Dushan-Wegner

12.12.2017

Brennende Flaggen und Syllogismen

von Dushan Wegner, Lesezeit 5 Minuten, Bild von Christian Bardenhorst
Wenn in Berlin wieder Davidsterne brennen, darf es nicht bei der Entrüstung bleiben! Ich will auch die Logik im Kern des Problems und der politischen Hilflosigkeit verstehen.
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Julian Reichelt kommentiert auf bild.de die antisemitischen Demonstrationen in Berlin (also die neuen, von 2017). Unter anderem fordert Reichelt (wenn ich ihn richtig verstehe) den Einsatz von Wasserwerfern gegen brennende Israel-Flaggen:

»Wir werden so etwas in Deutschland nicht dulden«, sagt SPD-Chef Martin Schulz. Tun wir aber. Der Wasserwerfer der Polizei greift am Brandenburger Tor nicht ein. Die Staatsmacht wagt es nicht, dieses schändliche Feuer zu löschen.
Julian Reichelt, bild.de, 11.12.2017

Er schließt seinen Kommentar:

Antisemiten können in Deutschland nahezu ungestört ihr Unwesen treiben. Dafür sollten wir uns »schämen« , sagt Merkels Regierungssprecher. Lieber sollte unsere Regierung diesen unzumutbaren Zustand entschlossen bekämpfen. Weil sich irgendwer schämt, fühlt sich kein Jude in Deutschland sicherer.
Julian Reichelt, bild.de, 11.12.2017

Zuerst einmal: Reichelt hat selbstverständlich Recht mit der Kritik an dem späten und noch dazu peinlich schwachen Auftritt der Regierung.

Das »man muss sich schämen« des Regierungssprechers verhöhnt in seiner Unangemessenheit und Schwäche alles, wofür eine Regierung in stürmischen Zeiten stehen sollte – nur sind Regierungen, die selbst stürmische Zeiten hervorrufen, selten »stark« im historischen Sinn.

Reichelts Kommentar ist ein »Zeichen der Zeit«. Er sagt viele richtige Dinge. Er bekommt in den Sozialen Medien zu Recht viel Applaus. Doch – so sehr ich Axel Springer und Julian Reichelt respektiere (ich meine jeweils die Männer) – er stellt Forderungen, denen man sich anschließt – und sein Appell ist sprachlich geschickt: »Löscht das Feuer!« – das bezieht sich direkt auf die brennenden Flaggen und zugleich als Metapher auf den zugrundeliegenden Hass.

Von welchem Feuer reden wir?

Wir müssen sachlich einfügen: Man könnte die Gesetze ändern, aber so wie sie jetzt sind, ist das Verbrennen ausländischer Flaggen in Deutschland nicht verboten. (Anders als etwa das Urinieren auf die deutsche Flagge, Grüne Jugend!)

Sicher, diese Handlung ist ein Ausdruck widerlichen Hasses, kein Zweifel. Im Gegensatz zu der von einigen deutschen Ministerien verbreiteten Lüge ist Hass aber erstmal durchaus eine Meinung und fällt – so keine anderen Gesetze diese Meinung beschränken – auch in überspitzter Form unter Meinungsfreiheit.

Ich teile Reichelts Wut vollständig. Wir müssen dabei nur ehrlich sein und ausformulieren, was er fordert: Die Einschränkung der Meinungsfreiheit – aus Staatsräson und aus Verantwortung vor einem schrecklichen Abschnitt der deutschen Geschichte, der uns Deutsche (ja, auch »eingeheiratete« Deutsche) durchaus bis heute mit-definiert und mit-definieren muss.

Ich wurde schon mal als »Meinungsfreiheit-Radikalist« bezeichnet, wenn es aber um diese Angelegenheiten geht, werden Sie mich nicht auf der Seite der Antragsgegner finden. Hass generell verbieten zu wollen (oder die Bürger aktiv in den Glauben zu führen, er sei verboten, wie vor allem Familien- und Justizministerium es die letzten Jahre bewusst zu tun scheinen) ist im Effekt demokratiefeindlich – eingeschränkte Spezialfälle des Hasses wie diesen zu verbieten ließe sich jedoch zweifellos mindestens historisch wie moralisch begründen.

Wenn Deutschland mit Wasserwerfern gegen brennende Flaggen vorgehen soll, muss es erst die Gesetze ändern – wie es etwa der Zentralrat der Juden fordert.

Die Glut unterm Feuer

Christentum und Islam haben gemeinsam, dass einige ihrer Vertreter – geschichtlich gesehen – dem Judentum nicht immer ausschließlich freundlich gegenüberstanden. (Spontan fallen etwa Paulus, Luther oder auch der Kölner Dom ein.)

Dieser Tage wird häufig gesagt, etwas sei Teil von etwas anderem. Etwa: Fußball ist ein Teil von Deutschland.

Lassen Sie uns kurz allgemein sprechen, von Logik gewissermaßen.

Nehmen wir an, bei Fußballspielen käme es durch übermäßig viele Kopfbälle zu Schäden am Denkvermögen von Fußballspielern.

Schematisch dargestellt – A steht für Kopfballschäden und B für Fußball:

Brennende Flaggen und Syllogismen

Die Grafik illustriert den ausgedachten(!) Satz 1: Kopfballschäden sind ein Teil des Fußballs.

Nun gilt allerdings eine weitere Wahrheit, und diese ist nicht nur angenommen!

Brennende Flaggen und Syllogismen

Diese Grafik (B steht weiterhin für Fußball und C steht für Deutschland) illustriert den durchaus wahren Satz 2: Fußball ist ein Teil Deutschlands.

In Deutschland leben bekanntlich 80 Millionen »Sofa-Trainer« – wir wollen uns hier einmal als »Sofa-Logiker« betätigen!

Aus Satz 1 und Satz 2 folgt: Kopfballschäden sind ein Teil Deutschlands. – Dazu eine Grafik:

Brennende Flaggen und Syllogismen

Was ist nun, wenn es einfach den Staatszielen widerspricht, dass A ein Teil von C ist?

Dann hat man zwei logische Möglichkeiten:

  1. Man sorgt dafür, dass A nicht mehr ein Teil von B ist.
  2. Man sorgt dafür, dass B nicht mehr ein Teil von C ist.

Auf Fußball angewandt:

  1. Man sorgt dafür, dass in ausnahmslos allen – auch den kleinsten regionalen – Fußballclubs die Regeln geändert – und geändert derart angewandt – werden, dass es keine Kopfbälle und damit keine Kopfballschäden mehr gibt. Wo andere Regeln mit Kopfballspiel zusammenhängen, müssen auch diese geändert werden. Wo Trainingspraxis etc. auf Kopfbälle zielt oder diese einbezieht, muss auch diese geändert werden.
  2. Man sorgt dafür, dass Fußball nicht mehr ein Teil von Deutschland ist.
  3. Man ändert die Staatsziele derart, dass sie auch Kopfballschäden in Kauf nehmen.

Neben den logischen Möglichkeiten gibt es auch die unlogischen, die das Problem bis zur jeweils nächsten Wahlperiode oder bis zum Übergang des Politikers in die Wirtschaft rhetorisch übertünchen:

  1. Man verneint, dass der Fußball ein Kopfballschäden-Problem hat und schreibt entsprechende Phänomene sozialen Faktoren zu.
  2. Man kümmert sich um Patienten mit Kopfballschäden, ändert aber nichts.
  3. Man schreibt jenen, die auf Kopfballschäden hinweisen, zu, in Wahrheit eine Abneigung gegen Fußballer als Menschen zu haben, weil sie selbst keine Fußballer seien. (Etwas Probleme hat man dann, wenn aktive oder ehemalige Fußballer selbst davon reden, dass A ein Teil von B ist.)

Uff!

Ich bitte Sie, selbst zu prüfen, ob meine Logik stimmt. Es könnte sich auch ein Fehler eingeschlichen haben. Ich könnte mich geirrt haben – ich bin ja eher »spirituell« als »religiös«, halte mich also nicht für unfehlbar.

Es gilt: Gut, dass es (meines Wissens) keine ernsthaften, weitverbreiteten Kopfballschäden im Fußball gibt. Immerhin haben wir unsere Logik ein wenig geübt.

Weiterschreiben, Wegner!

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