Dushan-Wegner

22.02.2024

Der Tag der Wenigen

von Dushan Wegner, Lesezeit 4 Minuten
Eine Frage, vor dem Hintergrund der Ereignisse der letzten Jahre: Gehört ihr zu den »Vielen« oder zu den »Wenigen«? Ist es nicht bemerkenswert, dass einige unbedingt in der einen Gruppe sein wollen, und die anderen lieber in der anderen?
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Einen neuen Feiertag brauchen wir! Wir wollen ihn den »Tag der Wenigen« nennen.

Der Tag der Wenigen sollte besser ein heimlicher Feiertag sein, denn die Vielen, die ja jeden Tag ihren Tag haben, sind nicht gut auf die Wenigen zu sprechen. Am Tag der Wenigen feiern die Wenigen ihr Wenigersein.

An all den übrigen Tagen – ob Wochen-, Monats- oder Jahres- – brüllt die tumbe Masse: »Wir sind mehr« und »Abweichler töten«. Die Wenigen machen dann lieber den Hals kurz, wenn und weil sie bevorzugen, dass Hals und Kopf aneinander bleiben.

In all den Jahren aber – ob Krisen-, Vorkriegs- oder Wiederaufbau- – schwingt die Masse erst das große Wort. Dann, nach einigen Schwungübungen, das große Schwert. Und etwas später setzt natürlich das große Jammern ein, welches zumeist fließend, wie Masse eben zähfließend ist, wieder in das nächste große Wort übergeht. Die, die weit mehr sind als wir, ver- und angeführt von denen, die weit, weit weniger sind als selbst wir, die Wenigen.

Am Tag der Wenigen nun, an diesem einen, heimlichen Tag, da wollen die Wenigen einander gestatten, ihr Wenigersein zu preisen!

Verräter und Feindesfreunde

Als aus den Werkstätten des fernen Ostens das weltweite Geschenk kam, hatten die Wenigen gewarnt. Die Vielen beschimpften sie.

Als die Vielen ihren Sinn drehten, beschimpften sie die Wenigen, welche nun davor warnten, es mit der Sinneswandlung nicht zu übertreiben.

Als letztens nebenan ein Krieg ausbrach, warnten die Wenigen, er sei nicht zu gewinnen. Man beschimpfte sie als Verräter und Feindesfreunde. Hunderttausende tote Seelen später sehen die Vielen ein, dass viel zu viele für viel zu wenig gestorben sind.

Als Wenige davor warnten, dass ein Land mit relativ wenigen steuerzahlenden Bewohnern nicht die vielen, vielen Armen und Glücksuchenden eines ganzen Kontinents aufnehmen kann, ließ man Viele aufmarschieren, um die Wenigen und ihre Warnungen niederzubrüllen: Wir sind mehr!

Je dümmer, desto weiter

So viel sollten die Wenigen wissen: Die Mehrheit, die Menge, die Masse entwickelt bisweilen Verhaltensweisen, für welche der Einzelne sich schämen würde.

Die Einzelnen der Mehrheit (als Minderheit in der Mehrheit gewissermaßen) haben ja etwa den Tschechow gelesen, welcher sagt: »Die Menge meint, alles zu wissen und alles zu begreifen, und je dümmer sie ist, desto weiter erscheint ihr ihr Horizont.«

Oder sie haben Le Bon studiert und dessen Rat: »Die Menge wird sich immer denen zuwenden, die ihr von absoluten Wahrheiten erzählen, und wird die anderen verachten.«

Und natürlich auch den Goethe, welcher klagt: »O sprich mir nicht von jener bunten Menge, bei deren Anblick uns der Geist entflieht!«

Tausche Geist gegen Mehrheitsmeinung!

Das aber, was Meister Goethe beschreibt, ist ja des Pudels Kern: Der Geist entflieht in der Menge auch dem, der durchaus weiß, dass einem in der Menge der Geist entflieht.

Der Mensch in der Mehrheit wird zur Mehrheit. Er tauscht seine Seele gegen die Massenseele, seine Meinung gegen die Massenmeinung, den Selbstwert gegen die Euphorie der Masse.

Doch es gibt eben auch die Wenigen, die es einfach nicht vermögen, in der Massenseele aufzugehen. Was auch immer die Gründe sind, ob Veranlagung, Familiengeschichte oder ein Zuviel an Verstand – die Wenigen verhalten sich zur Mehrheit wie das Öl zum Wasser.

Die Wenigen, die, selbst wenn man sie gewaltsam mit der Menge vermischt, sich doch bald ganz natürlich wieder von ihr trennen.

Die Wenigen, die trotzig auf »Zwei plus zwei bleibt vier« beharren, wenn die Masse johlt: »Fünf! Fünf! Fünf!«

Ad maiorem veritatis gloriam

Es braucht einen Tag für die Wenigen. Einen heimlichen Feiertag. Einen Tag, an dem wir uns selbst auf die Schulter klopfen und der Mehrheit in deren Abwesenheit selbstbewusst entgegenhalten: »Ihr seid mehr, und ihr sagt es laut genug. Wir sind weniger, und wir spüren es jeden Tag. Ihr fürchtet uns, und wir fürchten euch. Ihr fürchtet, dass unsere Wahrheit eure Lügen aufdeckt. Wir fürchten eure Wut, wenn sie das tut. Und dennoch: Hier stehen wir, wir Wenigen! Wir können nicht anders, und selbst wenn wir anders könnten, würden wir nicht anders wollen.«

Ich bin noch nicht sicher, auf welches Datum ich den Tag der Wenigen legen sollte. Ein Scherzbold könnte den 29. Februar vorschlagen, als Tag, an dem die Wenigen sich feiern dürfen. Ein Zyniker den 30. Februar.

Welches Datum ihr auch festlegt, ich wünsche einen frohen Tag der Wenigen. Wie ich höre, wird die Zahl der Menschen, die das Wenigersein feiern, immer größer – ja, wenn wir uns nur recht anstrengen, sind wir Wenigen bald in der Mehrheit!

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