Dushan-Wegner

01.12.2017

Dürfte Satire einen Menschen töten?

von Dushan Wegner, Lesezeit 4 Minuten, Bild von Scott Webb
In einem Rechtsstaat sollte niemand über dem Gesetz stehen, nur weil er sein Tun »Satire« nennt.
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Es ist das tägliche Brot der Philosophen, sich absurde Fälle auszudenken, und dann nach einer Bewertung zu fragen. So klären wir die Ränder unserer Begriffe – und schärfen die Begriffe selbst.

Einige weitere bekannte philosophische Gedankenexperimente:

  1. Schiff des Theseus – Wenn wir bei einem Schiff nach und nach alle Planken austauschen, ist es noch immer dasselbe Schiff?
  2. Trolley-Problem – Wie ist es ethisch zu bewerten, einen Zug, der gerade in ein Unglück mit vielen Toten rast, so umzuleiten, dass der Zug nur wenige Leute tötet, welche aber bis dahin nichts mit der Sache zu tun hatten?
  3. Gehirn-im-Tank – Woher weiß ich, dass ich nicht nur ein Gehirn in einem Labor bin, dem alle Realität als Simulation vorgespielt wird?

Philosophen diskutieren diese Fragen in Aufsätzen und Gesprächsrunden, doch ihr eigentlicher Zweck ist, die Grenzen und Umrisse unserer Begriffe herauszufinden.

Erlauben Sie mir bitte, Ihnen weitere Gedankenexperimente als Fragen vorzulegen!

  1. Darf Satire einen Politiker in einem Cartoon als Clown darstellen?
  2. Darf Satire einen Religionsgründer verhöhnen?
  3. Dürfte Satire einen Menschen töten?

Lassen Sie uns die Punkte kurz einzeln besprechen!

Politiker als Clown

Die meisten von Ihnen (im »freien Westen«) werden zustimmen, dass man einen Politiker selbstverständlich als Clown darstellen darf. (Bei gewissen anderen NATO-Mitgliedern und »wirtschaftlichen Partnern« könnte eine solche Darstellung für ein Restleben im Gefängnis sorgen.)

Satire und Religion

Die Frage danach, ob Satire einen Religionsgründer verhöhnen darf, hängt von zwei Faktoren ab:

  1. Was bedeutet das Wort »darf«?
  2. Wie gefährlich und zahlreich sind die extremsten Anhänger der jeweiligen Religion?

Die Frage nach dem »Dürfen« hat viele Vor-Fragen: Was erlaubt das Gesetz? Was erlauben die Gerichte? Was wird von der Politik geächtet werden und von regierungsnahen Medien verfolgt, obwohl Gesetz und Gerichte es zulassen? Und, immer mehr: Was gefährdet in Folge meine Sicherheit und die Sicherheit meiner Familie?

Dürfte Satire töten?

Selbstverständlich werden wir alle die Frage, ob Satire einen Menschen töten darf, verneinen.

Indem wir nun übereinstimmend feststellen, dass Satire nicht töten darf, stellen wir logisch auch fest: Satire darf eben nicht »alles«. (Dass staatsnahe und teils via Gesetz finanzierte »Satiriker« sich in ihren Angriffen auf Regierungskritiker und Oppositionelle ausgerechnet auf Kurt Tucholsky berufen – der ja in der Gesinnung wie auch im Talent ihr vollständiges Gegenteil ist – das ist ein ganz eigener Hohn.)

Nein, Satire darf nicht »alles«

Wir haben festgestellt, dass Satire nicht »alles darf« – und auch nicht alles können dürfen sollte. Wenn Satire nicht töten darf, dann folgt daraus: Satire hat Grenzen, Satire muss Grenzen haben. Wo ziehen wir nun die Grenzen der Satire?

  • Darf Satire einem Menschen im Privatleben nachstellen?
  • Darf Satire öffentlich Falschbehauptungen über einen Menschen verbreiten?
  • Sollten wir Satirikern ein Übertreten von Gesetzen – oder auch nur von Anstandsregeln – erlauben, wenn solches bei einem Nicht-Satiriker geahndet würde?

Grundsätzliches

Wenn man danach fragt, was Satire prinzipiell sei, erhält man meist eher eine Aufzählung von Eigenschaften denn eine trennscharfe Definition. Kritik an Missständen, Mittel der Übertreibung und Polemik oder Abgleich von Ideal und Realität.

Eine Frage nur: Was unterscheidet eigentlich Satire von Hetze? War etwa der Stürmer »Satire«? Ist es »Satire«, wenn die linkspopulistische »Süddeutsche Zeitung« die antisemitischen Zeichnungen des Stürmer bildlich aufzugreifen scheint, um sie auf den jüdischen Mark Zuckerberg anzuwenden?

Mir scheint: Damit wir etwas »Satire« nennen können, müssen wir das Gefühl haben, dass die Überzeichnung und Zuspitzung berechtigt ist. Eine Übertreibung, die mir nicht berechtigt erscheint, erscheint mir auch nicht als Satire, sondern als Hetze.

Und hier liegt das Problem: Wie der Populismus ist auch Satire vs. Hetze eine Frage 1. der Perspektive und dadurch eben 2. der gefühlten Berechtigung. Der »Populist« vereinfacht Probleme und Lösungen auf eine Weise, die mir nicht gerechtfertigt erscheint. Der »Hetzer« überzeichnet und verhöhnt auf eine Art und Weise, die mir nicht gerechtfertigt erscheint.

Anwendung

Wenn wir – wie es derzeit geschieht – die Einschüchterung von rechten Politikern als »Satire« durchgehen lassen, würden wir es dann akzeptieren, wenn ein linker Politiker im Privatleben eingeschüchtert wird?

Linke und linke Zeitungen »interviewen« und »porträtieren« es, wenn per Gesetz finanzierte »Satiriker« sich in erniedrigenden Beschimpfungen über Meinungsabweichler auslassen – wenn aber ein Nicht-Linker sich ähnlich ausließe, ist es vorstellbar, dass Polizisten ihm die Tür eintreten, seine sozialen Accounts gesperrt werden und er selbst vor Gericht landet.

Mir scheint, die Antwort auf die Frage, »Was darf Satire?«, muss lauten: Alles, was jeder andere Bürger auch darf. Und: Nichts, was nicht jeder andere Bürger auch darf.

Was ich also hier setze, ist schlicht: Ein Rechtsstaat ist nur Rechtsstaat, wenn er für jeden Bürger gilt, also auch für die Regierung selbst und für jene, die ihr Geld damit verdienen, die Opposition und Meinungsabweichler zu bekämpfen.

Satirische Klausel

Dass der Rechtsstaat uneingeschränkt gelten soll, das ist ja heute selbst bald eine »umstrittene« Position – ich bitte deshalb, es im Zweifelsfall als Satire zu verstehen.

Weiterschreiben, Wegner!

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