Dushan-Wegner

16.04.2020

Die Welt möge dein Spielbrett sein

von Dushan Wegner, Lesezeit 9 Minuten, Foto von Angel Luciano
Migranten werden in EU eingeflogen. Die »kranken kleinen Mädchen« wirken gesund – und männlich. Einer trägt »OBEY«, einer »A.C.A.B«, was für »All Cops Are Bastards« steht. Achtet darauf, was im Schatten des Corona-Virus so alles an Machtspielen läuft…
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Die Einleitung dieses Textes gibt es auch als vorgelesenen Podcast, auf YouTube, auf Spotify, bei SoundCloud oder natürlich via RSS-Feed.

Kennen Sie das Spiel »Risiko«? Es ist ein Spiel um nichts weniger als die Weltherrschaft. Oder zumindest um die Herrschaft über ein oder zwei Kontinente. Wenn Sie es gespielt haben, dann spüren Sie vielleicht, wie ich, schon bei der Erwähnung jenes Spiels, nicht nur Nostalgie, sondern sie fühlen in den Fingern noch immer die scharfen Kanten der typisch sternförmigen Plastik-Spielsteine.

Jeder Spieler befehligt Sternchen in der ihm zugeteilten Farbe. Blau, Rosa, und so weiter. Die Sterne hatten drei, vier oder fünf Zacken, und die unterschiedliche Zahl der Zacken stand für die jeweils symbolisierte Truppenstärke.

(Es gibt Varianten des Spiels »Risiko« wie heute die schmucke Herr-der-Ringe-Edition, da werden die Truppen von Reitern oder Orks dargestellt, doch im »Klassiker«, im »richtigen« Risiko-Spiel (also dem, mit dem ich aufwuchs, klar…), da stehen kleine spitze Sterne symbolisch für die Truppen. Wer es nicht kennt und es sich gar nicht vorstellen kann, der findet beim Wikipedia-Eintrag zum Spiel »Risiko« auch ein Foto der Figuren.)

Es sind kleine, spitze Stücke billigen Plastiks, diese »Truppen«, kein Zweifel. Doch für uns Spieler war es so viel mehr – es war, ja, sagen wir das Wort, es war Macht.

Zu Beginn des Spiels gaben Spielkarten uns Missionen auf, etwa die Armee einer bestimmten Farbe zu vernichten oder bestimmte Kontinente zu erobern.

Wenn man viel Zeit hatte, spielte man gleich um die vollständige Weltherrschaft, inklusive Ukraine, wie Kramer und Newman im TV-Klassiker »Seinfeld«.

Die Würfel steuerten das notwendige Quäntchen an Schicksal und Zufall bei, doch es war unsere Strategie, so fühlten wir, die zuletzt entschied, wie viel Spiel-Macht wir entwickeln würden.

(Anders als im Leben fallen die Würfel in Spielen meist mathematisch ausgewogen, im Leben fühlen sich die Würfel dann doch allzu oft »gezinkt« an.)

Wenn das Spiel »Risiko« zu Ende gespielt ist, gratuliert der Sieger sich selbst, alle anderen geben den Würfeln die Schuld, und man packt ordentlich Figuren, Karten und Spielbrett weg.

Im Spiel können wir ausleben, wofür wir in der realen Welt zu schwach, zu feige und wohl auch zu blöd wären.

Was wäre aber, wenn einige von uns, rein hypothetisch, ihre Welteroberungs-Gelüste nicht in die ordentliche Harmlosigkeit eines Brettspiels zu bannen bereit wären?

»Vermeidet es nach Kräften«

In Griechenland, auf der Insel Lesbos, wo Menschen anlanden um baldmöglichst nach Deutschland weiterzureisen, verliehen kurz vor Ostern einige der Wartenden ihrer Unzufriedenheit übers Wartenmüssen extra deutlich Nachdruck.

Um zu zeigen, dass sie doch in friedlicher Absicht kommen, so lesen und sehen wir, wurden uralte Olivenbäume gefällt und Kirchen vandalisiert (siehe etwa tichyseinblick.de, 15.4.2020 und andere).

Was könnte die Motivation sein? Man könnte die These aufstellen: Es geht auch um Macht. Lesbos und die Einwohner fühlen sich gewissermaßen »erobert«. Kirchen und Olivenbäume sind Stolz und Seele der Einwohner jener einst friedlichen Insel, und den greifbaren Teil ihrer Seele zu zerstören, das bedeutet, sie psychologisch seiner Macht zu »unterwerfen«. Und Lesbos ist nicht das einzige Lager an den Außengrenzen der Länder, die der Brüsseler Bürokratie unterworfen sind.

Es wird aktuell berichtet, dass in Luxemburg eine erste Einheit von »unaccompanied children« aus griechischen Lagern eingeflogen wurde. Zuvor hatte Deutschlands Chef-Populist Robert Habeck von »viele[n] Mädchen, viele[n] zerbrechliche[n] kleine[n] Menschen« gepredigt, die irgendwie in die EU gebracht werden müssen, konkret nach Deutschland (morgenpost.de, 23.12.2019). bild.de, 28.12.2019 stellt Media(4), Donya(7) und Diana(5) vor. – Auf dem aktuellen Foto bei reuters.com, 15.4.2020 sehen wir nun eine Reihe junger Menschen, und sie sind auf dem Foto überwiegend männlich, und dann doch deutlich älter als 4, 5 oder 7 Jahre. Hat Luxemburg denn kein Herz für kleine, kranke Mädchen und sagt denen »Nee, bleibt da, wir nehmen lieber die großen Jungs mit«? Der vorderste Junge auf dem Reuters-Foto trägt ein Sweatshirt mit dem signalroten Logo der Marke »OBEY« – zu Deutsch: Gehorche. Auf anderen Bildern, wo der Luxemburger Politiker Asselborn die jungen Leute in Empfang nimmt, trägt einer der Einwanderer ein Sweatshirt mit der Aufschrift »A.C.A.B«, was für »All Cops Are Bastards« steht (delano.lu, 15.4.2020). Nennen Sie mich altmodisch, aber ich vermisse die Zeiten, als Politiker noch nicht Einwanderer einflogen, die auf der Brust recht offene Kriegserklärungen an Recht und Ordnung trugen. Man fühlt sich machtlos.

Erdogan, so lesen wir aktuell, schickt derweil wieder tausende Migrationswillige »in Richtung EU« (welt.de, 14.4.2020) – das ist seine Form, immer wieder darauf hinzuweisen, wie viel Macht er über die Länder der EU hat.

Lesbos und die anderen griechischen Lager sind nicht das einzige Schlachtfeld, auf dem im Schatten der Pandemie um Macht gerungen wird!

Noch bevor wir überhaupt vom Virus erfahren haben, tobte wohl ein Krieg um die Informationen über dieses Virus, sprich um die Macht, zu bestimmen, was Wahrheit ist und was nicht. Inzwischen erreichen uns aus China immer mehr Informationen, wie Informationen unterdrückt worden sein könnten, vermutlich weil die Mächtigen fürchteten, dass ehrliche Informationen über das Virus ihre Macht gefährden könnten (theguardian.com, 11.3.2020). Einige Beobachter fragen inzwischen, ob und inwieweit die sogenannte »Welt-Gesundheits-Organisation« (»WHO«) durch das china-gefällige Herunterspielen des Virus-Ausbruchs in Wuhan nicht aktiv dazu beitrug, dass aus einer lokalen Epidemie erst die Pandemie wurde:

Das Problem der WHO: Sie übernimmt die Propagandazahlen über den Corona-Ausbruch des chinesischen Regimes und vermeidet es nach Kräften, die Machthaber in Peking zu kritisieren. bild.de, 15.4.2020

Schon vor dem Ausbruch des China-Virus hatte Trump sich mit dem »Reich der Mitte« angelegt, wollte via Schutzzöllen die Position der USA stärken – und dann kam das Virus, das angeblich aus der Fledermaus-Suppe stammt – oder auch nicht … (siehe »Die Sonne geht auf (oder auch nicht)«).

Als Trump aus Anlass der damals noch drohenden Pandemie beschloss, niemanden mehr aus China hereinzulassen (bbc.com, 1.2.2020), hörte man von der WHO (und anderen) noch Kritik, das sei unnötig (politico.com, 4.2.2020). In der linken Anti-Trump-Gazette »New York Times« wurde für deren in ihrer ganz eigenen »Realität« lebenden Leser geschrieben: »Wer sagt, dass es nicht sicher ist, nach China zu reisen? Die Coronavirus-Reise-Beschränkung ist ungerecht und funktioniert sowieso nicht.« (nytimes.com, 5.2.2020) – Es ging in jeder Sekunde nicht nur um die Bekämpfung einer Krankheit, es ging immer auch um Macht, manche könnten denken: es geht zuerst um Macht, und damit auch natürlich um Deutungsmacht.

Als Trump die Grenzen später für Europäer schloss, nölte Deutschlands Peinlichminister noch, dass es »nicht mit seinen Bündnispartnern abgestimmt« gewesen sei (focus.de, 12.3.2020). Als Trump ankündigte, dass die USA nicht mehr die mit »versagend« noch freundlich beschrieben WHO finanzieren wollte, sprangen in Deutschland die »üblichen Verdächtigen« ein, um der umstrittenen Organisation zur Seite zu eilen (Maas, Lambsdorff). Man fragt sich ja schon länger, welche Motivation solche Figuren treibt, doch wie auch schon beim Migrationspakt könnten wir in zynischen Momenten fast schon den falschen Eindruck gewinnen, dass es im Hintergrund auch ein klein wenig um Macht gehen könnte, wessen auch immer, und durchaus nicht immer nur um edle Absicht und Selbstaufopferung.

Unsere Hoffnung wird erfüllt

In der Zeichentrick-Serie »Pinky and the Brain« versuchen zwei Mäuse jede Folge aufs Neue die Weltherrschaft zu erobern. Natürlich scheitern sie jedes Mal, sonst wäre ja die Serie vorbei, doch sie versuchen es unter immer wieder neuen Rahmenumständen immer wieder aufs Neue. Und es ist so niedlich, wie es lustig ist – wie auch, ja, menschlich.

Viele, auch ich, hatten gehofft, dass Menschen die Corona-Pandemie nutzen würden, um sich, »auf das zu besinnen, was ihnen wirklich wichtig ist«.

Ich fürchte, unsere Hoffnung wird erfüllt werden – wir könnten nur darin enttäuscht werden, was es ist, das »den Menschen« wichtig ist. Es ist wohl Macht.

In der deutschen Geschichte des Spiels »Risiko« gab es über die Jahrzehnte eine interessante »politisch korrekte« Veränderung.

In den ersten Versionen des Spiels hieß es, man solle Länder und Kontinente »erobern«. Als es drohte, dass das harmlose Spiel auf den Index kommen könnte, wurde nach einigem Gezerre das Vokabular zu »befreien« und »auflösen« geändert. Später aber kam der Hersteller mit einer Europa-Version heraus, innerhalb derer man von Deutschland aus nach Polen einmarschieren konnte, was natürlich die Dauerempörten sofort empörte (taz.de, 20.3.2010).

Die Umbenennung von »erobern« nach »befreien« erinnert an die alten Scherze über eine noch ältere Weltmacht, welche angeblich besonders dorthin gern »Demokratie bringt«, wo es Öl zu holen gibt – und es müsste schon ein böser Mensch sein, der gegen das Geschenk der Demokratie wäre!

Die Prinzipien des großartigen Spieles »Risiko« bleiben dieselben, ob man vom »Erobern« spricht oder vom »Befreien«. Was sich ändert, ist der Name für die Spielzüge und der angewandte Begriff, in der Hoffnung, dass sich damit auch die moralische Bewertung ändert.

Es passt in die Zeit, dass man Eroberungen heute moralisch begründet – war es nicht schon in Zeiten der Kreuzritter so? (Siehe auch »Kleine Teile der sich wiederholenden Geschichte«.)

Der Kampf gegen das Virus ist ein moralischer (siehe auch Essay vom 27.2.2020), und wo die Moral überschäumt, da wurden schon immer auch die Karten der Macht neu verteilt.

Und gleich darunter

Nach dem einen Spielzug ist vor dem nächsten, im Spiel wie im Leben.

Die Nationen, Völker und, ja, die Bürger und Familien kämpfen gegen das Virus – und wir alle kämpfen bei unvollständiger Informationslage. Ein Unterschied zwischen manchen »derer da oben« und aller »unserer hier unten« ist, dass wir nicht Machtspiele spielen, dass wir eigentlich nur überleben wollen, dass wir die Schäden an unserer seelischen, körperlichen und wirtschaftlichen Gesundheit so niedrig wie irgend möglich halten wollen.

Beim Spiel »Risiko« empfiehlt es sich, seine Gegner so früh wie möglich anzugreifen, und dann immer wieder, denn die Angriffe kosten ihn seine Truppen und schwächen ihn (für mehr Risiko-Tipps siehe praxistipps.focus.de, 10.9.2018). Der Rat zum frühen und häufigen Angriff ähnelt mehr als uns lieb ist mancher Nachricht, die nur an der Oberfläche nach »Kampf gegen dieses neue Virus« klingt (klingen will?), und gleich darunter als »guter alter Kampf um Macht«.

Die Nachrichten- und Beschlusslage, wie lange die besonderen Maßnahmen noch dauern und welche Maßnahmen überhaupt notwendig erscheinen, bei all diesen Meldungen schwingen noch immer zwei weitere Ebenen mit. Die eine Ebene ist die der Informationen, die uns fehlen. Die zweite Ebene ist die der Machtkämpfe, des so wichtigen, geschichtsformenden wie in gewissem Licht eben doch lächerlichen Kampfes um politische Macht, um Deutungsmacht, und dann auch immer um die recht reine Macht des Geldes.

Wir, die Zuschauer, wir, die wir keine Truppen befehligen außer bei Spielabenden mit Freunden, wir, die wir mehr dem Steine im Schachspiel gleichen von dem gesagt ist, diesen Stein dürfe man nicht rücken (Kierkegaard, siehe »Das Lied der Innenhöfe«), wir wollen keine große Macht. Wir wollen überleben. Wir wollen keine Macht, außer die über unser Leben, über unser Schicksal, über das Schicksal derer, die uns wichtig sind – aber diese Macht dann eben doch.

Nein, wir wollen keine große Macht, aber hin und wieder etwas spielen, hin und wieder etwas von der Welt genießen, vom Land, das doch unser Erbe sein sollte, stünde uns das nicht zu?

Schauen wir denen da oben auf die Finger, wenn sie ihre Spiele spielen, wenn sie die Truppen aus Worten, aus Geld und manchmal aus Soldaten verschieben!

Was wünscht man denn einander, heute, wo uns die Spielzüge auszugehen drohen, wo wir Tag um Tag, Woche um Woche in unseren vier Wänden bleiben sollen? Deine Gesundheit möge halten. Dein Geist möge stark sein. Und, bald wieder: Die Welt möge dein Spielbrett sein!

Weiterschreiben, Wegner!

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