Dushan-Wegner

24.06.2018

Propaganda und das Einfache

von Dushan Wegner, Lesezeit 9 Minuten, Bild von Enrapture Media
Alte Propaganda sagt: »Da ist der Feind, folgt uns!« – Neue Propaganda sagt: »Es ist kompliziert, vertraut uns blind!« – Es braucht Mut, offizielle Feindbilder abzulehnen. Es braucht Mut, darauf zu bestehen, dass manche Dinge eben doch einfach sind.
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Propaganda (so, wie ich den Begriff verwende) ist der professionelle Einsatz von Information, so dass Teile der Bevölkerung motiviert werden, gegen ihre eigenen Interessen zu handeln (auch eine Wahl ist eine Handlung). Mit »Interessen« meine ich hier die tatsächlich relevanten Strukturen, nicht die gefühlt relevanten! Letztere werden ja gerade durch Propaganda manipuliert.

Das ist der Grund, warum ich die Arbeit der Öffentlich Rechtlichen TV-Sender in Deutschland gelegentlich »Propaganda« nenne. Es spielt hier keine Rolle, was jene Journalisten sagen oder meinen, dass ihre Motivation ist, entscheidend ist das, was sie tatsächlich tun. Die publizistische Arbeit des quasi-offiziellen TV zielt im Effekt darauf – so scheint mir, unabhängig davon, ob sie es sagen oder auch nur heimlich denken – Bürger zu motivieren, gegen ihre eigenen Interessen zu handeln. (»Zielen« setzt nicht zwingend Intention voraus. Ein fliegender Pfeil hat ein Ziel, aber keine Intention.)

Alte vs. neue Propaganda

Ich sehe in den letzten Jahren einen neuen Trend bei Propaganda und propaganda-artiger PR-Arbeit. Ich will versuchen, zwei Denkansätze gegenüber zu stellen. Ich spreche von alter vs. neuer Propaganda.

Es ist nicht trennscharf und kein Wasser ist schlammiger als dieses. Erlauben Sie mir, zwei Propaganda-Ansätze herauszuarbeiten, vor allem als theoretische Konstrukte, die dann aber doch praktische Analysen erlauben. Ich meine, dass wir in der Vergangenheit viele Instanzen des einen, alten Ansatzes finden – und in der Gegenwart häufiger Instanzen des anderen, neuen Typus von Propaganda.

Alte Propaganda lehrte den Bürger fragwürdige Zusammenhänge, die auf externe Feindbilder zielten und das Volk motivieren sollten, dem Anführer in den Kampf zu folgen. (»X hat Y getan und wir wehren uns, indem wir Z tun!«) – Neue Propaganda schüchtert den Bürger ein, ja nicht in einfacher, unmittelbarer Kausalität zu denken, da die Welt »zu kompliziert« sei. (»Du Bürger kannst nicht sehen, was wovon verursacht wird. Überlasse das Denken deiner Regierung, wie das Kind den Eltern das Denken überlässt!«)

Beide, alte wie neue Propaganda, motivieren den Bürger, extra viel Macht über sein Leben an die Regierung zu übertragen.

Alte Propaganda sagt dem Bürger, dass es einen Feind gibt, den nur die Regierung zu bekämpfen weiß.

Neue Propaganda sagt dem Bürger, dass alle Zusammenhänge unklar sind, und nur die Regierung »richtig« damit umzugehen weiß – selbst wenn das Handeln der Regierung offensichtlich gegen die Interessen des Bürgers geht.

Alte Propaganda entmündigt den Bürger, indem es ihn auf einen willigen Untertanen reduziert, der die Regierung im Kampf gegen einen überzeichneten Gegner stützt. (In Teilen der Welt dienen etwa die USA und Israel als von der Propaganda gezeichneter Feind.)

Neue Propaganda entmündigt den Bürger, indem es ihn auf den Status eines unmündigen Kindes reduziert. Der Bürger soll sich selbst als dumm empfinden – und dann der Regierung die Macht geben, an seiner Stelle die rätselhafte Komplexität der Welt zu bewältigen.

Sicher, es gibt auch heute noch »alte« Propaganda. Man zeichnet auch heute noch diesen oder jenen Akteur als Feind. Doch alte, feindzentrierte Propaganda hat im Info-Zeitalter ein technisches Defizit: Feindbilder werden umso schwächer, je mehr Information hinzugefügt wird. (Selbst einfache Informationen, wie dass auch Russen ihre Kinder lieben, können ein Feindbild schwächen – siehe Stings Zeile »I hope the Russians love their children too« im Lied Russians.) Das ist ein »Problem« im Internet-Zeitalter. Noch immer versucht alte Propaganda, Feinde zu zeichnen, doch Bürger informieren sich und das Feindbild bröckelt. Selbst der von linkslastiger Presse als Inbegriff alles Bösen gezeichnete Donald Trump verbessert nach und nach seine Beliebtheitswerte, siehe Gallup vom 18.6.2018.

Wer ist denn die deutsche Partei, die extra wütend Feindbilder aufbaut? Die SPD. Die Politiker der SPD beleidigen regelmäßig den US-Präsidenten. Es war Außenminister Steinmeier, der den Kandidaten Trump einen »Hassprediger« nannte. Die vielen vulgären Beleidigungen von diversen SPD-Erfolgstypen muss man nicht nicht extra listen. Die SPD ist eine verlorene Partei auf verzweifelter Suche nach einem Feindbild. Besonders laut wüten sie derzeit gegen den eigenen Regierungspartner CSU. Gegen die AfD sowieso. Die CDU sollte noch »auf die Fresse« kriegen – bevor man mit ihr ein weiteres Mal ins Koalitionsbett stieg. Feindbilder werden noch gepflegt, doch man selbst glaubt nicht mehr an sie. Feindbilder taugen nicht mehr wirklich, um Leute hinter einen zu versammeln – siehe Umfragen.

Die Verkomplizierung allerdings, die funktioniert noch immer. Obwohl Menschen in der Folge von CDU-Politik sterben und Angst haben, aus dem Haus zu gehen, ist die CDU weiterhin Marktführer in den Umfragen. Menschen geben sich dem Verkomplizierer hin, selbst wenn dieser ihre Land beschädigt.

Innere Gegner der Propaganda

Beide Propaganda-Systeme werden nach innen gefährdet von Bürgern, welche die offizielle Linie hinterfragen. Abhängig von den Propaganda-Werkzeugen verwendet man unterschiedliche Namen und Begriffe für diese.

Das technische Mittel alter Propaganda war es, die Bürger im Kampf gegen einen offiziellen Hauptgegner zu einen. Kritikern wurde vorgeworfen, den gemeinsamen Kampf zu gefährden. Beispiele waren Begriffe wie das »Wehrkraftzersetzer« der NS-Propaganda oder das »Systemfeind« der DDR-Propaganda.

Das technische Mittel neuer Propaganda ist die Behauptung von Komplexität, die es angeblich erforderlich macht, das Denken der Regierung zu überlassen. Kritikern wird vorgeworfen, die Bemühung der Regierung zu gefährden, weil sie anstehende Probleme und ihre Lösung unangemessen vereinfacht darstellen. Für den Vorwurf der unangemessenen Vereinfachung steht der Begriff »Populist«. (Womit ich übrigens nicht gesagt habe, dass es niemanden gäbe, der tatsächlich Probleme unangessen stark vereinfacht.)

Dissident im Bällebad

Wer der neuen Propaganda widersprechen will, der begegnet einer Reihe von neuen Problemen.

Das erste Problem im Kampf gegen neue Propaganda wird in einer bekannten Redensart auf den Punkt gebracht: Es ist einfacher, Dreck an die Wand zu werfen, als ihn wieder abzukratzen.

Das bedeutet: Die Propaganda kann leicht hundert halbwahre Fakten in den Raum werfen, welche allein durch ihre schiere Menge den Eindruck erwecken, alles sei sehr kompliziert – und man müsse deshalb blind der Regierung vertrauen. Während sich der Propaganda-Kritiker (neudeutsch: »Populist«) an die Arbeit macht, die Fakten einzeln zu überprüfen, ihre Relevanz realistisch zu gewichten und Zusammenhänge nachzuzeichnen, kann die Propaganda hundert neue Fakten in den Raum werfen. Es erinnert an eine Szene, in der Zeichentrickserie Die Simpsons: Kinder werden in ein Bällebad geworfen, um sie ruhig zu stellen, und wenn sie doch quengeln, wird eine Schleuse geöffnet, und es werden tausende neue Bälle auf sie gekippt. (Es passt gut, dass jene, welche die neue, verkindlichende Propaganda zu begrüßen scheinen, sogar als Erwachsene gern Zeit im Bällebad verbringen.)

Was hat Friedman gesagt?

Als Beispiel: Eine heute wieder wichtige Kausalität wird häufig mit Hilfe eines bekannten Milton-Friedman-Zitat transportiert. Friedman sagte immer wieder, dass man offene Grenzen oder einen funktionierenden Sozialstaat haben kann, aber nicht beides.

Denken wir eine Sekunde lang darüber nach. Es ist eine wahre, logische Aussage. »Sozialstaat« bedeutet, Geld an Menschen zu geben, ohne dass diese zwingend eine Gegenleistung liefern. Alle moralischen Begründungen – die ich zum guten Teil teile! – ändern nicht die Tatsache, dass im Sozialstaat im Endeffekt gratis Geld verteilt wird. Wenn man alle anderen Faktoren wegrechnet, wird in einer Welt offener Grenzen der Staat, der das meiste Geld gratis verteilt, alle Menschen ins Land ziehen, die sich nicht selbst ernähren können oder wollen. Das ist zugleich logisch und in der Durchführung praktisch unmöglich.

In Ländern mit offenen Grenzen und Sozialsystem ist die eigentliche Frage, wann entweder das Sozialsystem jenes Staates kollabiert, oder wann jenes Land seine Sozialstandards so weit senkt, dass es weit genug hinter anderen Ländern liegt, so dass mobile Arbeitslose in jene anderen Länder weiterziehen.

Dieser logische Zusammenhang schmeckt natürlich den Open-Border-Enthusiasten nicht. Im Geist der neuen Propaganda kippen sie folglich immer wieder neue bunte Bälle über die Aussage. (Es ist erschreckend, wie viele davon es freiwillig tun, und dabei meinen, ein gutes Werk zu verrichten.)

Der fröhlich linksideologische » Bildblog« etwa schreibt eine Art Widerlegung des häufigen Verständnisses dieser Zeile. – Daraus: »Das Zitat wird gern als Argument gegen offene Grenzen und gegen illegale Migration angeführt. Dabei war Friedman vor allem gegen eins: den Sozialstaat. In seinem Werk »Chancen, die ich meine« schrieb er, dass der »welfare state« einer der größten Feinde der Wirtschaft sei.« (bildblog.de, 21.6.2018)

Es folgen Gedanken dazu, dass illegal in die USA eingewanderte Mexikaner keine Sozialhilfe beziehen. Der Bildblog zitiert Friedman darin richtig, dass illegal eingewanderte Mexikaner in den USA keine Sozialhilfe beziehen – und dass er als Kritiker des Sozialstaates damit kein Problem hat. Dass dem so ist, widerspricht in keiner Form der logischen Wahrheit der Aussage. Doch das muss sich der Leser erst erarbeiten.

Weiß man dort denn nicht, dass Merkel-Kritiker, welche diese Passage zitieren, sehr wohl die Details der Friedman-Argumentation kennen, siehe zum Beispiel Henryk Broder in welt.de, 19.6.2017? Weiß man nicht, dass Friedman deutlich macht, dass offene Grenzen bei gleichen Ansprüchen zu einer Absenkung des Sozialstandards für alle führen – also genau das, wovor diejenigen, die Friedman zitieren, warnen? Sieht man denn nicht, dass die Kontextualisierung keinesfalls dem Argument widerspricht, sondern es sogar von einer weiteren Seite aus zusätzlich bestärkt? Warum hat man sich nicht die Mühe gemacht, den Text zu übersetzen? Ist es gar Absicht, den Leser zuerst zu verwirren?

Es spielt keine Rolle, was die Motivation ist, manche »Gegenargumente« sind zuerst nur mehr Bälle ins Bällebad. Es ist eins von täglich vielen Beispielen solcher Vernebelung und wenig zielführender Verkomplizierung. Ich denke etwa an den Kampf des ironisch »Faktenfinder« genannten linksaktivistischen Flügels der Tagesschau gegen den Begriff »Grenzöffnung« (tagesschau.de, 18.6.2018), während man selbst in der Vergangenheit genau diesen Begriff benutzt hatte. (siehe z.B. tagesschau.de, 21.9.2016 oder tagesschau.de, 16.9.2015, via Archiv-Seits) Es ergibt wenig Sinn. Es ist schnell zu widerlegen mit einer einfachen Websuche. Während wir es mühsam einzeln widerlegen und dafür beschimpft werden, werfen diese Leute neue Bälle ins Bällebad und blasen weiteren Nebel in die Debatte.

Die alte Propaganda sagt(e): »Vorsicht, da ist der Feind! Folgt mir!« – Die neue Propaganda sagt: »Es ist zu kompliziert für dein kleines Hirn. Worte bedeuten heute ihr Gegenteil. Folge mir!«

In Zeiten alter Propaganda braucht es Mut, sich den Feind der Regierung nicht zu eigen zu machen. Nein, USA und Israel sind nicht das, als was manches Regime der arabischen Welt sie gern zeichnet. Nein, der Westen war nicht das, als was die Propaganda des Osten ihn im Kalten Krieg zeichnete. Es brauchte Mut, die Gegner der Propaganda nicht zu den eigenen Feinden zu machen.

Stur auf Kurs

Heute braucht es Mut, sich die Verkomplizierung der Propagandisten nicht zu eigen zu machen. Ja, es ist so einfach: Nein, du kannst nicht offene Grenzen haben und ein Sozialsystem – vielleicht nicht einmal einen Rechtsstaat.

Während die Verkomplizierer verkomplizieren (und in der Not auch mal auf gute alte Feindbilder zurückzugreifen suchen), entfalten die Kausalitäten ihre Wirkung. Das Schiff fährt auf Klippen zu. Je länger die Kapitänin stur auf Kurs bleibt, um so gefährlicher wird das kommende Manöver, so es dann überhaupt noch möglich ist. Wir brauchen keine Erklärungen über die Geschichte der Schifffahrt seit dem Frühneolitikum. Es braucht Politik mit Mut, das Steuer herumzureißen. Es sind an Wahnsinn grenzende Zeiten, wenn »Steuer herumreißen« schlicht bedeutet, dass der Staat sich wieder an geltendes Recht hält. Auch das ist einfach.

Weiterschreiben, Wegner!

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