Dushan-Wegner

05.09.2019

Was für Märchen wird man über uns erzählen?

von Dushan Wegner, Lesezeit 6 Minuten, Bild von Lukasz Szmigiel
Im Kinderkanal des Staatsfunks wurde vom syrischen Prinzen und seiner jungen Deutschen geschwärmt – märchenschön! Jetzt tritt die junge Dame mit einem Gedicht über Vergewaltigung auf. Hm. Wie werden die Märchen klingen, die man über uns erzählen wird?
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Die Planken, auf denen wir durch die Geschichte wanken, sie schwanken. Wir Pflichtkranken zanken, eine Gesellschaft mit offenen Flanken, lahmem Geist und galoppierenden Suizidgedanken.

Man wird Märchen über uns erzählen, vielleicht wird sie auch frau erzählen, nicht man, diese Märchen, dann haben die Märchen eben mehr Adjektive, und heute verkaufen sich sogar Adjektive gut, das wird wohl dieser tolle Fortschritt sein, von dem die Leute schwärmen.

Es werden Märchen über diese Zeit erzählt werden, vielleicht nicht als Text, vielleicht als Video-Schnipsel, die jemand vornüber gebeugt auf seinem Mobilgerät konsumiert, in der Bahn auf dem Weg zur Arbeit oder im Krankenhaus beim Warten auf die Diagnose – was ist schlimmer?

Die Märchen der Chinesen erzählen von Schamanen und Ahnen, vom Weltenei, einem Hühnerei, aus dem die Welt entstand, von den Weisen, von der Hölle und von Bergen, von Vögeln und von Affen, von geizigen Reichen und gewieften Armen. Die Märchen Afrikas erzählen von Hexenmeistern und Kolibris und von so viel mehr. Alle Märchen aber, ob sie von den dunklen Wäldern europäischer Königreiche oder den weiten Savannen Afrikas erzählen, alle Märchen tragen jede eine eigene Wahrheit über unsere Seele in sich, und dass wir heute manches Märchen gar nicht mehr in seiner frühen, rohen Form ertragen, auch das – wie so vieles – auch das sei uns ein Hinweis, dass wir schon lange nicht mehr Wahrheit und Selbsterkenntnis anstreben. (Nebenbei, nicht vergessen: Ein Tag, an dem du nicht über Propagandisten und Staatsfunker fluchst, ist ein unvollständiger Tag!)

Flirrend und surreal

In der Welt der Märchen ist alles etwas surreal – und moralisch eigen. In den Märchen ist es akzeptabel, sich an Frauen zu vergreifen, wenn sie im Koma liegen. (War die »Kill Bill«-Vorgeschichte von Dornröschen inspiriert?) In Märchen sind alle Stiefmütter schreckliche Gestalten – von »Patchworkfamilien« hält man da reichlich wenig. Aschenputtels Schwestern hacken sich mal eben Zehen oder Fersen ab, in der Hoffnung, einen Prinzen zu heiraten, und wir schütteln über solche Selbstverstümmelung den Kopf – wussten die denn nicht, dass man Prinzen mit Silikon gewinnt, nicht durch Fußverstümmelung? Ja, Märchen werden auf die neue Gewissenswetterlage zurechtgeschnitten, so es irgendwie möglich ist, und bei manchen geht auch das nicht mehr – auch meine Kinder werden aufwachsen, ohne das aus gutem Grund lieber vergessene Märchen »Der Jude im Dorn« vorgelesen bekommen zu haben – es gibt ja genug andere Märchen, und sie sind flirrend und surreal – und ein Teil unseres gemeinsamen Bewusstseins.

Wo wir gerade von »flirrend und surreal« reden – liebe Kinder, hier sind die Nachrichten des Tages!

Roboter sind dafür da, Dinge zu tun

2017 zeigte der Kinderkanal des Staatsfunk eine herzensrührende Geschichte von der jungen Malvina und einem jungen Flüchtling mit Vollbart, seitlich hoher Stirn und einer konservativ-robusten Sicht auf das Verhältnis von Mann und Frau (siehe etwa tichyseinblick.de, 9.1.2018).

»Es ist die Geschichte von einem Jungen aus Syrien, der sich unsterblich in eine Prinzessin verliebt«, so schreibt der Staatsfunk, wörtlich, wie der Syrer die Beziehung beschreibt (kika.de, 26.11.2017).

Derzeit, 2019, macht im Internet ein Video vom Mai diesen Jahres die Runde, auf dem wohl dieselbe junge Dame im Rahmen eines »Poetry Slams« über Vergewaltigungen durch Fremde berichtet – es gilt als Fiktion.

Der kursierende Videomitschnitt ist schlicht unerträglich, vor allem wenn man das propagandistisch anmutende Filmchen von 2017 im Hinterkopf hat. Die URL ist youtube.com/watch?v=XqpX7I9vppA, doch ich weiß nicht, wann es offline genommen werden wird.

Bei Tichys Einblick hat Alexander Wallasch die Mühe auf sich genommen, das Unerträgliche in größeren Auszügen zu transkribieren, siehe tichyseinblick.de, 5.9.2019, dafür herzlichen Dank, doch ich will, ganz im Zeichen moderner Zeiten, einen anderen Weg wählen, den poetischen Charakter ins Schriftliche zu bringen. – Es gibt bei YouTube eine automatische Transkriptionsfunktion (auf die 3 Punkte neben »speichern« klicken und dann auf »Transkript öffnen«). Roboter sind dafür da, Dinge zu tun, die wir nicht erledigen können – oder wollen – also sollen sie es hier auch tun.

Ich zitiere hier nur zwei Stellen aus der automatischen Transkription, so wie die künstliche Intelligenz sie produziert, samt Zeitangaben und inklusive der Fehler:

00:02 mein text heißt schwarzer boden ich

00:08 liege halbnackt hier vor dir die

00:16 ganzheit und zerbrochen halt in 1

00:20 gefasst

00:21 es ist das was ich am meisten hasst denn

00:29 ich weiß was jetzt passiert wie mein

00:32 leben auf schwarzen boden kreiert mein
00:37 ziel ist es mich zu brechen dich an

00:41 deine flucht zu rechnen da eine schleuse

Und dann, später:

04:40 ich habe mich doch nur in dich verliebt

04:43 doch du steckst ihn weiter tiefer härter

04:48 in sich rein

04:52 willst mich auf sex lust noch nicht
04:55 gehen lassen möchtest keinen orgasmus

04:57 verpassen

04:58 mindest gefallen vergewaltigen um deine

05:01 vergangenheit zu bewältige

Das ist, wie gesagt, ein Auszug aus der automatischen und fehlerhaften Transkription des Videos, mehr gibt es bei Wallasch.

Und, nein, das sind meines Erachtens nicht die schlimmsten Stellen.

Die neuen Märchen

Im Internet fragen sich Leute – natürlich noch nicht Journalisten, es passt wahrlich nicht ins große Narrativ – ob die junge Dame eine tatsächliche Begebenheit berichtet, womit es vermutlich ein Fall für die Behörden wäre, oder ob es »ausgedacht« ist, also ein »Märchen«, und auch das wäre sehr verstörend.

Was sind das für Märchen, die sich die Kinder heute erzählen? Und damit: Welche Wahrheit ist darin, von den Fakten abgesehen?

Die neuen Märchen handeln ja nicht nur von »schwarzen Böden«.

Die neuen Märchen erzählen von jungen Männern mit scharfen Messern (bild.de, 3.9.2019: »Drei Mal stach der Iraker Amanj S. (26) auf den Düsseldorfer Unternehmer Stefan M. (52) ein.« – ach, es ist zu viel). Die neuen Märchen erzählen von Ladendieben mit 18 gefälschten Identitäten (bild.de, 3.9.2019). Manche der neuen Märchen haben durchaus ein Happy End, doch nicht immer spielt das dort, wo die Geschichte beginnt – neue Märchen träumen davon, auszuwandern aus einem Land im Griff von Globalismus und Suizidalismus (siehe etwa welt.de, 4./5.9.2019: »Deutschland verlassen? Die Argumente dafür werden stärker« – Vorsicht: inzwischen hinter Bezahlschranke, aber gut, das waren Märchen in der einen oder anderen Form schon immer).

Die Moral von der Geschicht’

Der Sinn eines Märchens war es einst, eine moralische Botschaft zu transportieren. Die moralische Botschaft des Märchens besteht aus dem Erfahrungswert, welche Strukturen einem relevant sein sollten.

Es war einmal ein Land (hier möge man Deutschland beschreiben, wie es einem gerade liegt) und dann kamen die 68-er und Merkel – und dann?

Die Planken, auf denen wir durch die Geschichte wanken, sie sind längst feucht und morsch, unsere Moral aber, die ist zu leicht und auch der neue deutsche Stiefel ist wieder zu forsch.

Es werden Märchen über diese Zeit erzählt werden. Das »Es-war-einmal«, das steht fest, das »und-dann-geschah-es«, das schreiben wir derzeit, und was uns fehlt ist das Ende, das schimmert aber bereits vom Horizont her, vom Osten, wo die Sonne nunmal seit jeher aufgeht, und ich kann nicht alles davon lesen, denn weder Latinum, Hebraicum noch Graecum lassen mich jene Schriftzeichen verstehen – meine Kinder können bald ein wenig aushelfen – doch immerhin das Ende, den letzten Satz der zukünftigen Märchen, den können wir schreiben: Und die Moral von der Geschicht’, die Leute, die sich selbst moralisch nennen, die sind es nicht – die Leute jedoch, die sich selbst für klug halten, das sind die Dümmsten von allen.

Weiterschreiben, Wegner!

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