Dushan-Wegner

24.01.2019

Junge Männer vs. »junge Männer«

von Dushan Wegner, Lesezeit 9 Minuten, zoltan-tasi-319208-unsplash
Wir sind so sehr mit dem Wohl (und der Gewalt) der »jungen Männer« beschäftigt, dass keine Zeit mehr bleibt, sich um die eigenen Jungen zu kümmern, die doch auch Menschen sind, die doch auch Männer werden sollen!
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Wenn du etwas wirklich in Tiefe lernen willst, so sagt man, dann lehre es einen anderen. – Dies ist eine bekannte und kluge Lebensweisheit, wenn auch mit Vorbehalten zu versehen: die Debatte in Feuilletons und Talkshows wird ja heute dominiert von Gestalten, die weniger von ihrem Gegenstand verstehen als ein Maulwurf vom Adlerflug, und die doch im Bariton tiefster Selbstüberschätzung dem Land verkünden, was der Torheit letzter Schluss sei – immerhin versuchen diese publizistischen Warmluftgebläse ja, klug und anständig zu tun, ihre wohlberechtigte Unsicherheit mit blechernen Preisen und nervösem Schulterklopfen überdeckend; doch auf gewisse Weise zeigen sie darin einen Rest an Respekt, anders als etwa jene Kulturbeauftragte, welche nicht einmal mehr zu versuchen scheint, Respekt vorm Intellekt ihrer Untertanen zu heucheln.

Nein, nicht für die Hochstapler und Breittreter gilt es, das Prinzip vom Lernen durch Lehren, sondern für die Bescheidenen, die Ehrlichen, für die auch im Kopf Fleißigen, und für alle von uns, für die stets bemüht gewesen zu sein durchaus auch eine Auszeichnung ist. Wenn du etwas wirklich in Tiefe lernen willst, dann lehre es, und prüfe dich selbst, und prüfe dich streng, ob das, was du lehrst, dich und deine Schüler tragen kann, ob dein Lehren dem Gelehrten gerecht wird, dem Belehrten nützlich ist und so auch dich, den Lehrenden, zum Gelehrten werden lässt – eine lehrreiche Übung!

Herr Sohn

Es ist ein großer Unterschied, ob man selbst Mann wird – oder ob man einen Sohn in diese Welt brachte, also Verantwortung für diesen trägt, also den Sohn zu erziehen beauftragt ist, und also ins Nachdenken hineingeworfen ist, was Mannsein bedeutet, was man/Mann als solches vermitteln soll.

Der Vater ist seinem Sohn ja immer Vorbild, ob körperlich an- oder abwesend, ob geistig an- oder abwesend. Durch sein Benehmen lehrt der Vater seinen Sohn, was als Verhalten überhaupt denkmöglich ist – die schlechten wie die guten Eigenschaften. Wenn Eltern produktive Gewohnheiten pflegen, sind die Kinder häufiger erfolgreich, und andersherum – die Kundschaft in den Sozialämtern stammt statistisch dann doch seltener aus geordneten Erfolgsfamilien; wir bewundern aus gutem Grund jene, die sich aus schwierigen Verhältnissen emporheben. Es sind viele kleine Lektionen, die der Vater allein schon durchs Vorbildsein seinem Sohn auf den Weg mitgibt – oder eben mitzugeben versäumt.

Im Buch Talking Points stelle ich im Kapitel Exkurs: Ein Wort die Frage, für welche eine Idee ein Politiker steht. Es gibt immer ein Schlagwort, für das ein Politiker steht, und manchmal findet ein Ringen um die Deutung statt. Steht Kohl für Bimbes oder für Wiedervereinigung? Steht Merkel für Rechtsbruch oder für Weltrettung? – Dieselbe Frage kann und sollte sich auch der Mann stellen, ob als Vater oder als Sohn: für welches eine Thema stehe ich?

Leser der Relevanten Strukturen wissen: Mein Vater und mein Großvater standen zuerst für ein Thema: Freiheit. Die Flucht aus der Diktatur stand unter dem Leitspruch: Unsere Kinder sollen glauben, studieren und werden dürfen, was sie wollen. – Erst heute wird mir allmählich bewusst, wie mich der Drang nach innerer wie äußerer Freiheit in der Wolle färbte, und warum mir Haltungsjournalisten, gutmenschliche Mitläufer und sich als Meinungspolizisten gerierende Ex-Stasis so zuwider sind.

Mein Sohn ist nun acht Jahre alt, und ich frage mich, welches Männerbild ich ihn lehre – weil ich die Verantwortung habe (und annehme!), ein Männerbild zu lehren, bin ich gezwungen, auch selbst bewusst und neu zu lernen, was einen Mann ausmacht, was ihn ausmachen sollte.

Männerrollen

2017 kamen vier Redakteure von der Klickdreck-Website Buzzfeed auf die spannende Idee, für einen Videobeitrag ihr eigenes Level des »Männlichkeitshormons« Testosteron messen zu lassen. Die Werte der hoch emotional und tendenziell androgyn auftretenden Journalisten lagen durchschnittlich deutlich unter den Normwerten, und dass das Video noch immer online ist, das ist immerhin mutig, siehe youtube.com. (Zum Vergleich: eine australische Studie zeigt, dass physisch starke Männer eher zu konservativen, bewahrenden politischen Standpunkten tendieren, siehe z.B. telegraph.co.uk, 11.4.2012.)

Dem weichen, wehrlosen Männerbild steht heute diametral ein ganz anderes Konzept von Mannsein gegenüber.

Heute wird etwa aus Goch in NRW berichtet, dass bei einem VHS-Kurs am Mittwochabend ein 17-Jähriger im Klassenraum mit Schlagstöcken verprügelt wurde (bild.de, 24.1.2019). Manche erinnern sich an den 15-Jährigen, der im April in einer Passauer Fußgängerpassage zu Tode geprügelt wurde (welt.de, 14.4.2018), an den zu Tode geprügeltem 15-Jährigen in Lünen (welt.de, 23.1.2019), von den täglichen Schlägereien ganz zu schweigen. Seit nun schon einigen Jahren berichten Lehrer an deutschen Schulen von einer ganz neuen Qualität jugendlichen Machismos (doch sie berichten es aus bekanntem Grund hinter vorgehaltener Hand). Es sind viele, aber nicht nur »junge Männer mit Migrationshintergrund« unter den Schlägern. Es ist eine Kultur der Verachtung westlicher Werte bei gleichzeitiger absurder Übersteigerung des eigenen Ehrgefühls, aus dem sich die gefühlte Notwendigkeit und Selbstverständlichkeit ableitet, den Gegner körperlich zu erniedrigen, ihm Schmerz zuzufügen und ihn in letzter Konsequenz zu vernichten (in einer Reihe von Eigenschaften ähnelt der aggressive Supermacho den heutigen Kulturlinken, die immer häufiger im Verhältnis zum Andersartigen auch nur Unterwerfung und Vernichtung zu akzeptieren scheinen).

Welches Vorbild

Wo soll Mann nun seine Vorbilder hernehmen? Vom Kulturlinken, der sich seiner Nicht-Männlichkeit rühmt? Vom Ultramacho, dessen Mannsein schnell die Faust und das Messer zückt, aber so gar nichts mit größerer Verantwortung im Sinn hat?

Der unmenschliche Geist der Gutmenschen hat den Fokus so sehr auf die Bedürfnisse der fremden »jungen Männer« gerichtet, dass die eigenen jungen Männer unter die Räder zu geraten drohen.

Wer und wo sollen denn heute die Gesprächspartner sein, mit denen man heute debattiert, was Männerrollen sind? Lügende Romanautoren? Selbsthassende Antideutsche? Einzig in ihrer Überforderung abgerundete Journalisten? Die Debatte ist links, und linke Positionen sind heute nicht nur generell unterkomplex, sondern gerade in Geschlechterrollen in sich widersprüchlich. Kein Tier muss sich für seine Biologie rechtfertigen, eine Frau erst recht nicht, nur Männer sollen sich für ihren Hormoncocktail rechtfertigen müssen? Mal will man weniger Testosteron im Bundestag, mal hat Geschlecht nichts mit Biologie zu tun, und Verhalten ebenfalls nicht – außer bei denen, die man nicht mag (»im Bundestag trieft es vor Testosteron«, n-tv.de, 14.2.2018 – man sage doch den gleichen Satz einmal mit Östrogen…), sie wollen Geschlechtertrennung überwinden, aber sie teilen die Welt auch ideologisch in zwei Geschlechter, und so fort – falsch zu liegen ist das eine, in sich vollständig inkohärent zu sein, das ist dann noch einmal eine andere Qualität.

In der öffentlichen, von linkem Suizidalismus und Selbsthass geprägten Debatte, kommt der Mann zuerst als Hassobjekt vor. Männer sind häufiger Opfer von Gewalt, gerade deutsche Männer sterben früher, Jungen tun sich in der Schule schwerer (gefördert werden aber die Mädchen), Männer begehen häufiger Suizid, Politiker überlegen immer neue Gesetze, wie sie Männer bei gleicher Leistung benachteiligen können, und als wäre all das nicht genug, bekommen die heranwachsenden Jungen von der linksdominierten Gesellschaft gesagt: du trägst deine bösen Hormone und dein Geschlecht als Erbschuld, du bist wie ein Gift für die Gesellschaft geboren (»toxische Männlichkeit«) – sie nennen die dem Jungen angeborene Schuld »Privilegien« – sie reden ihm ein: erniedrige und verleugne dich, und selbst wenn du es tust, wird es nicht genug sein! Wie soll ein Junge da lernen, was es bedeutet, ein Mann zu sein?

Der Diplom-Biologe Matthias Rahrbach hat ein sehr lesenswertes und unterhaltsames Buch mit dem etwas sperrigen Titel »Warum Frauen eben doch nicht benachteiligt sind« geschrieben und selbst verlegt. Anhand von unzähligen Anekdoten aus dem Tierreich argumentiert Rahrbach für ein Miteinander der beiden Geschlechter, das von der Realität ausgeht, und die Realität schließt eben unseren Hormoncocktail mit ein – nicht nur die beiden Geschlechter unterscheiden sich biologisch, auch die Männchen untereinander (wie auch die Weibchen, klar) – man denke nur an Alpha- vs. Beta-Männchen.

Größere Rolle

Es ist für mich kein akademisches Geschwätz, kein folgenfreies Talkshowgekeife – die Frage nach der Rolle des Mannes und damit auch nach dem Mannsein ist mir auf viele Weisen gleichzeitig wichtig: was bedeutet Mannsein für mich selbst, gegenüber meiner Frau, Elli, für meinen Sohn, und nicht zuletzt: Welches Bild des (guten) Mannes soll meine Tochter vermittelt bekommen?

Ich bin wahrlich nicht fertig mit meinem Selbstbild als Mann, im Lernen nicht und im Lehren schon gar nicht, und doch muss ich antworten; »Man kann nicht nicht kommunizieren« heißt der Bestseller von Paul Watzlawick, und ebenso kann man als Mann nicht nicht eine Rolle von Mannsein leben. Wer seine Mann-Rolle nicht selbst überdenkt, selbst definiert und selbst ausfüllt, der lebt ein zufälliges und/oder fremdbestimmtes Männerbild.

Provisorisches Mannsein

Ich darf Ihnen hier vorlegen, was ich für mich jetzt als Provisorium verwende – und möge ich mir niemals einbilden, hier über das Stadium eines provisorischen Verständnisses hinaus zu sein!

Niemand ist eine Insel (ja, ich war früher Simmel-Fan, ich könnte ihn eigentlich mal wieder lesen) – und auch der Mann ist es nicht.

Wenn man ein wenig darüber nachdenkt, dann ist die Frage nach der Rolle des Mannes eigentlich eine Variante der Frage nach dem Sinn des Lebens, also etwa so: Was ist der Sinn des Lebens eines Mannes?

Die Frage nach dem Sinn wiederum ist eine jener Fragen, bei der man nachfragen müsste, etwa: »Was meinst du mit »Sinn«?« – Ich forsche also ein klein wenig weiter!

Die Frage nach dem Sinn ist ja im Kern meist eine andere Frage, nämlich: Was soll ich tun? – Hier frage ich mich selbst weiter: Tun, um was zu erreichen?

Eine seit Jahrtausenden bewährte Antwort auf »was will ich erreichen?« lautet: Glücklich sein!

Fürs Glücklichsein aber habe ich einen Ansatz: Glücklich kann ein Mensch werden, der seine Kreise ordnet (seine »relevanten Strukturen«), und dann die ihm relevanten Strukturen aktiv stützt.

Was soll ich also tun, als Mann? Es ist wie das Spiel auf der Gitarre: schnell zu erklären, man braucht aber ein Leben, um Meisterschaft zu erreichen. Definiere die relevanten Strukturen, welche deine Natur und deine Gesellschaft dir vorgegeben haben. Dann arbeite, um sie zu stützen.

Setze deine Talente ein und sei der, als welcher du geschaffen wurdest. Wenn du ein Mann bist, dann ist die Chance statistisch groß, dass du extra mutig bist, dass du Neuland nicht fürchtest, sondern erobern willst, dass du deine Grenzen kennst und sie verteidigen willst. Es mag sein, dass es dich nach einer eigenen Familie sehnt. Ordne diese Kreise um dich, kämpfe für das Wohl deiner Familie und das Klügerwerden deiner Gesellschaft, für Gerechtigkeit und gegen Dummheit.

Es ist einfach, im Prinzip, dieses Mannsein, und doch hat es viel Tiefe. Es ist meine Aufgabe als Vater, meinen Sohn das Mannsein zu lehren. Im Text Irgendwem musst du dienen, mein Sohn schrieb ich vom Aufstieg auf einen Vulkan, und außerdem dies:

»Es ist dem Menschen angeboren, Teil von etwas Größerem sein zu wollen. (…) Irgendwem müssen wir ja dienen, es ist uns angeboren. Kein Mensch ist eine Insel, und selbst die Insel spielt an ihren Küsten und Stränden mit den Wellen des Meeres.«

Die Frage nach dem Mannsein, nach dem guten Mannsein, sie ist die Frage nach dem Sinn des Lebens, aber eben nach dem Sinn als Mann. Nutze, was Natur und Gesellschaft dir gegeben haben – und das ist nun einmal beides anders als das, was einer Frau mitgegeben wurde, und jenes ist umgekehrt anders als das, was dir mit- und aufgegeben ist – und nutze es, um jemandem zu dienen, und dieser jemand muss nicht ein Mensch sein, es kann und sollte eine Struktur sein – die Glücklichsten und Größten sind oft jene, welche einer Struktur dienen, die sie selbst ins Leben riefen!

Wenn du etwas wirklich in Tiefe lernen willst, so sagt man, dann lehre es einen anderen. Ich will meinen Sohn lehren, ein Mann zu sein? Ich soll es gar? Welche Hybris – und doch: welche Unabwendbarkeit.

Was sind Strukturen, die zu stützen mich glücklich machen wird – zum Mann machen wird? Was soll ich meinen Sohn lehren? Ich sollte beginnen, mich selbst zu lehren.

Weiterschreiben, Wegner!

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