.

Cottbus hat jetzt geantwortet mit: Es ist genug.

Jede politische Entscheidung hat Trade-Offs. Ob Autos oder Tabak, überall werden die Folgen debattiert. Nur bei »Willkommenspolitik« wird die Debatte niedergeschrien. Dadurch geht die Frage aber nicht weg!

Ich sage wahrlich nicht, dass Deutschland und Europa keine Asylbewerber aufnehmen sollten – ich war selbst einer.

Ich sage an dieser Stelle auch nicht, dass Deutschland und Europa keine Asylbewerber aus gewaltaffinen Gruppen aufnehmen sollten. Ich sage hier aber auch nicht, dass sie es sollten – es ist hier schlicht nicht das Thema.

Ich dränge an dieser Stelle nur auf eins: Westliche Kulturen, besonders wenn sie sich in den vergangenen Jahrzehnten der Selbsterziehung zu Gewaltlosigkeit und Wangehinhalten verschrieben haben, sollten ehrlich und offen die realen Folgen der Aufnahme von universellen Einladungen diskutieren.

Es hat Tote gegeben. Täglich werden Menschen verletzt und fürs Leben traumatisiert.

Während die Fakten der Taten immer weniger verschwiegen werden können, wird das verheerende, neue Gefühl der dauernden Angst eher empathiefrei als »besorgte Bürger« verspottet – eine ans Totalitäre erinnernde Verachtung gegenüber dem »Schwachen«.

Mit Sprechverboten, hysterischer Empörung und populistischer Emotionalisierung versuchen sie eine Debatte zu verhindern, die bei anderen Fragestellungen (sogar bei Minithemen wie »Feinstaub durch Silvesterknaller«) völlig selbstverständlich ist: Welche Trade-Offs akzeptieren wir als Gesellschaft und – Achtung, bitteres Wortspiel – wo ziehen wir die Grenze?

Wie viele Tote und Verletzte ist das moralische Bauchgefühl des fortgesetzten Wir-schaffen-das als Trade-Off wert?

Den Berufsempörten und Merkelfans aber, die hier heimlich mitlesen, um »falsche Meinungen« (Zitat Grosse-Brömer, CDU) zu finden, die es zu verbieten gilt, die simple Frage: Sind Sie bereit, für Merkel zu sterben? Nein? Dann verlangen Sie es auch nicht von den Bürgern Europas.

Den Journalisten aber, die sowieso nur mit halbem Herz und Gemüt dabei waren: Haben Sie den Mut, auch die Trade-Offs der Flüchtlingspolitik offen und in Zahlen zu diskutieren, und zwar nicht erst, wenn die Sozialen Medien es Ihnen aufdrängen! Ja, es ist gefährlich und braucht noch immer Mut. Aber, Sie wissen doch: Der Mut wächst mit der Gefahr.

Weiterschreiben, Wegner!

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