Dushan-Wegner

11.03.2018

Ist nicht viel passiert (von den Schwerverletzten abgesehen)

von Dushan Wegner, Lesezeit 4 Minuten, Bild von Dmitri Popov
Für einen Augenblick glaubte ich, es sei wenig Weltbewegendes passiert – und dann fielen mir die Messerattacken ein. Mögen wir nie so abgestumpft sein, die Messergewalt als normal hinzunehmen!
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Elli und ich halten täglich eine Art Redaktionssitzung über anstehende und aktuelle Themen. Heute, Sonntag, 11.3.2018, hatten Elli und ich eine der kürzesten Redaktionssitzungen aller Zeiten.

Wir hatten beide die Nachrichtenlage überflogen. Sollte ich zum Tod von Kardinal Lehmann schreiben? Ist das ein Thema für mich? Sicher, allein schon weil er Navid Kermani nicht sonderlich leiden zu können schien, müsste mir Lehmann nahestehen, doch mein Stirnrunzeln gegenüber Kermani hat andere, wenn auch verwandte Gründe. (Ich sehe in ihm weniger den schlimmen Gotteslästerer als vielmehr einen langweiligen Gefallenwoller. Was ich zu lesen versucht habe von ihm, schien mir wie Haltungsliteratur für Leute, die ihre Angst, als Trottel entlarvt zu werden, hinterm bedächtigen Kopfwiegen verstecken.)

Elli sagte: »Schwierig. Ist ja sonst nicht viel passiert.«

Eine Sekunde lang stimmte ich ihr zu, dann sagte ich »Moment!«, und, eine weitere Sekunde später: »Der Artikel steht – Danke!«

Ich liste mal einige Ereignisse, die sich in diesen Wochen und besonders an diesem Wochenende durch die Nachrichten messern:

… und das ist nur ein Teil der Meldungen, die via Google News unter »Messer« auffindbar sind. Aus meinem zum Glück ungemesserten Bauch heraus möchte ich sagen: Früher war weniger Messer! (Ich verweise hier auf meinen Text Die Schuld der Gutmenschen.)

Ich möchte nicht von einer »Welle der Gewalt« reden, es wäre falsch. Welle impliziert, dass wieder ein Abflauen zu erwarten ist.

Für die Tagesschau vom Nennt-uns-nicht-Staatsfunk waren das alles natürlich nur »regionale Meldungen«, es wurde nicht erwähnt. Es ist, als hätte es den Skandal um das Verschweigen von Köln-Hauptbahnhof nie gegeben. Es ist fast, als wäre deren Job nicht, zu berichten was ist, sondern den Aufruhr beim Marsch zur Klippe zu verhindern. Einige Themen am Samstag um 20:00 Uhr waren Einfuhrzölle, Steuer-Milliarden und Abgastricks, auch: Finanzsenator Peter Tschentscher soll neuer Erster Bürgermeister Hamburgs werden, natürlich Bundesliga – und jetzt das Wetter.

Dass deutschlandweit Bürger in Krankenhäusern liegen, dass Menschen für den Rest ihres Lebens mit Narben an Körper und Seele klarkommen müssen, dass der öffentliche Raum nach und nach zur Gefahrenzone wird, all das interessiert einen Journalisten mit »Haltung« nicht. (Bleibt ja auch wenig Zeit, zwischen Trump-Hass, Oppositions-Bashing und Werbung für die Lieblingsband des Antifa-sympathisierenden Kollegen.)

Nach 2015 sagten einige Journalisten ganz selbstkritisch, man müsse sich überprüfen, man müsse näher am Leser sein. Oft ist das Gegenteil passiert. Aus journalistischem Aktivismus – schlimm genug – wird allmählich Fake-Berichterstattung aus einer parallelen, erfundenen Welt, wo die Regierung aus strahlenden Popstars besteht und die Opposition aus düsteren Gestalten.

Einige von uns haben das Bedürfnis, dass Worte und Realität übereinstimmen – also das Gegenteil von »Haltung«. Wer keine »Haltung« aufzubringen in der Lage ist, wen es fast zerreißt, wenn im TV eine Parallelwahrheit gezeichnet wird, der muss geradezu ausrufen: Nein, es ist eine Menge passiert!

Einiges wird ja auch immer öfter berichtet, wenn auch nur in den Nebenspalten, Innenseiten und »below the fold«. Es hat sich ja auch längst ein Code entwickelt, um an den Zensoren, Denunzianten und Blogwarten vorbei die Wahrheit zu sagen. »Junge Männer« ist schon Alltagssprache. Die Gewerkschaft der Polizei Berlin hat uns letzte Woche die Perle von den »offenbar politisch aufgewühlten Männern« gebracht.

Es ist viel in den letzten Tagen passiert. Es brannten sogar Moscheen; dazu gibt es allerdings Sympathie aus Antifa-Kreisen – erwarten Sie keinen Bericht dazu bei der Tagesschau.

Kermani hat wieder ein Buch herausgebracht. Der Titel ist Entlang den Gräben. Es handelt natürlich auch von AfD. (Er findet sie nicht gut.) Der MDR sagt, Kermani sei »jemand, der sich gern allerorts umsieht«. Das ist ja allerhand!

Demnächst ist Buchmesse in Leipzig. Die Junge Freiheit hat ihre Teilnahme abgesagt, sie wurde rausgeekelt. Einige stramm linke Verlage haben sich als »#verlagegegenrechts« zusammengeschlossen mit dem Ziel, die Äußerung abweichender Meinung zu verhindern. Auch das passiert. Kermani wird natürlich bei der Leipziger Buchmesse vertreten sein. Er sagt ja nichts Falsches. Suhrkamp hat sich währenddessen vom Autoren Uwe Tellkamp distanziert, denn er hatte das falsche Richtige gesagt.

Diese Dinge passieren, und ich bin meinen Lesern und Freunden dankbar, dass wir sie gemeinsam ausgraben, von der ideologischen Schlagseite befreien und in ein weniger gefärbtes Licht rücken. Die Wahrheit will herauskommen, doch sie kann immer wieder Hilfe gebrauchen. Ja, es ist manchmal frustrierend. Man könnte sich mit unter die watteweiche Decke des komfortablen Verschweigens verkriechen wollen. Doch die Augen zu schließen bedeutet aufzugeben.

Ich übernehme lieber ein Zitat von Kardinal Lehmann:

Im Übrigen bin ich kein Typ, der schnell das Handtuch wirft.
Karl Lehmann, 1993, nach faz.net

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