Dushan-Wegner

11.06.2019

Kunstschaffende Besserwessis

von Dushan Wegner, Lesezeit 3 Minuten, Kunstschaffende Besserwessis
Kulturschaffende Besserwessis wollen den Sachsen empfehlen, wie sie moralisch gut zu wählen haben. Yep, das wird bestimmt funktionieren! - Oder auch nicht… ????????????
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Es gibt Menschen, die entscheiden sich, Ärzte zu werden und die körperlichen Gebrechen der Menschen zu heilen. Es gibt andere Menschen, die werden Lehrer, Handwerker oder sorgen sich in Vollzeit um das Wohl ihrer Kinder. Und dann gibt es noch Individuen, die sich der Aufgabe zu widmen scheinen, das zu fordern, was die etablierten Mächte und Medien  auch fordern. Man nennt sie NGOs, Aktivisten und Zivilgesellschaft – im Geschichtsunterricht haben wir solche Leute mit anderen Namen benannt.

Ich fühle mich, zufällig und unter Umständen gänzlich unberechtigt, an eben jene Leute erinnert, wenn ich von dieser Initiative »zukunftsachsen.org« höre, welche den Görlitzern »empfiehlt«, wen sie nicht zum Bürgermeister wählen sollen. Man findet den Namen des Verantwortlichen laut Impressum (Stand 11.6.2019) auch im Zusammenhang mit einer Pulse-of-Europe-Demo einige Wochen vor den Wahlen 2017 (Leipziger Volkszeitung, 1.7.2019), bei einem Verein namens »Gemeinsinn stärken« und bei zeit.de, 4.9.2016 darf er Pegida doof finden. Man fragt sich, ob der Student jemals eine Meinung hatte, die nicht auf »ein Hoch auf die politische Korrektheit!« reduzierbar war. – Sagen wir es mal so: Ich beginne, so einiges zu verstehen. Begriffe wie Muster und Samsara fallen mir ein.

Es ist heute recht einfach, eine »Initiative« zu starten: Man gestaltet nach Vorlage eine Website, und wenn die Botschaft der politisch korrekten Meinung des Tages entspricht, hat man gute Chancen, von Staatsfunk und Haltungsjournalisten viel Gratis-Promotion für sich und sein Spontan-Projekt zu erhalten.

Der MDR berichtet: »Immer mehr Promis unterschreiben Appell an Wähler in Görlitz« (mdr.de, 10.6.2019); aktuell sind es genau 33 – ob sie es bis 45 schaffen?

Wenn ich auf die tatsächliche Seite zukunftsachsen.org/goerlitz gehe, so sehe ich vor allem Prominente aus den beiden Kategorien »Was macht eigentlich X?«, und: »Wer soll das sein?« – Das Anliegen des Gesamtprojektes und dieser Liste ist recht einfach beschrieben: Der Bürger solle gefälligst »CDU, SPD oder Grüne wählen« (das steht wörtlich da, als »To-Do«) – für den Promi-Aufruf hat man es abgemildert auf die Bitte, »weise« zu wählen.

Interessant wird es, wenn man sich die Liste der »Unterzeichner« anschaut. Ein prominenter Unterzeichner ist Marius Müller-Westernhagen; geboren und aufgewachsen in Düsseldorf. Ein anderer ist Daniel Brühl, geboren in Barcelona und aufgewachsen in Köln. Auch Daniel Kehlmann hat, so die Website, unterzeichnet; er wurde in München geboren und lebt laut Wikipedia in New York und Berlin. – Und so weiter.

In Zeitungen liest man das Argument, mit dem »falschen« Bürgermeister würde Görlitz weniger attraktiv für Hollywood-Produktionen (siehe etwa maz-online.de, 10.6.2019). Ich muss verpasst haben, seit wann Hollywood und sein Personal für belastbare Moral und sicheres Ethik-Empfinden stehen. Was da angedeutet wird, grenzt an versuchte Erpressung, sinngemäß: »Wählt, was wir euch sagen, das ihr wählen sollt, sonst drehen wir unsere Kulturwerke mit Ewigkeitswert woanders!«

Der Besserwessi ist wieder da. Nach der Wende hat er sich denen im Osten überlegen gefühlt, weil die so komische Autos aus Plastik fuhren (ein blauer Trabbi war übrigens auch mein erstes Auto, inklusive »Mäusekino« als Tankanzeige). Heute fühlen sich die Wessis den Ossis überlegen, weil die sturen Ossis sich nicht wie brave Wessis der vom Staatsfunk vorgegebenen Tagesparole anschließen wollen. – Vorsichtig formuliert: Die Überheblichkeit in Sachen Automobil-Technologie war nachvollziehbarer.

Am 16. Juni 2019 wird in Görlitz der Oberbürgermeister gewählt und am 1. September 2019 der Landtag. Ich bin gespannt, ob die Görlitzer dem Aufruf der kunst- und kulturschaffenden Besserwessis unter Leitung eines umtriebigen Multitalents folgen werden.

Wo wir aber so schön von Kulturschaffenden plaudern – habe ich die Überleitung nicht elegant eingeschient? – ehemalige DDR-Bürger (und andere Ex-Bürger des sozialistischen Paradieses) könnten sich tatsächlich nostalgisch fühlen, aber nicht unbedingt auf die angenehmste Weise. Es gibt sie, die Leute, welche davon leben, die Hand nach den Brosamen des Kulturtisches auszustrecken. Und es ist kein gutes Zeichen für den Zustand der Kultur oder der Demokratie, wenn diese sich in Reihe stellen, um der herrschenden Meinung nach dem Mund zu reden.

Weiterschreiben, Wegner!

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