Dushan-Wegner

03.09.2019

Den Gegner zeigen lassen, wer er wirklich ist – AfD als politischer Katalysator

von Dushan Wegner, Lesezeit 7 Minuten, Bild von Jez Timms
Wie wichtig ist den deutschen Parteien der Wählerwille – und damit die Demokratie? Ich sag' mal so: Nach dem Wählerwillen müsste die AfD jetzt in 1 bis 2 Bundesländern über Regierungskoalition und Ministerposten verhandeln – tut sie es?
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Wir stellen uns mal ganz dumm, und fragen, was ist ein Katalysator, und weil wir uns dumm gestellt haben, antworten wir »das Ding am Auspuff im Auto«, was wegen der Luft installiert wurde und jetzt wohl doch nicht genug ist, und das wäre fast halb richtig.

Wenn Chemiker aber »Katalysator« sagen, dann meinen die mehr als nur das luftreinigende Ding am Unterboden Ihres Ferraris, bei dem Katalyse das Grundprinzip ist. Für die Detailerklärung konsultieren Sie gern Wikipedia (»Katalysator«), wir wählen hier die einfache Variante, wonach ein Katalysator ein Stoff ist, der in anderen Stoffen eine Reaktion auslöst, ohne selbst dabei verbraucht zu werden.

Neben dem bekannten Fahrzeugkatalysator gibt es, als Beispiel, einen anderen Katalysator, dessen Ergebnis viele von uns regelmäßig genießen – bei der Käseherstellung dient das Lab als »Bio-Katalysator«. Katalyse ist Teil vieler Prozesse in der Industrie – und jetzt ist sie auch Teil der Prozesse in der deutschen Politik- und Meinungsindustrie.

Wer mit Ungeheuern kämpft

Am Wochenende wurde in Sachsen und Brandenburg gewählt. Die Bedeutung der Worte »gewinnen« und »Gewinner« ist im Kontext von Wahlen inzwischen etwas verschwommen, und in dieser Unschärfe haben in jenen Ländern jeweils die SPD beziehungsweise die CDU »gewonnen«, doch der »eigentliche Gewinner« der Wahlen war die AfD. – »Gewinnen« soll bedeuten, dass sie die meisten Stimmen einsammelte (genauer, aber komplizierter wäre: »die am wenigsten wenigen«). Mit »eigentlicher Gewinner« ist gemeint, dass sie im Vergleich zur letzten Wahl die meisten Stimmanteile dazugewann. (Bei aller Vorsicht mit Wikipedia, empfehle ich, der Referenz und zugleich Einfachheit halber, die Wikipedia-Einträge zu den Landtagswahlen jeweils in Brandenburg und Sachsen – es ist entspannter als die Nachrichten.)

Meine erste Reaktion war: Irgendwer überrascht? Nein. – Eine Weiter-so-Partei jeweils auf dem schwachen ersten Platz, die AfD jeweils weniger als die berüchtigte »Armlänge Abstand« dahinter, die FDP mit ihren quietschbunten Agenturslogans weiterhin draußen. Dass die SED deutlich verlor, das ist ein Hoffnungzeichen für Demokraten (dass sie überhaupt in umbenannter Form auf einem Wahlzettel stehen kann, bleibt eine magenverstimmende Schande). Nein, nichts Überraschendes im Ergebnis.

Als ich dann die ersten Sofort-Reaktionen der Staats- und Haltungsmedien sah, wendete ich mich zunächst angewidert ab. Ich musste an jene bekannte Warnung von Friedrich Nietzsche denken:

Wer mit Ungeheuern kämpft, mag zusehn, dass er nicht dabei zum Ungeheuer wird. Und wenn du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein.
(Friedrich Nietzsche, Jenseits von Gut und Böse)

Dass die AfD der eigentliche Gewinner der Wahlen war, das würden ja selbst die strammsten unter den Haltungsjournalisten nicht bestreiten, und einige ihrer Reaktionen lassen uns in einen dunklen Abgrund blicken, der gewohnt wenig über das Thema und erschreckend viel über den Zustand deutscher Meinungskonstrukteure aussagt.

Im TV-Bild gerahmt

Eine bewährte Lebensregel lehrt uns: Die Ausnahme bestätigt die Regel.

Die Regel zu beschreiben und zu bebildern ist an diesem Punkt fast schon müßig, deshalb hier nur ein Fingerzeig. – Haltungsjournalisten schäumen und wüten, ihre Sprache kennt kaum noch Grenzen, von Staatsfunkern wie Georg Restle (Bsp. 1, Bsp. 2, Bsp. 3) bis zur neuerdings neulinken FAZ (Bsp. 1, Bsp. 2, Bsp. 3), um von Publikationen wie der Zeit (Beispiel) über diese Erwähnung hinaus lieber zu schweigen.

Im Staatsfunk wird der AfD-Chef Alexander Gauland buchstäblich so »geframed« (im TV-Bild gerahmt), dass hinter ihm ein Plakat erscheint mit dem Wort »Rassisten« (@HaraldBecker80, 1.9.2019) – dasselbe Plakat findet sich dann bei einem Staatsfunk-Social-Media-Account (@COSMO__ARD, 2.9.2019), wenig überraschend wird es zusätzlich  unter anderem vom Staatsfunker Böhmermann verbreitet. Ein Verschwörungstheoretiker würde fragen, wie gut sich Kameramann und Protestierer kannten.

(Apropos, eine Randnotiz: Im Dunstkreis jenes ZDF-Aktivisten wird derzeit ein Projekt namens »hassmelden.de« beworben, und man muss nicht lange spekulieren über die Inhalte – es riecht nach simpler Denunziation abweichender Meinungen, welche dann an die Behörden weitergeleitet werden, in der Hoffnung, etwas davon würde einen eifrigen Staatsanwalt finden und der Abweichler ins Gefängnis geworfen. Deren Slogan ist ernsthaft, siehe @ReconquistaNetz, 8.8.2019: »Gemeldet. Geprüft. Angezeigt.«)

Die alte Regel nun, wonach Regeln von ihrer Ausnahme bestätigt werden, hat eine neue, beinahe tragische Tagesleitfigur, eine Abweichlerin, an welcher nun Politik und medialer Haltungsblock ein Exempel statuieren.

Eine Moderatorin des MDR, also des Staatsfunks, ist bei einer Frage für wenige Sekunden vom Einheitsnarrativ abgewichen, als sie in einer Frage die mathematisch mögliche CDU-AfD-Koalition als »bürgerlich« bezeichnete (siehe etwa rp-online.de, 2.9.2019, @WeiseKai, 2.9.2019, welt.de, 2.9.2019). Man könnte fast glauben, Pressefreiheit sei beim Staatsfunk wenig mehr als die Freiheit, zu sagen, was die Eliten als sagbar festlegen. Ist das übertrieben? Nun, sogar die Regierung schaltete sich in Form ihres »Ostbeauftragten« öffentlich ein, um die Abweichlerin des Staatsfunks zu rügen (derwesten.de, 3.9.2019) – weit überraschender als die scheinbare Einflussnahme der Regierung auf den Staatsfunk fand ich an dieser Meldung die Tatsache, dass es einen »Ostbeauftragten« gibt – das hatte ich nicht gewusst.

Wählerwillen und Demokratie

Nun ist die AfD also zweitstärkste Kraft in zwei Bundesländern. Ein guter Teil der AfD-Mitglieder wie auch ihrer Wähler stammt aus dem Kreis der übrigen Parteien, und sie haben meist nur deshalb die Partei gewechselt, weil ihre ehemaligen Parteien ins Linksglobalistische oder gefühlt Anti-Deutsche abdrifteten – während die Wechsler bei ihren Grundeinstellungen geblieben sind, also etwa »Grundgesetz plus Amtseid«, was heute ja de facto als »rechtsextrem« verunglimpft wird.

Aus Berlin wird derweil den Marionetten auf Landesebene nochmal deutlich gemacht – als ob sie die Ermahnung bräuchten – dass es keine Koalitionen mit den Merkelkritikern geben darf (n-tv.de, 2.9.2019, zdf.de, 2.9.2019 und andere). – Wie wichtig ist den deutschen Parteien der Wählerwille und damit die Demokratie wirklich? Ich sag‘ mal so: Nach dem Wählerwillen müsste die AfD jetzt in 1 bis 2 Bundesländern über Regierungskoalition und Ministerposten verhandeln – tut sie es?

Wenn Wahlen etwas ändern würden

Alexander Gauland hat die AfD einmal als »gärigen Haufen« bezeichnet, und es ist eine wahrlich präzise Metapher, doch mit dem Einzug der AfD in den Bundestag und nach diesen Landtagswahlen wird eine weitere chemische Funktion deutlich: Die AfD ist ein politischer Katalysator, der in Zeitungen und anderen Parteien manche freiheitliche Maske vom Gesicht reißt – und in manchen Fake-Demokraten das Totalitäre hervorbrechen lässt.

Etablierte geben jetzt öffentlich und, auch das wörtlich, scham-los bekannt, dass sie nicht einmal darüber nachdenken würden, dem in den Stimmen der AfD manifestierten Wählerwillen eine Chance zu geben, sich in einer Regierung wiederzufinden. Sachsens CDU-Mann diffamiert die Wähler und Steuerzahler, welche es wagten, für die AfD zu stimmen, als »unfreundlichen« Teil von Sachsen – weiter brav Steuern zahlen für die CDU sollen sie dennoch – und der Staatsfunk berichtet das natürlich gern (meta.tagesschau.de, 1.9.2019). Wenn Wahlen etwas ändern würden, so sagt ein böser Spruch, wären sie verboten, und wenn die konsequenten Kritiker des Merkelschen Klippenkurses noch stärker werden, werden Staatsfunk und Haltungsjournalisten auch für ein Wahlverbot gewiss eine »moralische« Begründung finden. – Nein, noch verbietet man Wahlen nicht, auch wenn immer und immer wieder vor Ort auffliegt, wie kleine Propaganda-Opfer versuchen, Wahlen zu fälschen und AfD-Stimmen den Grünen aufzuschlagen (vergleiche etwa tagesspiegel.de, 27.8.2019).

Wenn Wahlen etwas ändern würden, dann würde man sie verbieten? Nun, man muss sie nicht verbieten, solange die Etablierten einen Weg finden, die Stimmen missliebiger Wähler zu ignorieren.

Das ist eben so

Dies sind Krisenzeiten – wer wollte das ernsthaft bestreiten? – und Krisenzeiten lassen zuverlässig wahren Charakter durch die gammelnden Kulissen durchscheinen.

Gibt es schwierige Charaktere in der AfD? Keinen Zweifel, die gibt es, wie in jedem Verein, wenn es auch weniger derart offene Sympathien zu Extremisten gibt wie etwa die Sympathien zu Linksextremen beim Staatsfunk oder den Grünen, doch deutlich gruseliger ist der Katalysator-Effekt, den die AfD auf Haltungsjournalisten und etablierte Parteien hat.

Kann man einem Menschen oder einem Verein wirklich vorwerfen, dass er andere Menschen dazu bringt, zu zeigen, wer sie wirklich sind, und dass dieses dann hässlich ist? Kann man es der AfD vorwerfen, dass Journalisten und Eliten, auf sie reagierend, ihre Masken fallen lassen und wie undemokratische Totalitäre wirken?

Wie Sie als Leser wissen, baue ich meine Ethik auf den relevanten Strukturen auf, und daraus lässt sich ableiten: Handle jederzeit so, dass du deine relevanten Strukturen stärkst (und welche das sind, das herauszufinden ist ein Leben lang deine Aufgabe). Wenn ich aber eine Fußnote anfügen dürfte: Wenn deine Taten deinen Gegner provozieren, sich wie Lumpen zu gerieren, dann ist das ihre Schuld und Verantwortung, nicht deine. Die AfD bringt in Haltungsjournalisten und Parteien einige sehr üble Seiten hervor, die sowieso in denen steckten.

Das ist etwas, das man von der AfD lernen kann, auch fürs persönliche Leben: Nicht immer gelingt es dir, durch dein Handeln die Welt zu verbessern, manchmal sind die Gegner einfach zu stark – doch du kannst immerhin deine Gegner dazu bringen, zu zeigen, was für Charaktere sie wirklich sind.

Die Landtagswahlen von Sachsen und Brandenburg werden erschreckend wenig verändern – die ganz große Koalition der Merkelhelfer wird sich irgendwie neu zusammenfinden und sie wird es Demokratie nennen, und doch haben die Wahlen ernstzunehmende Risse offengelegt. Die AfD hat als Katalysator manche Offenbarung angestoßen, und das, was manche Journalisten und Parteien von sich offenbaren, das ist nicht hübsch.

Es ist ein Riss in allen Dingen, so heißt es, und das ist, wie das Licht hinein gelangt. Wenn du schon die Dinge nicht reparieren kannst, dann hilf wenigstens, dass Licht hineingelangt, doch wisse, dass man dich dafür hassen, bekämpfen und doch heimlich bewundern wird, das ist eben so mit Lichtbringern.

Weiterschreiben, Wegner!

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