Dushan-Wegner

07.01.2017

Gutmensch

von Dushan Wegner, Lesezeit 5 Minuten, Foto von Jakob Owens
»Gutmenschen« bedeutet nicht »gute Menschen«! Gutmenschen sind selbstgerecht. Sie weigern sich nicht selten, die Konsequenzen ihres Tuns zu bedenken.
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Das Erzbistum Köln ist relativ arm. Jedenfalls im Vergleich zu Paderborn. Das Erzbistum Paderborn kommt auf ein Vermögen von immerhin etwa 4 Milliarden Euro. – Fast schon ein Fall für die Caritas (Jahresumsatz der Wohlfahrts-Branche: >55 Milliarden Euro, Stand 2006 – hat jemand neuere/präzisere Zahlen?) sind dagegen die armen Kölner mit ihren läppischen 3 Milliarden und ein paar Zerquetschten. Dennoch wäre es schön, wenn man sich in Köln einen Duden leisten könnte.

Der Duden gibt als Bedeutung für »Gutmensch« an:

[naiver] Mensch, der sich in einer als unkritisch, übertrieben, nervtötend o.ä. empfundenen Weise im Sinne der Political Correctness verhält, sich für die Political Correctness einsetzt
– duden.de/rechtschreibung/Gutmensch

Man kann es drehen und wenden, wie ein Ketzer sich in den Flammen des Scheiterhaufens dreht und windet: »Gutmensch« ist kein positiv besetzter Terminus. Nicht für den Duden, und nicht für die meisten Menschen, die das Wort benutzen.

Das alles ficht den Kölner Erzbischof, Rainer Maria Woelki, nicht an. Er machte sich Ende 2016 an die Aufgabe, das Wort »Gutmensch« positiv zu besetzen. Das Erzbistum lancierte die Aktion #gutmensch. (Weil junge Leute das so machen mit den Hashtags.) Woelki sprayte sogar – welch Subversivität! – einen giftgrünen Hashtag »#gutmensch« mit Kreidefarbe auf die Kacheln einer erstaunlich leeren Parkanlage. (Weiß jemand, wo diese Fotos aufgenommen wurden?)

Auf der hübschen Website zum Projekt des Erzbistums wird dann erklärt, warum Gutmensch in Wahrheit total super ist. Gleich die ersten drei Sätze des Textes (Stand 7.1.2017) sind so grandios falsch, dass sie zitiert werden müssen:

Kann es schlecht sein, ein guter Mensch zu sein? Derzeit ist »Gutmensch« in unserer Gesellschaft nahezu ein Schimpfwort geworden. Gutmenschen seien naiv, dumm und weltfremd.

Alles, was es braucht, den Begriff »Gutmensch« zu verstehen, steckt im Widerspruch zu diesen drei Sätzen!

1. Gutmensch ist nicht »guter Mensch«

Der Begriff »Gutmensch« hat zu keinem Zeitpunkt jemals »guter Mensch« bedeutet. Matthias Heine findet in seinem Text in der »Welt« eine Fundstelle von 1838, aus dem »Briefe an eine Jungfrau über die Hauptgegenstände der Ästhetik«:

Wird nicht ein solch unberatener Gutmensch für seine unbedingte Menschenliebe verlacht, für einen Thoren von der ganzen Welt gehalten werden und ein Opfer seiner Schwäche sein?

Das Wort »Gutmensch« wurde durch die Jahrzehnte hindurch verwendet für einen Menschen, der die Augen vor der Wirklichkeit verschließt, und einfach leugnet, dass die Medaille noch eine andere Seite hat. Und ja, der Begriff wurde auch in der Nazizeit verwendet, wie überhaupt überraschend viele deutsche Wörter. Und nein, das Wort ist nicht jiddisch. Im Jiddischen gibt es »Mentsch«, und das ist tatsächlich ein guter Mensch, der braucht das »gut« davor nicht.

Während zu Beginn der Begriffs-Verwendung der typische »Gutmensch« noch Selbstaufopferung mitbrachte, bringt der moderne Gutmensch schon mal den Anschein von Heuchelei mit. Manche Menschen sehen im Verhalten des Gutmenschen sogar (hoffentlich) unbewusste und ungewollte Verlogenheit.

Beispiel: Die Menschen, die zu Beginn der Flüchtlingskrise ihre »Refugees Welcome«-Schilder an den Bahnhöfen hochhielten, waren selten die Sozialarbeiter und sonstigen viel-zu-wenig-bezahlten Angestellten, die sich im Alltag mit den Konsequenzen der Refugees-Welcome-Politik beschäftigen. Aber in ihrer Symbolhandlung fühlten sie sich moralisch überlegen, fühlten sich »gut«. Gutmenschen kassieren moralischen Lohn – überlassen die Arbeit aber den wirklich guten Menschen.

Ein Nebenaspekt: In seinem Engagement zur Rettung des Gutmensch-Begriffs hat Kardinal Woelki vergessen, der Transparenz halber zu erwähnen, dass die Caritas den ein oder anderen Euro an der Flüchtlingskrise mitverdient. Er wird es bestimmt nachholen.

2. Ja, Gutmensch ist ein Schimpfwort

Kardinal Woelki versucht, den scharf kritisierenden Ausdruck »Gutmensch« zu erobern. (Wohlgemerkt: nicht »zurück« zu erobern – er war nie »seiner«.) Warum? Es ist nicht »fast schon ein Schimpfwort«. Es ist ein Schimpfwort, es ist ironisch gemeint und man hofft, den Beschimpften in die Realität zurückzuholen – aber es bleibt ein Schimpfwort. Wieder: Man befrage den Duden.

Es wird versucht, aus »Gutmensch« ein Geusenwort zu machen. Das wäre zu vergleichen mit farbigen US-Rappern, die sich »das N-Wort« erobern und innerhalb der eigenen Gruppe neu auslegen. Doch die Verhältnisse sind hier anders. Mit dem N-Wort wurde eine Gruppe von Menschen abfällig bezeichnet, bei der es in Wahrheit keine Schande ist, dazu zu gehören. Mit »Gutmensch« werden dagegen Heuchler bezeichnet, welche die angebliche eigene Moral wie eine Monstranz vor sich hertragen. Wieso sollte man stolz sein, zu dieser Gruppe zu gehören? – Wie Jesus sagt:

Wenn du Almosen gibst, sollst du nicht lassen vor dir posaunen, wie die Heuchler tun in den Schulen und auf den Gassen, auf dass sie von den Leuten gepriesen werden. Wahrlich ich sage euch: Sie haben ihren Lohn dahin.
Matthäus 6,2-4

3. Nicht die Naivität ist das Problem

»Gutmenschen seien naiv, dumm und weltfremd«, zitiert Woelki seine angeblichen argumentativen Gegner. Es ist ein Strohmann-Argument.

Naivität und Weltfremdheit sind wichtige Eigenschaften etwa von Künstlern und Autoren. Ich selbst hoffe bei jedem einzelnen Text, die Welt zu verändern, und scheitere jedes Mal. Ich bin darin naiv und will es bleiben.

Nein, die Probleme mit Gutmenschen sind andere, und ihrer ist Legion.

Gutmenschen sind selbstgerecht. Sie weigern sich nicht selten, die Konsequenzen ihres Tuns zu bedenken. Sie beschimpfen jene, die sie vor den logischen Konsequenzen warnen, als »Rechte« und »Populisten«. Wenn die Konsequenzen dann eintreten, heißt es: Ich habe keine Schuld, ich habe es gut gemeint. Selbstgerechtigkeit allein ist nervig, ihre Konsequenz aber kann tödlich sein.

Gutmenschen sind freiwillig partiell dumm. Sie weigern sich, offensichtliche Zusammenhänge anzuerkennen, wenn diese ihnen nicht in ihr Weltbild passen.

Gutmenschen erhöhen sich selbst. Sie betrachten sich selbst als »moralisch gut« – und erklären damit (im- oder explizit) jeden, der ihnen widerspricht, für moralisch schlecht. In der Politik gibt Gutmenschentum die gefühlte Legitimität, Gesetze zu brechen oder den politischen Gegner sogar körperlich anzugreifen.

Eine Sache, die man heutigen Gutmenschen wahrlich nicht vorwerfen kann, ist echte (!) Dummheit. Ein Gutmensch zu sein und »Haltung« zu zeigen, kann ein höchst lukratives Geschäft sein. Sie können ein Heuchler sein, selbstgerecht, freiwillig partiell dumm und sich selbst auf das höchste moralische Podest stellen – und doch sehr genau wissen, wie Sie Ihre Hände schwielenfrei und Ihr Konto flüssig halten.

Fazit

Ich glaube nicht, dass Herr Woelki selbst diese Kampagne anstieß. Ich würde ihn nicht einmal einen Gutmensch nennen, um Himmels Willen! Es war wahrscheinlich eine Agentur. Sie meinte es gut, da bin ich sicher. Doch darum geht es nicht.

»Gutmensch« ist ein anderes Wort für Heuchler. Ein »guter Mensch« ist etwas ganz anderes. Was aber ist ein »guter Mensch«? Das, liebe Gemeinde, ist Gegenstand der Predigt nächsten Sonntag. Bis dahin, gehen Sie mit Seinem Segen, und halten Sie Ihre Nase sauber.

Weiterschreiben, Wegner!

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