Dushan-Wegner

07.11.2017

Thermodynamik mit Haltung

von Dushan Wegner, Lesezeit 6 Minuten, Foto von Khara Woods
Soziale Fakten zu leugnen ist Pflicht – die Kür der Politischen Korrektheit ist es, Thermodynamik zu ignorieren. Ein Trost: Für uns Zuschauer kann es unterhaltsam sein!
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Als ich ein Kind war, nicht wusste wo aus noch ein, stolperte ich einmal über die Idee des Perpetuum Mobile. Wörtlich bedeutet der lateinische Ausdruck: »sich ständig Bewegendes«. Ich gestehe, das Konzept der sich ewig drehenden Maschine war nicht nur aufregend, es fühlte sich sogar im Bauch gut an! Wenn Maschinen »gerecht« im modernen Schmusibusi-Sinn sein könnten, wären sie alle ein Perpetuum Mobile.

Das sich ständig Bewegende

Eine Maschine, die durch einen gewitzten Trick ihres Erbauers sich selbst überlistet und immer weiter läuft, vielleicht dabei sogar noch Energie abgibt, kann es denn überhaupt eine schillerndere, größere Idee geben? (Wenn wir dann noch die Welt von einem »ethischen Atheismus« überzeugten, hach! – pardon, kehren wir wieder zur Realität zurück. Das Perpetuum Mobile ist da ja realistischer.)

Nur Minuten später erfuhr ich vom Prinzip der Energieerhaltung und ernüchterte wieder. Nicht alle haben von diesem Prinzip gehört, oder wollen daran glauben. Also haben sich viele Träumer über die Jahrhunderte aufgemacht, eine solche Maschine zu (er)finden – darunter große Namen wie Leibniz und da Vinci (wobei diese immer auch schnell feststellten, dass es nur ein Traum ist, wenn auch ein schöner).

https://www.youtube.com/watch?v=1hYYdmjuDac

Das Perpetuum Mobile funktioniert – im besten Fall – immer nur »beinahe«. Der Erbauer ist »fast« soweit und »kurz vorm Durchbruch« und es braucht »nur noch ein wenig«. Dieses »Beinahe« weist auf den Grund hin, warum es nie funktionieren wird: der »Energieerhaltungssatz«:

»Energie kann zwar ihre Form ändern, doch man kann sie weder vernichten noch aus dem Nichts erzeugen.«
Andrea Schorsch für n-tv.de

Den Gesetzen der Menschen kann man mit viel Mühe und moralischer Flexibilität ausweichen (wie es etwa die Gutmenschen in den Paradise-Papers zu praktizieren scheinen), die Gesetze der Physik sind unverhandelbar.

Das sehen nicht alle so. Es ist doch nur eine Frage der Zeit, bis nach den Fakten der Biologie endlich auch die Fakten der Physik zu politisch pfuipfui erklärt werden.

Thesen an der Kraftwerkstür

Im Kanzleramt findet aktuell statt, was man höflicherweise »Koalitionsverhandlung« nennt. Auf dem Papier verhandeln vier Parteien, doch Merkel steht eigentlich nur für »keine Obergrenze« – und Seehofer hängt selbst in den Seilen.

Der interessante Teil der »Verhandlung« findet zwischen FDP und Grünen statt. Wenn wir von der Klischeeklientel der beiden Parteien ausgehen, ist es ein Kampf zwischen Kopf und Bauch. Für FDP-Wähler muss es »sich rechnen«, damit es gut ist. Für Grünen-Wähler muss es dem Tagesbauchgefühl entsprechen, damit es gut ist.

Auf Twitter, jener so virtuellen wie schwankenden Bühne der Tagesdramen im postfaktischen Zeitalter, finden die »Koalitionsverhandlungen« ihre schnippische Fortsetzung.

Etwa so:

Simone Peter (Grüne): »…aber ich nehme schon wahr, dass Christian #Lindner gerne den Kohleausstieg erklärt haben will. – Machen wir Grüne leidenschaftlich gerne!«

Christian Lindner (FDP): »Nur zu, liebe @peter_simone – für physikalische Argumente sind wir gerne offen. :-) CL«
@c_lindner, 3.11.2017

 

Wenn Lindner sagt, er sei für physikalische Argumente offen, impliziert er darin natürlich, dass die Grünen keine haben. Er ist höflich. Er weist etwa dezent darauf hin, dass an einem gewöhnlichen November-Tag (3.11.2017, 17 Uhr) schon mal null Gigawatt des deutschen Stroms von »der Sonne« kommen, 5,4 Gigawatt von den Vogelmixern und 55,6 Gigawatt, also praktisch alles, aus »konventioneller« Stromproduktion – trotz aller Förderung der letzten Jahre. Wie genau will man realistisch auf »alternative« Energie umsteigen?

Physik mangelhaft, Haltung sehr gut

Noch eine kleine Posse spielte sich jüngst im großen Kampf zwischen Fakten und wahrer Gesinnung ab, die hier berichtenswert erscheint.

Anna-Mareike Krause, »Social-Media-Koordinatorin« der Tagesschau (nicht formal, aber de facto also die Pressesprecherin im Digitalen) pampte den CDU-Politiker Dr. Reiner Haseloff an:

»Der MP, dessen Staatskanzleichef die Tagesschau »in dieser Form für überflüssig« hält, verbreitet einen Link von epochtimes. Enough said.«
– Anna-Mareike Krause, 6.11.2017 auf twitter.de (Archiv)

Thermodynamik mit Haltung
Journalismus mit Haltung

Politiker Haseloff ist, wie sie richtig feststellt, »MP«, also Ministerpräsident des Landes Sachsen-Anhalt.

Herr Haseloff ist aber noch mehr. Er ist Physiker. Der Titel seiner Diplom-Arbeit (1978 an der Humboldt-Universität Berlin) war »Untersuchungen zur Anwendbarkeit spektraler Remissionsmessungen für die Fernerkundung der Wasserbeschaffenheit von Binnengewässern«. 1991 promovierte er, wieder in Berlin.

»Entwicklung von Meßgeräten auf der Basis der linearen Laser-Absorptionsspektrometrie zur empfindlichen Molekülgas-Konzentrationsmessung unter dem Aspekt des Einsatzes in der Umweltkontrolle«
Promotionsthema Rainer Haseloff, Berlin 1991

All dies hat natürlich keine Autorität für eine Journalistin »mit Haltung«!

Dr. Haseloff hatte einen Artikel in der Online-Publikation »Epoch Times« verlinkt. Diese Publikation mag »umstritten« sein, kein Zweifel. Aber das sind etwa Huffington Post oder die Tagesschau auch.

Der verlinkte Artikel »Die Gesetze der Physik gelten auch für E-Autos – Emissionsfreie Autos kann es nicht geben« fasst eigentlich nur die Stellungnahme von ehemaligen Verkehrsprofessoren zusammen.

Nach ganz doll schlimm hetzerischen Zwischen-Schlagzeilen wie »Emissionsfreie Autos kann es nicht geben« und »Forderung an die Politik: Effizienzstandards einführen« kommt der Text zu diesem reißerischen Schluss:

Letztendlich gelte: ›Jede Form von Kraftfahrzeugantrieb verursacht Probleme, das gilt auch für den Elektroantrieb‹. Notwendig wären weiterhin eine verkehrsreduzierende Siedlungsplanung und verbesserte Konzepte für den nicht-motorisierten und den öffentlichen Verkehr. Ebenso wäre eine Debatte über die Antriebstechniken notwendig, doch ›dies ist unpopulär und daher ein verkehrspolitisches Tabu-Thema‹.
epoch-times.de, 5.11.2017

Ein Skandal!!! – Ironie beiseite: Es ist betulich und sachlich, was da berichtet wird. 15 emeritierte Professoren eben.

Die Tagesschau-Mitarbeiterin interessieren hier die Inhalte genau gar nicht. Sonst leistet sie ja zweifelsohne soliden Journalismus mit Haltung, hier aber ist ein Graben zwischen Frau Krause und den Fakten.

Twitterer Cincinnatus stellt zum Artikel fest:

»Der Inhalt ist schlicht der 1. und 2. Hauptsatz der Thermodynamik.«
@430_BC, 7.11.2017

Ein Doktor der Physik twitterte den Hinweis auf einen Text, der eine grundlegende physikalische Wahrheit ausspricht. Die Tagesschau-Journalistin, die selbst kein Problem damit hat, stramm linke Journalisten zu retweeten, greift die Tatsache an, dass der Ministerpräsident die »falsche« Publikation zitierte. Die Gesetze der Thermodynamik widersprechen den Inhalten einer besonders bei Journalisten beliebten Partei – und ein konkurrierender Politiker verlinkt darauf? Aufschrei!

One more thing

Doch, man muss präzise sein: Aus dem Umkreis des Herrn Dr. Haseloff kam zuvor noch mehr, was Frau Social-Media-Koordinatorin Krause erzürnte: Sein Staatskanzlei-Chef Rainer Robra schlug vor, die Tagesschau abzuschaffen, so dass nur noch ZDF die offiziellen* Nachrichten verkündet. (* meine Wortwahl, nicht seine) – Frau Krause twittert seit Wochen schon erregt darüber.

Wen interessieren die Gesetze der Thermodynamik, wenn jemand a) den von Milliarden Euro an Zwangsgebühren finanzierten Haltungs-Journalismus hinterfragt, und b) es wagt, die »falsche« Publikation zu verlinken?

Ein Journalist hätte auch fragen können: Moment, stimmt das? Widerspricht diese politische Initiative wirklich den Gesetzen der Physik?! – Die Tagesschau-Fachkraft fragt: Wie kann er es wagen, das falsche Medium zu verlinken?

Das zwangsgebührenzentrische Weltbild

Früher hätte Frau Krause sich ereifert, dass ein Weltbild, wonach die Erde sich um die Sonne dreht (statt andersrum), der Bibel und der Kirche widerspricht. Heute ereifert man sich, dass ein Politiker das »falsche« Medium verlinkt.

Die Ziele sind dieselben, ob bewusst oder »instinktiv«: Macht bewahren und machtgefährdende Fakten unterdrücken.

Der Effekt ist aber auch ähnlich: Man verzögert das Unausweichliche. Es gibt kein Perpetuum Mobile und es gibt keine Autos ganz ohne Emission. Bei Differenzen zwischen Physik und Gesinnung hat bislang noch immer die Physik gewonnen – zumindest langfristig.

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