Dushan-Wegner

13.09.2019

Deutschland spielt Topfschlagen

von Dushan Wegner, Lesezeit 6 Minuten, Bild von Haris Suljic
Im Görlipark spielen sie Fußball mit Dealern. Berlin ist wie ein irrer Kindergeburtstag, und Deutschland schaut zu, halb lachend, halb erschrocken.
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Wir stellen uns wieder mal ganz unmoralisch, und wir fragen: Darf man Witze über körperliche Gebrechen machen, über Behinderung gar?

Nun, zumindest wenn man der Staatsfunk ist und die Behinderung einen Oppositionspolitiker betrifft, dann geht das schon mal (siehe achgut.com, 5.2.2018: »Ihre Gebühren bei der Arbeit: Behindertenwitze beim ZDF«).

Wie ist es mit Merkels Zittern? Darf und kann man darüber Witze machen, ohne danach endgültig dafür in den gesellschaftlichen Abgrund geworfen zu werden? Ja, wenn man Chef-Grüne ist (spiegel.de, 28.6.2019: »Merkels Zitteranfälle – Baerbock erklärt Kanzlerin zum Klimaopfer«). Oder Faisal Kawusi (faz.net, 12.7.2019: »ProSieben verteidigt Witz über Merkels Zittern«).

In linksgrünen Zeiten könnte man vergessen, was Humor dem Wesen nach ist, deshalb eine Ein-Satz-Zusammenfassung: Humor versucht, durch Verfremdung (etwa durch Parabel, Übersteigerung oder Schock) die schmerzhafte Dissonanz zwischen Begriffen und Welt für unser Gemüt »verdaulich« zu machen, und dadurch zur Auflösung dieser Dissonanz beizutragen.

Etwas in uns will Witze über Behinderung machen, weil uns die Dissonanz zwischen dem Bild des Menschen als vollkommener Krone der Schöpfung und der dann doch unvollkommenen Realität schmerzt.

Politische Korrektheit ist der Versuch, durch Sprach- und Denkverbote die Probleme und Dissonanzen in der Gesellschaft zu ignorieren, statt sie benennen und dann möglicherweise zu lösen. Der Witz behandelt Schmerzen, indem er nach Wegen sucht, die Ursache zu finden – politische Korrektheit »behandelt« Schmerzen, indem sie mit sozialem Druck verbietet, zuzugeben und zu formulieren, dass und wo es weh tut.

Es gibt nun Gesellschaftsspiele, da tun wir nur so, als wären wir behindert, und besonders Kinder spielen sie gern. Ob Sackhüpfen, Dreibeinlauf oder blinde Kuh (da ist es schon im Namen), es bereitet den Spielenden wie auch den Zuschauern großen Spaß, dabei zuzuschauen, wenn Menschen ausprobieren, wie es wäre, wenn Teile ihres Körpers nicht so funktionieren würden, wie sie sollten.

Beim Spiel Topfschlagen werden einem Kind die Augen verbunden, das Kind erhält einen Kochlöffel, und es erfährt, dass unter einem umgedrehten Topf irgendwo im Raum ein Geschenk versteckt ist. Das Kind tapst mit verbundenen Augen umher und schlägt mit dem Kochlöffel um sich, und es wirkt hilflos dabei, was für die Zuschauer lustig ist. Alle lachen, denn das Kind ist ja nicht wirklich blind, dann wäre es ein Lachen unanständig, nur wenn die Zuschauer selbst aus Versehen mit dem Kochlöffel getroffen werden und es wirklich wehtut, dann lachen sie meist nicht, womit wir bei der Tagespolitik wären.

Inklusive aller Konsequenzen

Ich kann mich noch nicht entscheiden, ob es im Hinblick auf die Symbolkraft eine hervorragende oder miserable Maßnahme war, Berlin statt Bonn zur Hauptstadt des »wiedervereinigten« Deutschlands zu erklären.

Einerseits ist Berlin gewiss geschichtlich gewichtig, manche nennen es gewissermaßen »Weltstadt«, doch zugleich ähnelt Berlin zunehmend einem genuinen »failed state«. Seit bald einem Jahrzehnt gilt der »im Bau befindliche« (um nicht »die Bauruine« zu sagen) Flughafen Berlin Brandenburg (»BER«) als Symbol für die linksgrüne Republik, doch der »Görlipark« könnte dem BER den Symbolrang ablaufen.

Der Görlitzer Park liegt in Berlin Kreuzberg – und damit sind seine weiteren Probleme angedeutet. Wer Berlin ertragen will, der braucht immer häufiger Drogen, und die kann er im »Görli« kaufen.

Im Mai dieses Jahres hörte man bundesweit davon, dass der Parkmanager Cengiz Demirci eigene Areale für Drogenhändler kennzeichnen will (bz-berlin.de, 8.5.2019). Es muss nicht extra erwähnt werden, woher die Drogendealer kommen. Dem sympathischen Parkmanager Demirci ist kein Vorwurf zu machen, er ist ja weder Polizei noch Gericht oder Gesetzgeber – seine auf den Boden gesprayten Striche in Neon-Rosa sind der Versuch des studierten Psychologen, eine absurde Situation irgendwie in den Griff zu bekommen und vor dem endgültigen Kippen zu bewahren – was soll er denn sonst tun?

Aktuell hören wir, dass im Görli ein freundliches Fußballturnier geplant ist – mit den Drogendealern (bz-berlin.de, 12.9.2019). Die Siegerehrung soll mit »Wasser und Saft« stattfinden, und ob man darüber hinaus Joints zum Entspannen anbietet, das ist mir nicht bekannt. Es werden derzeit noch Schiedsrichter gesucht – es findet sich bestimmt einer von Guten, der ein Fußballspiel mit Drogendealern pfeift, inklusive aller Konsequenzen.

Es macht Spaß

Berlin zu beobachten, das ist für den Rest von Deutschland, wie einem Kind beim Topfschlagen zuzuschauen. Wer Drogendealern eigene Stellplätze zuweisen und mit ihnen Fußballspielen will, statt sie zu verhaften und auszuweisen, der ist außerhalb jeder rechtsstaatlichen oder auch nur rationalen Debatte. Die hilflosen Maßnahmen Berlins wirken auf Außenstehende wie das Kind, das mit verbundenen Augen den Kochlöffel schwingt, in der Hoffnung, den Topf zu treffen.

Die große humormoralische Frage im Umgang mit Berlin ist, ob man über Berlin lachen darf – ist es anständig? Ähnelt Berlin dem Kind mit den verbundenen Augen, oder einfach einem Blinden, der nie gelernt hat, sich trotz seiner Blindheit zurechtzufinden?

Es macht Spaß, Kindern dabei zuzuschauen, wie sie Topfschlagen spielen. Es kann auch Spaß machen, Betrunkenen zuzuschauen, wie sie über den Gehweg schwanken – bis es schiefgeht. Ich habe letztens von einem Jugendlichen gehört, der betrunken bei einer Mutprobe vom Garagendach fiel – während seine Freunde ihr Abitur feierten, lag er im Koma, und während seine Freunde ihre Familie gründeten, lernte er aufs Neue gehen und reden. Es ist lustig, bis es nicht mehr lustig ist – das gilt für die Trunkenheit wie fürs Gutmenschentum.

Nein, ich glaube nicht, dass Berlin »blindgeboren« ist. Auch in Berlin gibt es Internet und Büchereien. Auch in Berlin haben Menschen die Möglichkeit, sich zu informieren, wie die Welt außerhalb aussieht. Die Blindheit der Berliner ist freiwillig. Berlin wählt SPD, Grüne und die umbenannte SED, Berlin wählt, sich selbst zu belügen, Berlin wählt den Görlipark als Drogenumschlagplatz.

Das linke Weltbild ist bekanntlich auf Lügen gebaut, und wenn Berlinern die Folgen ihrer Lügen nicht gefallen, dann ziehen sie halt weg vom Görlipark – wenn sie es sich leisten können. Übrig bleiben die Dealer und die sozial Schwachen, sie sind die Unschuldigen, die der Linke beim Topfschlagen-Spielen mit dem Kochlöffel erwischt.

Görlipark und BER stehen für Berlin, doch Berlin steht für Deutschland – auch ganz offiziell. Deutschland spielt Topfschlagen, die Augen verbunden mit dem Tuch der Überheblichkeit, besoffen an der eingebildeten Moral, und es ist kein stumpfer Kochlöffel in der Hand, sondern die noch immer starken Mittel einer einst klugen und daher reichen Industrienation.

So wie Deutschland auf Berlin schaut, so schaut die Welt allmählich auf Deutschland. Man kann sagen: Die Welt schaut Deutschland beim Topfschlagen zu, und es ist eine Mischung aus Horror und Amüsement.

Die Frage ist nicht, ob andere über uns lachen und ob sie lachen dürfen – ich versichere Ihnen, man lacht schon lange. Die Frage ist, wie wir damit umgehen.

Die eine Möglichkeit wäre, dass Deutschland seine selbstgewählte Blindheit ablegt. Ich weiß nicht, ob es gelingen kann, immerhin sorgt ein milliardenteurer Medienapparat dafür, das Tuch vor den Augen der Bürger allabendlich neu festzuzurren – und Journalisten ziehen tagsüber stündlich nach.

Die andere Möglichkeit ist, dass wir lernen, über uns selbst zu lachen, wie bitter es auch sein mag. Es ist nicht immer einfach, zu lachen, wenn die Guten und Gerechten uns mit dem Kochlöffel ein überbraten, weil sie in ihrer Blindheit uns für einen Topf halten.

Lacht, ihr Töpfe, und wenn ihr noch mehr zum Lachen wollt, dann geht zum Kicken mit Dealern in den Görlipark.

Lacht, und lacht schon jetzt, und seid nicht die letzten, die lachen, denn wer zuletzt lacht, der hat bekanntlich einfach nur den Witz nicht früher begriffen.

Weiterschreiben, Wegner!

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