Dushan-Wegner

04.09.2018

Die Mehrheit liegt selten richtig, aber oft falsch

von Dushan Wegner, Lesezeit 13 Minuten, Bild von Vidar Nordli-Mathisen
Stellt Euch vor, die Mehrheit würde automatisch bestimmen, was Wahrheit ist – die Erde wäre noch heute eine Scheibe! (Hey, #wirsindmehr-Brüller, lest mal »Ein Volksfeind« von Ibsen, falls ihr vor lauter Selbstbesoffenheit noch lesen könnt.)
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Es gibt diese heimlichen Orte, weit abgelegen, im Norden, im Süden, im Osten, und wenn ein Reisender dort zufällig vorbeikommt, dann ist er glücklich, ihn gefunden zu haben.

Es braucht ja immer einen Zufall oder zumindest eine äußere Notwendigkeit, damit ich an einem solchen Ort vorbeikomme. Häuser stehen dort, mit Vorgärten, wo Blumen gepflanzt sind und Bänke stehen auch dort. Es rührt mein Herz ganz besonders, wenn ich in diesen Orten ein kleines Stadtmuseum entdecke. Jemand möchte dem zufällig Vorbeireisenden zurufen: »Halt, schau, das ist unsere Geschichte! Versteh uns doch, dann wird deine Welt größer und unsere wird weniger klein!« – Ich lasse es mir nie, nie!, entgehen, diese kleinen Museen zu besuchen, selbst wenn ich der einzige Besucher in jener Woche bin. Jemand hat seine ganze Liebe in diesen Ort gesteckt, da draußen jenseits der Metropolen.

In den großen Städten, diesen Menschenplaneten mit eigener Schwerkraft und umlaufenden Vorstadtmonden, da sind große Bühnen und größeres Business. In den kleinen Städtchen, so hofft und träumt man als Durchreisender, da ist noch etwas Ruhe, etwas Zeit zur Besinnung, etwas Ordnung der Kreise, und ja, etwas von jener leisen Wahrheit, welche im Lärm der Stadt unhörbar wird und deshalb ungehört bleibt. Doch, indem ich mir bewusst werde, welchen Zufall es erforderte, dass mein Weg mich dorthin führte, dann wird mir immer auch bewusst, wie viele ungezählte andere Orte ich eben nicht sehen werde. So viel Leben, so viele Orte, so viel Menschheit – so wenig Zeit.

Ibsen

Wenn der Durchreisende so eine ferne, reine Stadt entdeckt, so tut er gut daran, nach dem Besuch des Museums noch einen schnellen Happen auf der Außenterrasse der größten Gaststätte des Hauptmarktes zu sich zu nehmen, und dann schnell weiterzureisen. Mit jeder Minute, die er länger verweilt, steigt die Gefahr, dass er feststellt, dass alle Wahrheit, die er dem Ort zuschrieb, mehr sein Wunschdenken als tatsächliche Gegebenheit war. Von der Dame, die man nur flüchtig kennenlernte, durch einen Schleier vielleicht, geblendet von Wein und Abendsonne, träumt es sich leichter, und mit jenen Orten und dem Leben darin ist es ähnlich.

Das Drama »Ein Volksfeind« (1882) von Henrik Ibsen (1828 – 1906) spielt in »einer Stadt in Norwegen«, genauer: einem Kurort an der südlichen Küste. Auf den ersten Blick – es folgt selbstredend ein zweiter Blick, der dem ersten Blick widerspricht, sonst wäre es ja kein Drama, sondern eine Tourismusbroschüre – auf den ersten Blick scheint es, als hätten die Einwohner und Betriebe jener Stadt (um es in unserer Sprache zu sagen) ihre relevanten Strukturen konzentrisch angeordnet:

Im großen ganzen herrscht ein schöner Geist der Verträglichkeit in unserer Stadt; – ein Bürgersinn, wie er sein soll. Und das kommt daher, weil wir uns um eine große, gemeinsame Angelegenheit scharen können, – eine Angelegenheit, die in gleich hohem Grade alle rechtschaffenen Mitbürger angeht – (Henrik Ibsen, Der Volksfeind, 1. Akt)

Das »gemeinsame Anliegen«, das Stadtvogt Peter Stockmann erwähnt, ist das neue Kirsten-Bad, das eines Tages »in die Landkarten eingezeichnet« werden soll. »Zweifellos!« (Notiz am Rand: Peter Stockmann ist nicht nur Stadtvogt, sondern auch Polizeidirektor und Vorsitzender der Badeverwaltung. Er kann sich aussuchen, in welcher Rolle er gerade auftritt. Also wäre etwa ein Angriff auf den Vorsitzenden der Badeverwaltung gleichzeitig ein Angriff auf den Polizeidirektor und ein politischer Anschlag dazu. Die Konstellation erinnert entfernt an den heutigen Bürgermeister des deutschen Altena, der ja auch an der Geschäftsführung der lokalen Stadtwerke beteiligt ist, und welcher jüngst von einem Bürger mit einem Messer angegriffen wurde, nachdem die Stadtwerke dem Bürger das Wasser abgedreht hatten (siehe z.B. wp.de, 11.6.2018) – von Politikern und regierungsfreundlichen Journalisten wurde es opportun, sofort und flächendeckend als politischer Anschlag gedeutet, nicht als Übersprungshandlung eines betrunkenen Ruinierten.)

In Ibsens Stück spielt noch ein weiterer Stockmann eine Rolle, die Hauptrolle sogar. Dr. Thomas Stockmann ist Badearzt des Kurortes und jüngerer Bruder des Stadtvogts. Dr. Stockmann hat das Wasser des Ortes von Chemikern untersuchen lassen, und diese haben das »Vorhandensein infektiöser Fäulnisstoffe im Wasser« nachgewiesen.

Dr. Stockmann: Aber wissen Sie denn, was es in Wirklichkeit ist, dieses große, prächtige, gepriesene Bad, das so viel Geld gekostet hat, – wissen Sie, was es ist? (…) Das ganze Bad ist eine Pesthöhle. (Henrik Ibsen, Ein Volksfeind, 1. Akt)

Dr. Stockmann hatte ja davor gewarnt, die Sammelbecken für das Wasser so niedrig anzulegen. Die Behörden wussten es aber besser.

Dr. Stockmann: Ich habe dagegen geschrieben, als man den Bau beginnen wollte. Aber damals wollte kein Mensch auf mich hören. (Henrik Ibsen, Ein Volksfeind, 1. Akt)

»Ein Volksfeind« wäre kein Drama und keine Gesellschaftskritik, wenn die Stadtoberen zeitnah auf die Entdeckung des Doktors hin vernünftige und/oder verantwortungsvolle Konsequenzen gezogen hätten. Das Stück ist eine Verhandlung von grundlegenden Fragen wie: Wer bestimmt, was Wahrheit ist? Und: welche relevante Struktur ist wichtiger, Wirtschaft oder Gesundheit? Weil er die Wahrheit ans Licht bringen will, wird der Badearzt zum »Volksfeind«. (Notiz am Rand: Trump nannte »Fake News Media« einen »Enemy of the American People«. Wie um ihn zu bestätigen ließen die angesprochenen Publikationen das »Fake« fallen und behaupteten, Trump hätte alle Nachrichtenmedien derart tituliert, siehe z.B. nytimes, 17.2.2017. Wären diese Ritter von der vierten Gewalt nur halb so gebildet wie ihr Standesdünkel es sie glauben lässt, auch und besonders in Angelegenheiten der Seele, könnten sie Trump im Geist Ibsens parieren, wonach der angebliche »Volksfeind« es ist, der doch die Wahrheit ans Licht zu bringen sucht – alas, they are not.)

Keine Majorität

Ibsens Volksfeind (das Drama wie der Protagonist) ringt mit der Rolle der »Majorität«, der wahrnehmbaren Mehrheit, beim Feststellen dessen, was offizielle Wahrheit ist.

Der Buchdrucker Aslaksen ist zunächst auf der Seite des Doktors, doch das geht vorbei. Aslaksen ist auch Kleinbürger, Geschäftsmann, Mitglied des Mäßigkeitsvereins (weshalb er sowohl Sherry wie auch Bier ablehnt, als der Doktor es ihm zum Dank für den anfänglichen Beistand anbietet) und dann auch Vorsitzender des Vereins der Hausbesitzer. Zu Beginn, als er den Doktor noch »ohne Ausnahme unterstützen« will, rät Aslaksen:

Es könnte ja doch vielleicht nützlich sein, uns Kleinbürger im Rücken zu haben. Wir bilden hier in der Stadt sozusagen eine kompakte Majorität, – wenn wir wollen. Und es kann nie schaden, die Majorität auf seiner Seite zu haben, Herr Doktor. (Henrik Ibsen, Ein Volksfeind, 2. Akt)

Der Kurarzt war ja ein ohne Zweifel anerkannter Mann, seine Aufsätze über die wohltuende Wirkung des Bades wurden in der lokalen Zeitung gedruckt – bis er neue Erkenntnisse hatte und die Wahrheit (samt dem Wohl der Badegäste) vor das wirtschaftliche Wohlergehen der Stadt stellte. Im vierten Akt angekommen klingt sein Kampfruf für die Freiheit fast schon fanatisch:

Dr. Stockmann: Wer zum Teufel schert sich drum, ob es gefährlich ist oder nicht! Was ich tue, tue ich im Namen der Wahrheit und um meines Gewissens willen. (Henrik Ibsen, Ein Volksfeind, 4. Akt)

Der Doktor besteht darauf, dass er doch Recht habe! Recht und Wahrheit müssen sich durchsetzen! – Es ist keine moralische, sondern eine faktische Feststellung, wenn Katherine, die Frau des Doktors (welche dieser gemäß einem arg rustikalen Frauenbild wie eine Art Magd behandelt), nüchtern fragt:

Was nützt dir die ganze Wahrheit, wenn du nicht die Macht hast? (Henrik Ibsen, Ein Volksfeind, 2. Akt)

Katherine fürchtet, dass sein Drang nach »Wahrheit« (und wohl auch seine Eitelkeit dabei) die Familie »allesamt ins Unglück« stürzt.

Zu Beginn hoffte der Doktor noch, eine »Majorität« für die Wahrheit zu finden, doch nach und nach beugt er sich der Erkenntnis, dass in gewissen Situationen – in seiner Situation – die Wahrheit und die Mehrheit miteinander verfeindet sind:

Dr. Stockmann: Verlaßt Euch drauf, ich werde sie nennen! Denn das ist ja die große Entdeckung, die ich gestern gemacht habe. Der gefährlichste Feind der Wahrheit und Freiheit bei uns – das ist die kompakte Majorität. Jawohl, die verfluchte, kompakte, liberale Majorität, – die ist es! Nun wißt Ihr’s! (Henrik Ibsen, Ein Volksfeind, 4. Akt)

Ibsen steht mit seiner Erkenntnis wahrlich nicht allein da. Dass Mehrheit und Wahrheit nicht unbedingt einhergehen – dass sie in Krisensituation eher seltener als häufiger einander zum Freund haben – das stellten schon viele weise Männer fest, so auch Schiller:

Die Mehrheit? Was ist die Mehrheit? Mehrheit ist der Unsinn, Verstand ist stets bei wen’gen nur gewesen. (Friedrich Schiller, Demetrius)

Oder, natürlich, Goethe:

Nichts ist widerwärtiger als die Majorität; denn sie besteht aus wenigen kräftigen Vorgängern, aus Schelmen, die sich anpassen, aus Schwachen, die sich angleichen, und der Masse, die nachtrollt, ohne im mindesten zu wissen, was sie will. (Goethe, Maximen und Reflexionen)

Kaum verhüllt

Es ist 2018. In Deutschland heizen Politiker und regierungsnahe Medien die Bevölkerung wieder auf, sich als Masse und Mehrheit zu sehen, und aus dieser Machtposition die Minderheit zu bedrängen. Im politisch-medialen Gleichschritt werden Veranstaltungen beworben mit unzweideutigen Titeln wie »Wir sind mehr«. Man fragt sich: Wenn in der Mehrheit zu sein dein stärkstes Argument ist, wie schwach müssen erst deine übrigen Argumente sein?

In Chemnitz traten am Montag linke bis linksradikale Künstler auf, die teilweise in der Vergangenheit vor allem durch ihren Hass auf Deutschland und die öffentliche Ordnung aufgefallen waren. Dies sind die Zeiten des Suizidalismus, wenn Leitmeinung und Regierungshandeln als aktiv die Gesellschaft und den Staat schädigend interpretiert werden könnten, und es überrascht heute wenig, dass der Auftritt von Bands wie »Feine Sahne Fischfilet« (»Deutschland verrecke, das wäre wunderbar! Heute wird geteilt, was das Zeug hält! Deutschland ist scheiße, Deutschland ist Dreck!«) vom Bundespräsidenten (siehe z.B. bild.de, 2.9.2018) bis hin zu diversen Staatsfunklern und Leitmedien promotet wurde.

Es war eine kaum verhüllte Anti-AfD-Veranstaltung (man erinnert sich noch an die Politiker und Journalisten, die bei »Ganz Berlin hasst die AfD«-Rufen mitmarschierten), doch Hass hat die Eigenschaft, wie Krebs in andere Bereiche auszustrahlen. Anti-AfD-Veranstaltungen wirken immer auch wie Anti-Deutschland-Veranstaltungen  – die AfD sollte sich jede Woche eine solche wünschen. Auf der Bühne fielen dann die üblichen Bezeichnungen wie »Nazis« et cetera für die Teilnehmer eines Trauerzugs und auch bemerkenswerte Zeilen wie diese:

Ich ramm‘ die Messerklinge in die Journalisten-Fresse, Bullen hör’n mein Handy ab, spricht der jetzt von Koks? (K.I.Z., dokumentiert von @DoraGezwitscher)

Das ist, wie Linke trauern. Das ist, was deutsche Leitmedien 2018 und die Politik bis hin zum Bundespräsidenten bewerben. Das ist nicht, was ich unter demokratischem Anstand verstehe.

Während die Linke »auf den Gräbern der Opfer ihres Wahns tanzt (siehe »Deutschland brennt und die Linke fiedelt«), wird selbst der Ort, an dem der Chemnitzer Daniel H. von einem, der noch nicht so lange da ist, erstochen wurde, für Ideologie und Propaganda missbraucht. In der Nähe posiert die SPD-Elite feixend für Selfies (@steinhoefel, 2.9.2018). Es erinnerte an Merkel, die erst ein Jahr nach dem Terroranschlag den Breitscheidplatz besuchte, und dort dann fröhlich Bratwurst aß und für Selfies posierte. Am Chemnitzer Trauerort skandierten Linksextreme gegen alle, die sie als »Rechte« ausmachten: »Ihr habt den Krieg verloren!« (@FAHarms) – Inzwischen geben Linke explizit zu, dass es ihnen um Krieg geht, um Spaltung und Zerstörung. Neben Kerzen und Blumen hatte jemand an jenem traurigen Symbolort in kaltem Zynismus eine »Refugees Welcome«-Flagge gehisst (siehe auch »Gutmenschen riskieren das Leben anderer Leute«). Der Autor Akif Pirinçci schrieb in der poetischen Derbheit, für die Kenner ihn schätzen:

Genau an dieser Stelle wurde Daniel in Chemnitz geschlachtet. Das Bild stammt von gestern und könnte nicht mehr diabolischen Zynismus ausstrahlen. Es ist so, als wäre eine Frau zu Tode vergewaltigt worden, und man hängt am Tatort ein Poster von einer Orgie auf. (@AkifPirincci, 4.9.2018)

Manche Ungeheuerlichkeiten sind von solcher Verderbtheit, dass es eines ganz besonders sprachlichen Werkzeugkastens bedarf, ihres Ausmaßes ganz Herr zu werden.

Was ist noch wahr?

Es gibt vieles, das dafür spricht, dass die Ereignisse von Chemnitz derzeit von Politikern und regierungsnahen Medien missbraucht und instrumentalisiert werden – und dass hier und da die tatsächlichen Ereignisse mit erfundenen Semi-Fake-News zu einem überfaktengroßen Der-Nazi-steht-vor-der-Tür-Narrativ vermengt und aufgepumpt werden. Ibsen lehrt uns: Wo Menschen sich daran berauschen, die Mehrheit zu sein, da ist die Lüge nicht weit, und in Chemnitz ist das In-der-Mehrheit-Sein die erste und eigentliche Motivation.

Zuerst wäre da natürlich das Hetzjagd-Narrativ. Merkel, die ihr Meinungsmäntelchen gern in den Wind-von-Links hängt, sprach von »Hetzjagden« in Chemnitz. Sachsens Generalstaatsanwalt widerspricht ihr allerdings, es gäbe schlicht keine Belege dafür. Ex-ZDF-Mann Seibert, Merkels Regierungssprecher, versucht, sich und Merkel herauszuwinden. Seine Chefin wurde, so scheint es, der Unwahrheit überführt. Statt zuzugeben, dass man das opportune Narrativ den belegten Fakten vorzog, eiert er, man wolle »keine semantische Debatte« über das Wort führen. Es erinnert an Clintons, »it depends upon what the meaning of the word ‚is‘ is« (YouTube). Man fragt sich: Was ist noch wahr? (vergleiche auch freiepresse.com, 30.8.2018)

Man könnte über einen merkwürdigen Fehler bei den Tagesthemen grübeln (komisch, dass Fehler immer wieder in die politisch genehme Richtung passieren), die alte, aber aggressivere Bilder aus Chemnitz zeigten (bild.de, 3.9.2018).

Man muss sich über schreckliche Entgleisungen wie die von Udo Lindenberg aufregen, der Flüchtlinge mit den Juden im Holocaust vergleicht (@udolindenberg, 3.9.2018).

Man könnte auch bitter-humoristisch fragen, ob die SPD mit dem Mob-Slogan »Wir sind mehr!« nicht schlicht lügt – immerhin steht sie derzeit bei INSA mit 16% da, die AfD zugleich bei 17% (siehe z.B. zeit.de, 4.9.2018).

Doch, die eine große Frage ist: Kann es sein, dass Politik-PR und regierungsnahe Medien tatsächlich kleine Fakten zu einem großen Narrativ aufbauen, mit dem einen Ziel, als Reaktion darauf eine Gegenpropaganda zu fahren?

Genau das auch damals

Politiker und regierungsnahe Medien fördern Aktionen und Bewegungen, welche die Gesellschaft spalten und Feindbilder aufbauen. Wir sind die Guten, die sind die Nazis. Es geht nicht um Politik, nicht um Inhalte – man vergleiche etwa die Wir-sind-mehr-Szene, in der eine Sängerin das Publikum zur Bewegung motiviert, und dazu ruft: »Wer nicht hüpft, der ist ein Nazi!« (via z.B. @MA3RDAN) – Es geht nicht um politische Inhalte, nicht um Debatte oder Gemeinsamkeit, es geht zuerst und zuletzt darum, die Gesellschaft zu spalten in »für bestehende Macht« und »gegen bestehende Macht«.

Der linke Mob, aufgestachelt von Künstlern, Politikern und regierungsnahen Medien, fühlt sich als Mehrheit, und sie lässt für sich gelten, was in Ibsens Drama die Herren Hovstadt und Billing sagen:

Hovstadt: Die Mehrheit hat immer das Recht auf ihrer Seite.
Billing: Und auch die Wahrheit; Gott verdamm‘ mich! (Henrik Ibsen, Ein Volksfeind, 4. Akt)

Diese Leute, die sich in der Mehrheit sehen und aus diesem Mehrheit-Sein die Unterdrückung und Verachtung aller Andersdenkenden begründen, seien wir ehrlich: Wären sie wirklich, wie sie sich machtbetrunken einreden, wirklich allesamt Widerständler gewesen – oder sind das nicht vielmehr genau die, welche brav den rechten Arm hochgerissen hätten. Wer sich heute von der Regierung sagen lässt, wer sein Feind zu sein hat, der hätte, fürchte ich, genau das auch damals getan.

Lösung und Hoffnung

Während die lärmende Linke sich feiert, gehen Messerstechen, Gewalt und Attacken weiter. Was also tun? Ich vermute, dass Regierungs-PR und Leitmedien ihre Angriffe auf Kritiker ausweiten werden. Wer die Wahrheit gegen sich hat, braucht ein lautes Megaphon, und diese Herrschaften haben viel Geld für viele laute Megaphone.

Vielleicht ist es meine Neigung von Geburt an, vielleicht ist es meine Erziehung, doch ich halte es dann doch mit Ibsens Doktor. Seine letzten Worte im Stück lauten:

Die Sache ist die, seht mal: der ist der stärkste Mann auf der Welt, der allein steht. (Henrik Ibsen, Ein Volksfeind, 5. Akt)

Ich könnte ebenfalls gut mit der Reaktion leben, die er erntet, zeigt sie doch – selbst dem Protagonisten zeigt sie es – was seine wirklich relevanten Strukturen sind. Das Drama schließt mit den Zeilen seiner Frau und seiner Tochter:

Frau Stockmann: (lächelt und schüttelt den Kopf) Ach Du, Thomas –
Petra: (mutig, faßt seine Hände) Vater!

Wie also soll man kämpfen, wie sich dem Mob widersetzen, wenn der Kraft seiner machtbetrunkenen Mehrheit auch gleich die Wahrheit setzen zu dürfen glaubt? Herr von Goethe – wir erwähnten ihn schon einmal – gibt Rat:

Man muss das Wahre immer wiederholen, weil auch der Irrtum um uns her immer wieder gepredigt wird und zwar nicht von einzelnen, sondern von der Masse, in Zeitungen und Enzyklopädien, auf Schulen und Universitäten. Überall ist der Irrtum obenauf, und es ist ihm wohl und behaglich im Gefühl der Majorität, die auf seiner Seite ist. (Goethe zu Eckermann)

Wiederholt, was wahr ist. Wiederholt es gemeinsam. Wenn das, was du sagst, »der Menge« gefällt, dann sag lieber etwas anderes. »Der Menge gefallen heißt den Weisen missfallen«, sagt Plutarch. Wenn das, was die Mehrheit glaubt, dadurch schon wahr wäre, dann wäre die Erde noch heute eine Scheibe.

Es gibt diese heimlichen Orte, weit abgelegen, im Norden, im Süden, im Osten, und wenn ein Reisender dort zufällig vorbeikommt, dann ist er glücklich, ihn gefunden zu haben – möge der Ort, an dem du lebst, ein solcher Ort sein.

Weiterschreiben, Wegner!

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