Dushan-Wegner

12.04.2018

Politiker und Kinder – eine persönliche Entscheidung mit Konsequenzen fürs Land

von Dushan Wegner, Lesezeit 10 Minuten, Bild von Toni Cuenca
Es gibt Themen, über die »spricht man nicht«, und doch wirken sie in die Gesellschaft hinein. Ich will über das schwierige Thema »kinderlose Entscheidungsträger« sprechen – alles andere fände ich feige.
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Es gäbe auch andere Möglichkeiten der Vermehrung! Zellen etwa teilen sich einfach selbst, und manche Würmer, habe ich gehört, kann man zerschneiden und dann hat man eben zwei Würmer. (Bevor Sie das selbst ausprobieren, fragen Sie lieber einen Biologen, ob das stimmt!) Apfelbäume werfen einen Apfel ab, der wird dann gefressen und die Kerne werden anderswo ausgepupst, und dann wächst da ein neuer Apfelbaum – außer natürlich der Apfel rollt nicht weit vom Stamm, und wächst lieber im Schatten des alten Baums. Der braucht dann später jahrelang Therapie, denn es ist nicht einfach, mit einem übermächtigen Vater sein eigener Apfelbaum zu werden; fragen Sie Kafka!

Aber, nein. Gott hat Humor, und also hat Er beschlossen, dass wir, die wir zu Seinem Antlitz geschaffen sind, uns vermehren sollen, indem wir schreiende, stinkende, die Wände beschmierende und Taschengeld einfordernde kleine Engel produzieren, und dann diese schulpflichtigen Dämonen so lange davon abhalten, sich und die Welt zu zerstören, bis wir alt und sie erwachsen sind.

Was ist Erziehung?

Ich wage die Behauptung, dass es keine Mutter und keinen Vater gibt, zumindest in der westlichen Welt, die nicht mindestens einmal nachgedacht haben, wie ihr Leben wohl verlaufen wäre, wenn sie keine Kinder gezeugt hätten. Es gibt viele Gründe, keine Kinder zu haben, ob es nun die Kosten, die auf Nahe-Null eingeschränkte echte Freizeit oder die beanspruchende Karriere als Vertriebsleiter Niedersachsen-Süd ist.

Ich kann gut verstehen, dass und wenn Menschen keine Lust haben, ihre genetische Linie fortzuführen.

Deshalb, lassen Sie mich Ihnen, die Sie zu schlau oder zu jung für eigene Kinder sind, mittels eines Vergleichs davon erzählen, wie Erziehung wirklich ist.

Stellen Sie sich vor, Sie müssen einen wichtigen Vortrag halten. Ihre berufliche Zukunft hängt vom Gelingen dieses Vortrags ab. Vor allem aber werden Menschen nach dem, was Sie sagen, ihr Leben ausrichten, und Sie werden dafür verantwortlich gemacht werden. – Sie werden angekündigt, das Licht wird auf Sie gerichtet, die Mikrofone knistern neugierig. Nur haben Sie keinen blassen Schimmer vom Thema. Ja, eigentlich wollten Sie selbst zum Thema nachfragen, eigentlich war Ihnen selbst nicht einmal die Grundfrage klar, doch jetzt müssen Sie reden, vor Tausenden, und alle im Raum wissen mehr über das Thema als Sie. Es hilft alles nichts; Sie müssen reden. Sie sagen die ersten Worte und dann noch einige. Ihr Gehirn rast wie ein Motor im sechsten Gang. Sie versuchen live und in Echtzeit, etwas halbwegs Zusammenhängendes zu sagen, was nicht in vollständigem Desaster oder Gefängnisstrafen für die Beteiligten enden wird – man wird ja sein Leben nach Ihnen ausrichten und Ihnen die Schuld geben! Sie tasten sich Wort für Wort vor und beobachten panisch und zugleich fasziniert die Reaktionen des Publikums,

So ungefähr ist Erziehung. Sie wissen nicht wirklich, was Sie tun, aber wenn es schief geht, bricht die Welt zusammen.

Eltern haben maximale Verantwortung und müssen so tun, als ob sie wüssten, was sie tun – dabei fühlen sie sich selbst allzu oft wie Kinder. (Ich kenne auch, ganz wenige, Eltern, die meinen, sie hätten alles begriffen. Diese Leute wählen die Grünen und sind auch sonst recht irrtumsbehaftet.)

Genau deshalb ist Erziehung eigener Kinder eine wunderbare Schule auch und besonders für die Politik.

Politik und Kinderlosigkeit

Es gibt diese Themen, von denen ahnen wir zwar, dass sie wichtig sind und Einfluss auf unser Schicksal haben, aber wir möchten uns denen nicht stellen, aus Angst, Menschen zu verletzen. Eines davon ist die häufige Kinderlosigkeit von Meinungsmachern und Politikern.

Mir ist sehr wohl bewusst, dass unter Ihnen, meinen Lesern, einige keine Kinder haben, aus verschiedenen Gründen. Die richtige Konsequenz daraus scheint mir, extra vorsichtig darüber zu sprechen. Es ist nie meine Absicht, Menschen zu verletzen. Die falsche und feige Konsequenz wäre, das Thema zu vermeiden. Zu viel Unglück passiert, weil Menschen zu feige sind, unbequeme Themen anzusprechen.

Es geht nicht um mich

Ist Hans-Peter Friedrich schuld am größten Fehler einer Regierung der Bundesrepublik Deutschland? Man könnte zu dem Schluss kommen, indirekt.

Beim Lesen des Buches »Die Getriebenen« von Alexander Robin überläuft einen an mehr als nur einer Stelle ein kalter Schauer.

Bis heute ist mir folgende Passage besonders unbegreiflich: »Die Unions-Innenpolitiker drängen Merkel bewusst nur intern, die Grenzöffnung rückgängig zu machen. Sie wissen, dass öffentlicher Druck auf die Kanzlerin kaum weiterhilft. Ihren Kurs würde Merkel wohl nur dann korrigieren, wenn es so aussähe, als sei dies ihre eigene Entscheidung. Noch besteht dazu die Möglichkeit. Merkel hatte die Grenzöffnung ja selbst als ›Ausnahme‹ begründet. Sie könnte also ein Zurück zur Normalität verkünden, ohne zugleich einen Fehler einzugestehen.« (Robin Alexander: Die Getriebenen)

Friedrich, schreibt Alexander, hatte mit Merkel noch eine Rechnung offen. Er wollte im Spiegel harsche Kritik an Merkels Selfiepolitik äußern. Der lehnte ab, weil es nicht gepasst hätte zur Jubelarie von von der Leyen im gleichen Heft; Friedrich publiziert in seinem lokalen Hausblatt. Passagen aus seinem Interview (»völlig unverantwortlich«, »islamistische Schläfer«, »naiv und blauäugig«) machen dennoch die Runde. Man könnte nun zuspitzend interpretieren: Hätte Friedrich nicht zu falscher Zeit das Richtige gesagt, wäre Deutschland der Merkel-Welteinladung-Wahnsinn vielleicht erspart geblieben.

Es wäre selbstverständlich lächerlich, Friedrich wirklich eine Schuld zu geben. Eine Kanzlerin hat in ihren Entscheidungen darüber zu stehen, was dieser oder jener sagt. Wenn Friedrich sagt, dass es regnet, und es tatsächlich regnet, wird Merkel dann aus Trotz auf den Regenschirm verzichten und so tun, als würde die Sonne scheinen?

Die Friedrich-Episode samt des zitternden Leisetretens der CDU-Innenpolitiker aber macht deutlich: Man traut Merkel zu, Deutschland schweren Schaden zuzufügen, nur um ihr eigenes, fragiles Ego zu bewahren. Menschen werden in Deutschlands Straßen mit Messern abgestochen, Deutschland hat ungeprüft Terroristen einwandern lassen, Bürger werden zu Einwohnern zweiter Klasse im Land, das sie selbst aufgebaut haben – alles vielleicht nur, weil es Merkels Ego angekratzt hätte, Friedrichs Ratschlag anzunehmen. Merkel lässt sich »Mutti« nennen – es ist eine Verhöhnung aller Mütter.

Für Eltern ist es selbstverständlich, dass das Wohl der Kinder und das Projekt Familie weit relevantere Strukturen darstellen als das eigene Ego. Unter jenen, die Merkels Welteinladung gefolgt sind, mag es welche geben, die das anders sehen – siehe etwa Ehrenmorde am eigenen Kind – doch zumindest in westlicher Zivilisation ist es eine Selbstverständlichkeit, dass das Wohl des Kindes vor meinem Ego kommt. Würde ich eine gute Schule für mein Kind ablehnen, weil jemand, den ich nicht mag, sie mir empfohlen hat? Würde ich ein Kind nicht zum Arzt bringen, weil ein Schnösel mich darauf hinwies, dass es krank ist? Würde ich gar zulassen, dass mein Kind in Gefahr gerät, weil ausgerechnet mein Intimfeind mich auf die drohende Gefahr hingewiesen hat?

Kinder trainieren ihre Eltern täglich darauf, das eigene Wohl hintan zu stellen. Der kinderlosen Merkel etwa geht diese Fähigkeit vollständig ab. Sie ist bereit, ein Land in den Hinterhof der Geschichte zu lenken, nur um ihr Ego nicht anzukratzen.

Ich sage nicht, dass kinderlose Politiker nicht in der Lage sind, Ihr eigenes Wohl hintan zu stellen – ich stelle lediglich fest, das aber deutlich, dass Eltern, also reguläre Eltern, nicht reiche Eltern mit Nanny von Tag 1 an, darauf trainiert werden, dass der Erfolg des gemeinsamen Projekts die eigentlich relevante Struktur ist.

Sicherheit und Zukunft

Bei unserem ersten Kind haben wir noch Gummi-Schutzecken an den Couchtisch geklebt und Sicherheitssperren in die Schubladen montiert. Das zweite Kind dagegen darf von mir aus mit Küchenmessern jonglieren und den Dobermann des Nachbarn am Schwanz ziehen. (Ich mache natürlich nur Spaß; der Dobermann des Nachbarn hat gar keinen Schwanz.)

Ich habe gehört, dass es nicht nur uns so geht. Es ist recht normal, beim ersten Kind noch die Welt wattieren zu wollen und beim zweiten einzusehen, dass es eventuell die Welt ist, die vorm Kind geschützt werden muss.

Es ist nicht so, dass ich das Sicherheitsdenken heute aufgegeben hätte. Es ist noch immer meine Pflicht, Schäden von meinen Kindern abzuwehren. Meine Bemühungen dazu werden nur spezifischer, genauer.

Zur Sorge um die langfristige Sicherheit meiner Kinder gehört, unter anderem, dass ich sie subtil zu sinnvollen Berufen anleite. Sie dürfen werden, was sie wollen, solange es Arzt, Jurist oder Ingenieur ist. Programmierer oder Mathematiker ist auch super. Wenn die Blagen aber Philosoph werden wollen sollten, schicke ich sie zum Therapeuten. (Psychodoktor dürfen sie auch werden, solange es einer von denen ist, die vorher Medizin studiert haben.)

Eltern werden von ihren Kindern täglich darauf trainiert, vom Ergebnis und Ende her zu denken, und dieses Ergebnis soll sicher und verlässlich erreicht werden können.

Ich kann gut damit leben, wenn mein Kind mich für einen Moment doof findet, weil ich ihm etwas allzu Gefährliches verboten habe. Ich definiere meinen Erfolg von Ergebnissen her, die Jahre und Jahrzehnte in der Zukunft liegen, einige Erfolge werden sogar vielleicht erst eintreten, wenn ich tot bin. Das ist okay; Sicherheit und langer Atem gehören zusammen.

Ich sage nicht, dass es nicht möglich ist, kinderlos zu sein und dennoch auf Sicherheit und lange Sicht zu spielen. Ich sage, dass Eltern täglich darauf trainiert werden, während Kinderlose sich das via Bildung und Reflexion erarbeiten müssen. Mancher kinderlose Politiker spielt das Politikspiel, als ob mit seinem Abgang sowieso alles dunkel würde.

Mir meiner Fehlbarkeit bewusst werden

Ich weiß zu wenig, und wo ich etwas weiß, kann ich nicht wirklich durchgreifen. Besonders Verantwortungsträger in Parteien – gleich welche Partei – können ein Klagelied dazu anstimmen: Praktisch jeder kann eintreten (in die SPD sogar Hunde!), praktisch niemanden kann man austreten (was macht eigentlich Sarrazin?), jeder kann öffentlich verkünden, was ihm gerade durchs Gehirn spukt, und der politische Gegner kann dann so tun, als stünde der Facebook-Post eines betrunkenen Neu-Mitglieds nachts um zwei für die Geisteshaltung der gesamten Partei, und über dem verabschiedeten Parteiprogramm sowieso.

Auch Eltern kennen diese Unsicherheit. Man hofft und macht, doch der Nachwuchs erdreistet sich dann, seinen freien Willen auszuleben, und die Realität hilft ihm noch dabei.

Politiker wie Eltern haben jeweils ihre eigene »Lösung« für diese Unsicherheit gefunden. Wer in der Merkel-Partei aufmuckte, wurde über die Jahre abgesägt (außer Spahn, der wurde ins Gesundheitsministerium abgeschoben). Merkel reduzierte ihre Partei auf einen Merkel-Wahlverein ohne Sinn und Auftrag jenseits der Sicherung von Merkels Macht. Wenn Merkel dereinst abtritt, so etwa zur Bundestagswahl 2041, wird die CDU erst einmal auf einen Selbstfindungs-Trip gehen müssen; ich empfehle Indien, mit Ayurveda, Meditation und täglichem Einlauf.

Das Gefühl der Hilflosigkeit als Eltern ist völlig normal. Man könnte es als Schule für einen selbst akzeptieren. – »Lass los!«, würde der Buddha sagen. Manche Eltern weigern sich aber, loszulassen und hinzunehmen, dass nicht alles ihrer Kontrolle unterliegen wird. Diese Eltern nennt man »Helikoptereltern« (wobei ich Eltern, die in verändertem Sicherheitsklima ihre Kinder lieber bis vor die Schule fahren, explizit herausnehme).

Eltern zu sein lehrt den Menschen die Grenzen der eigenen Machbarkeit. Eltern zu sein lehrt einen, dem Lauf der Dinge ein Stück weit zu vertrauen. Man trägt nach wie vor volle Verantwortung und fehlende Sicherheit macht alle übrigen Maßnahmen zur Makulatur, und gerade deshalb muss man klug sein darin, was man loslässt und was man absichert.

Trainiert!

Kinder zu haben ist ein Training in Eigenschaften und Charakter-Zügen, die auch Politikern und Meinungsmachern gut zu Gesicht stünden. Wer Kinder hat, wird darin trainiert, eigene Kränkungen und Befindlichkeiten zugunsten der gemeinsamen, größeren Sache zurückzustellen. Wer Kinder hat, dem wird das Bedürfnis nach Sicherheit zur zweiten Natur – ohne Sicherheit aber gehen Völker und Nationen unter. Wer Kinder hat, der kann gar nicht anders, als über den Tag und sogar über den naturgemäß begrenzten Rahmen des eigenen Lebens und Wirkens hinaus zu denken.

Ich sage nicht, dass kinderlose Politiker diese Eigenschaften nicht auch erwerben könnten. (Und ich sage auch nicht, dass jeder, der Kinder hat, automatisch über den Tag hinaus denkt et cetera.)

Es ist jedoch ein kaum zu leugnendes Phänomen, dass unsere Politiker auffällig häufig erstens kinderlos sind und zweitens leider zu oft ihre Macht, ihre Partei und ihre Karriere vor das Wohl des Landes und der Menschen stellen. Ähnliches gilt aber auch für Meinungsmacher, das sollte man nicht leugnen. Googlen sie mal die Moderatoren und Medienbeweger!

Wer keine Kinder großzieht, dem fehlt ein Teil der Erfahrung, welche die Menschheit bis hierhin durchgemacht hat. Das ist kein Vorwurf, sondern zuerst einmal schlichte Tatsache. Ich nehme an, dass man einen Teil dieser Erfahrung auch via Bildung und Empathie nachvollziehen kann (ein dabei nützliches Framework habe ich in Relevante Strukturen vorgelegt), doch man muss es auch tun!

Das Problem ist nicht, dass die Schöngeister und Auftragsschwätzer kinderlos sind – Kinder zu haben ist noch immer eine persönliche Entscheidung. Das Problem ist, dass ihnen offensichtlich das Denken über die Tagesempörung hinaus fehlt. Das Problem ist, dass sie nie gelernt haben, mit Denkmustern zu leben, die von den ihren abweichen. Das Problem ist, bei Merkel wie bei Medienmachern, dass sie trotz aller Evidenz einfach nicht begreifen, dass sie fehlbar sind.

Habt Kinder oder lasst es sein, es ist mir jetzt erstmal wurscht. Doch wenn ihr keine habt, stellt sicher, dass ihr über den Tag hinaus denkt, dass ihr loszulassen lernt, dass ihr Sicherheit zum Sine-qua-non eures Handelns macht. Das ist alles, doch ohne wird es schwer.

Weiterschreiben, Wegner!

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