Dushan-Wegner

24.02.2019

Öffentlich-rechtliche Enthemmung

von Dushan Wegner, Lesezeit 9 Minuten, Bild von Scott Umstattd
Haltungsjournalisten agitieren gegen Abweichler, nennen sie »Arschlöcher«, »Gegner«, »Idioten«. – Was würden diese Leute tun, wenn sie die Möglichkeit bekämen, störende Andersdenkende ins Gefängnis werfen und dort sterben zu lassen?
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Am 9. April 2009 starb Omid Reza Mir Sayafi im iranischen Evin-Gefängnis (siehe etwa globalvoices.org, 19.3.2009).

Mir Sayafi war der erste Blogger, sagt man, der in Folge seiner Texte starb. Als er starb, erwartete er ein Verfahren wegen Beleidigung des Islam. Er soll sich selbst via Tabletten-Überdosis getötet haben, doch seine Familie bezweifelt, dass er im Gefängnis dafür genug Medizin dabei hatte (rferl.org, 19.3.2019).

Mir Sayafi wurde, soweit man weiß, Muhāraba vorgeworfen (auch als ḥirāba bekannt). Es ist ein Begriff aus der islamischen Rechtslehre. Muhāraba bezeichnete ursprünglich, grob umrissen, eine kriegerische Handlung gegen die islamische Ordnung, beziehungsweise gegen den Propheten. Für Muhāraba sind verschiedene Strafen möglich, etwa Tötung durch Kreuzigung, oder das Abhacken von Händen oder wechselweise der Füße (Sure 5, Vers 32, islam.de). Doch, zumindest laut Koran ist die Strafe an Leib und Leben nicht die einzig mögliche Strafe, denkbar ist auch, dass »sie aus dem Lande vertrieben werden« (ebenda).

Der Geist und die Absicht des modernen Gebrauchs der Muhāraba scheint klar: Der Andersdenkende, der Kritiker, der das verwobene System von Dogmatik, offizieller Wahrheit und Machtstrukturen hinterfragt, soll ausgestoßen werden, soll ins gesellschaftliche Abseits gestellt werden, und zwar derart, dass er sein Ausgesperrtsein schmerzhaft fühlt und eventuelle Nachahmer früh abgeschreckt werden.

Der Begriff der Kriegsführung könnte verstanden werden als Störung der islamischen Ordnung oder wohl auch schmerzhafte Kritik an Obrigkeiten. Als Mir Sayafi starb, erwartete er, so weit man weiß, ein Verfahren wegen Beleidigung des Islam, sprich: Muhāraba. (Für aktuelle Fälle siehe etwa »Sagt mir nur, wo mein Kind ist« bei taz.de, 20.1.2018.)

Die Murmel der Aufklärung

Stellen Sie sich eine runde Schüssel vor, und in dieser Schüssel befindet sich eine Murmel. Stellen Sie sich bitte weiter vor, dass Sie diese Schüssel in beiden Händen halten; Sie bewegen die Schüssel so, dass die Kugel im Kreis rollt, immer weiter außerhalb der Mitte der Schüssel, bis die Murmel an der Wand der Schüssel entlang rollt.

Es erfordert sowohl Sorgfalt als auch Energie, die Kugel von der Mitte der Schüssel fortzuhalten. Sollten Sie in der Mühe nachlassen oder auch nur unordentlich in Ihren Bewegungen werden, dann wird die Kugel bald nach unten und in die Mitte der Schüssel zurückfallen.

Der Mensch ist ein Wesen aus vielen Schichten, wie ein Gebirge oder eine Buttercremetorte, und nicht alle der Schichten vertragen sich untereinander, und so kommt es im Menschen gelegentlich zu Eruptionen, wie sie ja auch im Kontext von Gebirgen und Buttercremetorten geschehen können.

Die Trägerschichten, die zuerst da waren, ihre Gravitationskraft ist stärker als die der losen Erde oder der Schokostreusel. Ein Mensch der Aufklärung zu sein, bedeutet, immerzu auch die Mühe und die Sorgfalt aufzuwenden, nicht ins Animalische, etwa in den Tribalismus zurückzufallen.

Der Aufgeklärte setzt täglich die notwendige Mühe ein, die Kugel nicht wieder in die Mitte zurückrollen zu lassen, nicht aus Faulheit das Erreichte dranzugeben. Der Aufgeklärte, der im Andersdenkenden nicht einen Feind sieht, sondern einen Partner im gemeinsamen Ringen um bessere Erkenntnis, er hat heute mächtige (wieder) Gegner.

Mächtige Kräfte, in Iran wie auch etwa in Deutschland, wollen ein einheitliches Denken durchsetzen, einen absoluten Gehorsam, im Zweifelsfall bis in den Tod. In deren Denken gibt es nur Freund und Feind, nur Gehorsame und Gegner, nur Gläubige und Ausgestoßene.

»Ausgesperrtsein«

Der ZDF-Teilzeit-Promi Mario Sixtus ist in den Sozialen Medien unter anderem für seine Ausführungen zum Blocken bekannt, und er blockt alle jene, die er als »Arschlöcher« identifiziert. Von Sixtus kursiert ein Zitat: »Ich blocke. Ich möchte, dass die Arschlöcher von ihrem Ausgesperrtsein aus meinem Leben wissen und dass sie meine Ablehnung spüren.« (Dieser Tweet, so es diesen gab, existiert meines Wissens nur noch als Screenshot, doch inhaltlich hat der vom ZDF bekannte Herr es oft wiederholt, etwa hier oder hier.)

Der Herr selbst ist wenig interessant, er bedient eben das tribalistische Freund-Feind-Narrativ, das wir vom deutschen Staatsfunk eben erwarten. Interessant scheint mir einzig eine geradezu greifbare Lust daran, den Abweichler in seiner Würde herabzusetzen (»Arschlöcher« sagt er wohl gern) und ihn sein »Ausgesperrtsein« »spüren« zu lassen.

Hier weht derselbe Ungeist, der anderswo kritische Blogger verhaften und im Gefängnis sterben lässt. Ein Mensch, der so viel Energie darauf verwendet, die Abweichler herabzuwürdigen und »Ablehnung spüren« zu lassen, wie würde er agieren, wenn er härtere Mittel zur Verfügung hätte?

Doch, es bleibt dabei, dass dieser Herr uninteressant ist. Er ist kein Gegner, selbst wenn er manchen Abweichler als bittersten Gegner zu sehen scheint. Die dringende Frage ist vielmehr: Was stimmt mit einem System nicht, das solchen Leuten mit ihrem anti-aufklärerischen Gedankengut ein Gefühl der Berechtigung gibt? Und: Was würden solche Leute tun, wenn sie die praktische Möglichkeit hätten, die »Arschlöcher« ins Gefängnis werfen und dort sterben zu lassen?

»Blockieren ist das A und O«

Einst war der Bundestag der prominenteste Ort, wo politische Debatten stellvertretend geführt wurden, dann wurden es die Talkshows, und ein Stück weit ist es heute Twitter.

Das Wochenblatt »Die Zeit« hat ihren Twitter-Account einem (anderen) bekannten ZDF-Hassprofi in die Hand gegeben. Herr B. vom ZDF nutzte die Plattform schnell und gezielt für seine Kernbotschaft: Das Blockieren aller Bürger, die ihn via Zwangsgebühr zwar bezahlen müssen, die laut seinem Urteil aber »rechtsextreme Trolle, trollende Rechtsextremisten und Idioten« sind (@DieZeit, 23.2.2019). »Blockieren ist das A und O«, sagt er. Er tut etwas mehr als Blocken: Er verteilt auch Listen von Personen, die er de facto aus dem Diskurs entfernen möchte (siehe: Die Nazi-Methoden des Herrn Böhmermann). Herr B. steht für die öffentlich-rechtliche Enthemmung im Kampf gegen Abweichler, und er erklärt sein Ziel recht eindeutig: »Das gesellschaftliche Abseits muss es auch im Internet geben.« (@DieZEIT, 23.2.2019)

In jenen Berliner Kreisen weht derselbe Ungeist, der anderswo kritische Blogger verhaften und im Gefängnis sterben lässt. Ein ZDF-Prominenter (im Auftrag und Namen der ZEIT), der so viel Energie darauf verwendet, Abweichler herabzuwürdigen und ins »gesellschaftliche Abseits« zu stellen, wie würde er vorgehen, wenn er härtere Mittel zur Verfügung hätte?

Doch auch hier gilt, Herr B. ist nicht das wirkliche Thema. Er ist als Person uninteressant. Er bewarb sich an drei Schauspielschulen, erfolglos, bei der vierten trat er nicht an. Hütet euch vor Halbbegabten, die an Kunstschulen abgelehnt werden, die auch sonst im Leben scheitern, und dann den niedrigsten aller Erfolge finden, indem sie den simpel Gestrickten einen zu hassenden Feind präsentieren.

Herr B. verbreitet Hass und betreibt de facto Kampagnen gegen Abweichler – wenig weniger, aber auch nicht viel mehr. Die drängende Frage ist: Was stimmt mit einem System nicht, das solche Leute mit ihren primitiven Denkweisen und anti-demokratischen Methoden nach oben spült? Und: Was werden diese Leute tun, wenn sie die Möglichkeit bekommen, jene, die sie »Idioten« nennen (@DieZeit, 23.2.2019) ins Gefängnis werfen und dort sterben zu lassen?

»Gegner der ARD«

In den letzten Wochen wurde ein für die ARD erstelltes Propaganda-Papier (»Framing Manual«) diskutiert (Slogan daraus: »Kontrollierte Demokratie statt jeder wie er will«). Es ist vulgär und es wirkt wenig wissenschaftlich, doch es scheint zu offenbaren, wie man im deutschen Staatsfunk wirklich denkt (siehe: ARD und das »Framing Manual« – hilflos, fehlerhaft und doch erschreckend).

Die kindischen Klischee-Inhalte des teuren Papiers sind meines Erachtens nicht das größte Problem, auch nicht die Frage, ob bei dem »Institut« der Autorin etwa »Alles Hochstapelei?« sei (bild.de, 22.2.2019). Es soll ja passieren, dass man sich vertut, auch als ARD, dass man etwas bestellt und dieses dann bereut – das alarmierende Problem ist, dass das Pamphlet mit den fragwürdigen Formulierungen nicht 2017 im Giftschrank verschwand, sondern (nach ARD-Angaben!) in Workshops (ard.de, 17.2.2019) genutzt wurde und die Autorin regelmäßig in öffentlich rechtlichen Sendungen als Expertin vorgestellt wurde (zuletzt etwa 12/2018 – ausgerechnet zum Thema Lüge).

Im Paper kommt allein das Wort »Gegner« 22 mal vor. »Gegner der ARD« (S. 3), »Ihre Gegner« (S. 3), »es sind Prinzipien, die Sie glasklar von ihren Gegnern unterscheiden« (S. 5), und so fort. (Falls Ihnen das Papier vorliegt, gehen Sie einmal mit der Suchfunktion nach allen Stellen mit »Gegner« durch – es offenbart sich ein vor-aufklärerisches und primitives Freund-Feind-Denken.) Hat man das Paper bei der ARD lachend weggeworfen und die Bezahlung der Dienstleistung wegen miserabler Qualität zu mindern versucht? Wohl nein. Man hat die Dame bezahlt, man hat  Workshops mit ihr angesetzt, man hat ihre Formulierungen offensichtlich an verschiedenen Stellen genutzt und sie als »Expertin« im TV präsentiert.

Frau W. und ihre kindische 1984-Möchtegern-Kopie sind im Inhalt amüsant, aber wenig interessant. Sie hat viel Geld kassiert, könnte man formulieren, weil sie den ARD-Eliten etwas verkaufte, das die wohl für eine Art von Geheimwissen hielten. Die Frage dahinter ist vielmehr: Was stimmt mit einem System nicht, das meint, sich in solche vulgäre Möchtegern-Manipulation flüchten zu müssen – oder auch nur zu dürfen? Und: Was würden diese Leute tun, wenn sie die Möglichkeit bekämen, die »Heuschrecken« (ARD-Framing-Manual, S. 22) ins Gefängnis werfen und dort sterben zu lassen?

Was würden sie tun?

In der oben erwähnten Wochenzeitung wird aktuell über Handwerker berichtet, die angeblich heimlich Rechtsextreme sind; der Staatsfunk greift es willig auf und berichtet. Leser berichten, dass sich mit wenigen Klicks einige private Informationen der Gebrandmarkten finden lassen. Ich werde es hier nicht verlinken, denn ich will nicht Teil sein, wenn Medien ansetzen, wie ein Staat im Staat zu agieren, wie Ankläger und Richter in einer Person, der die Listen der Abtrünnigen für die Antifa-Schläger vorbereitet – einen demokratischem Herzschlag höre ich darin nicht.

Eine ganze Reihe von Fragen bereitet uns heute Sorgen, doch die beängstigendste aller Fragen scheint mir heute zu sein: Was würden Staatsfunkler und Haltungsjournalisten tun, wenn sie die Macht hätten, ihre Gegner nicht nur herabzuwürdigen und ihre Existenz und ihren Ruf anzugreifen, sondern die Abweichler auch noch ins Gefängnis werfen und dort sterben zu lassen?

Für manchen Haltungsjournalisten, gerade bei den Öffentlich-Rechtlichen und Haltungszeitungen, teilt sich die Welt nur noch in »wir« und »Arschlöcher«, in die mit »Haltung« und »Rechtsextreme« bzw. »Feinde der Demokratie« (drunter geht es schon länger nicht mehr).

Die kleine Rebellion

Letztens hat der aktuelle deutsche Bundespräsident, Frank-Walter Steinmeier, dem Iran »im Namen meiner Landsleute« zum 40. Jahrestag der Islamischen Revolution gratuliert (siehe etwa tagesspiegel.de, 21.2.2019); er hätte es einschränken sollen: Einem Staat, der für Religionspolizei und Verfolgung von Andersdenkenden bekannt ist, dem kann man vielleicht im Namen der journalistischen Haltungspolizei gratulieren, aber doch nicht im Namen aller Deutschen!

Aus dem Iran hören wir aktuell durchaus Zeichen der kleinen Rebellion. Frauen, die das Zeichen ihrer Unterdrückung ablegen. Männer, die der Religionspolizei die Stirn bieten. – Es gibt sie, die Mutigen im Iran, die widersprechen, wenn die Religionspolizei dieses oder jenes unter Muhāraba-Verdacht stellen will.

Sicher, die Situation ist nicht vollständig vergleichbar, so gibt es im Iran nach der Anklage anschließend ein Verfahren (wenn man nicht im Gefängnis stirbt, klar), während die Verurteilung durch Haltungsjournalisten ohne Verfahren, sofort und endgültig ist.

Doch, auch in Deutschland regt sich der Widerstand der freiheitlichen Demokraten gegen die Haltungspolizei (siehe auch »Smoothie mit Eiern« bei achgut.com). Wird das Treiben der Verführer bei TV-Sendern und Zeitungen die Murmel der Aufklärung zum Stillstand bringen? Nun, nicht alle lassen sich verführen! Es ist Arbeit, sich und die Gesellschaft vom Tribalismus weg zu halten, und es ist nicht immer einfach, das Lagerdenken abzulegen, wenn durchfinanzierte Medienanstalten eben dieses Lagerdenken propagieren – die guten Mitläufer gegen die bösen Andersdenkenden, die Gehorsamen vs. die »Nazis«.

Die »Guten«, welche in Abweichlern zuerst »Gegner« und »Arschlöcher« sehen, sie ins »gesellschaftliche Abseits« stellen und das »Ausgesperrtsein« fühlen lassen wollen, was würden die tun, wenn sie in ihrem blinden Hass die Andersdenkenden auch noch ins Gefängnis werfen lassen könnten? Wir ahnen es.

Wehret den Anfängen, so heißt es aus gutem Grund. Deutschland pumpt jedes Jahr viele Milliarden Euro in ein System, dessen Prominente die Bevölkerung in brave Gehorsame und in dämonisierte Abweichler teilen – sind das diese Anfänge? Und: Anfänge wovon?

Weiterschreiben, Wegner!

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