Dushan-Wegner

22.09.2018

Kulturschaffende 1934, 1976, 2018

von Dushan Wegner, Lesezeit 8 Minuten, Bild von Sora Sagano
Ob 1934, 1976 oder 2018 – wenn deutsche Künstler sich selbst »Kulturschaffende« nennen, geht oft damit einher, dass sie sich in den Dienst der Macht stellen. – Hey Künstler, wenn ihr euch schon Merkel andient, nutzt wenigstens nicht totalitäre Sprache dabei!
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Hans Hinkel (ja, so hieß er wirklich) war SS-Gruppenführer, Journalist und Ministerialbeamter im Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda; dort fungierte er als Sonderbeauftragter für »Kulturpersonalien« und als Leitung der Filmabteilung.

1937 schrieb er im Geleitwort zum Handbuch der Reichskulturkammer:

Auch der Kulturschaffende hat ein Amt inne, und zwar ein im weltanschaulich gebundenen Staat besonders wichtiges Amt – wenn er auch nicht zum Beamten im eigentlichen Sinne gemacht wird. Seine Tätigkeit ist nicht unmittelbare Staatsfunktion, sondern ein freies, aber verantwortliches Dienen. (…) Ist aber die öffentliche Seite alles Kulturschaffens einmal erkannt, so ergibt sich zwangsläufig daraus die Notwendigkeit, ein Mittel gegen diejenigen zu schaffen, die sich ihrer öffentlichen Aufgabe nicht bewusst sind oder sie gar zu destruktiven Zwecken missbrauchen. (zitiert nach Cornelia Schmitz-Bering: Vokabular des Nationalsozialismus, de Gruyter 2007, S. 363, Hervorhebung von mir)

Zu dem Zeitpunkt hatte sich »Kulturschaffender« bereits als Nazi-Ausdruck etabliert.

Am 18.8.1934 erschien im Völkischen Beobachter, dem Parteiorgan der NSDAP, der »Aufruf der Kulturschaffenden«. Am nächsten Tag wollte Hitler sich in einem Plebiszit die Zusammenlegung des Amtes des Reichspräsidenten mit dem des Reichskanzlers bestätigen lassen, und der »Aufruf von Kulturschaffenden« sollte ihm ein wenig den Rücken stärken. Es hieß darin:

Weil der Dichter und Künstler nur in gleicher Treue zum Volk zu schaffen vermag, und weil er von der gleichen und tiefsten Überzeugung kündet, dass das heiligste Recht der Völker in der eigenen Schicksalsbestimmung besteht, gehören wir zu des Führers Gefolgschaft. (…)

Der Führer hat uns wiederum aufgefordert, in Vertrauen und Treue zu ihm zu stehen. Niemand von uns wird fehlen, wenn es gilt, das zu bekunden. (Aufruf der Kulturschaffenden, 1934)

Zu den Unterzeichnern zählten einige Namen, die wir auch heute noch kennen, etwa Ernst Barlach, Ludwig Mies van der Rohe oder Wilhelm Furtwängler. Einige der Unterzeichner, wie etwa Richard Strauss, waren in Wahrheit wohl eigentlich apolitische Gestalten. Emil Nolde fand sich später selbst als Schöpfer sogenannter »entarteter Kunst« diffamiert.

Die Künstler, die damals unterschrieben, waren vermutlich keine »Nazis«, wenn auch einige davon bei Gelegenheit den einen oder anderen antisemitischen Gedanken hegten (heute wären sie vielleicht unter die »Israelkritiker« geraten). Nein, sie wollten wahrscheinlich zuerst gefallen. Vielleicht imponierte ihnen der »junge Führer«. Vielleicht sehnten sie sich, wie Deutsche es bei Gelegenheit tun, nach einer neuen starken Hand. Doch, ich vermute, zuerst wollten sie einfach gefallen, gestreichelt und gelobt werden – was wäre ein Künstler ohne seine Eitelkeit?

Ich glaube für viele zu sprechen

1976 bereiste der DDR-Liedermacher und SED-Kritiker Wolf Biermann auf Einladung der IG Metall die Bundesrepublik Deutschland.

Am 13. November 1976 gab Biermann ein Konzert in der Kölner Sporthalle. Er kritisierte in diesem Rahmen die DDR.  Die SED nahm dieses Konzert zum Anlass, Biermann die Wiedereinreise in die DDR zu verweigern und ihn offiziell auszubürgern; der Vorwurf war »Verletzung der staatsbürgerlichen Pflichten«.

Eine Reihe von Künstlern protestierte gegen die Ausbürgerung; besonders der am 17.11.1976 von einer Gruppe um Stephan Hermlin veröffentlichte offene Brief erlangte einiges Aufsehen. Doch, was wäre der Totalitarismus ohne den regierungsnahen Protest gegen die Protestierenden?

Am 22.11.1976 titelte das SED-Parteiorgan Neues Deutschland:

Überwältigende Zustimmung der Kulturschaffenden der DDR zu Politik von Partei und Regierung (Neues Deutschland, 22.11.1976, S. 3, Hervorhebung von mir)

Darunter las man die Aussagen einer Auswahl von Kulturschaffenden wie auch vieler »einfacher« Arbeiter.

Manche der Zitate erinnern an heutige Politiker, die Kritik an der Regierung mit »der will doch nur Deutschland/den Rechtsstaat etc. schlechtreden« abbügeln (Beispiele: Barley 1, Barley 2, Barley 3), etwa das Statement einer Marianne Steimer:

Wer unseren Staat der Arbeiter und Bauern mit Dreck bewirft, der hat ein für allemal das Recht verwirkt, Staatsbürger der DDR zu sein. Deshalb begrüßt unsere Frauenbrigade »Otto Nagel“ einmütig die Entscheidung unserer Regierung, Herrn Biermann für sein feindseliges Auftreten gegen die DDR auszuweisen (…) (Marianne Steimer, Neues Deutschland 22.11.1976, S. 4)

Die »Berliner Karikaturisten« sehen und betonen einen Verlust von »Haltung« bei Biermann:

Kunst ohne parteiliche Haltung, aber mit dem Anspruch, politisch zu sein, führt schnell zu Prinzipienlosigkeit, Prinzipienlosigkeit zu Anarchismus. Es gibt traurige Beispiele dafür, wie solcher Art Verlust an Haltung und Standpunkt Charakter und Talent gleichermaßen zerstört. (»Berliner Karikaturisten«, Neues Deutschland 22.11.1976, S. 4, Hervorhebung von mir)

Einige der Arbeiter und Kulturschaffenden erinnern im Tonfall an Merkels »Wir schaffen das«, etwa der Autor, der »Kritik und Mut und Fröhlichkeit für den Kampf« beitragen will und sich wohl von Biermanns Kritik dabei gestört fühlt. Einige erinnern an heutige Pro-Merkel-Demonstrationen, wie das Zitat eines Bohrwerksdrehers: »Ich glaube für viele zu sprechen, wenn ich sage, daß wir uns nicht unsere Arbeiterehre beschmutzen lassen.« – Alle die Zitate der Arbeiter und Kulturschaffenden jener Zusammenstellung tragen die eine Botschaft, Kritik an der SED-Regierung sei ein Angriff auf die Menschen und ein Verstoß gegen die Prinzipien des Anstands selbst.

Arbeitsfähigkeit der Bundesregierung

Am 21.9.2018 titelt zeit.de:

290 Kulturschaffende fordern Rücktritt des Bundesinnenministers (zeit.de, 21.9.2018)

Auf der Website seehofermussgehen.de fordert eine Reihe von »Kulturschaffenden« (hier in Anführungszeichen, weil es ein Zitat ist), den Rücktritt des Innenministers.

Mit welcher Begründung wird es denn gefordert? Gegen welches Gesetz soll er verstoßen haben?

Lesen Sie selbst und achten Sie auf die Reihenfolge:

Als Künstlerinnen und Künstler, Kulturschaffende, Kulturvermittlerinnen und -vermittler sind wir entsetzt darüber,

dass der Bundesinnenminister fortwährend die Arbeitsfähigkeit der Bundesregierung sabotiert und dem internationalen Ansehen des Landes schadet;

dass er die Migrationsfrage zur »Mutter aller politischen Probleme“ erklärt und damit 18,6 Millionen Menschen, die mit migrantischen Wurzeln in Deutschland leben, in Geiselhaft nimmt und als eine Ursache dieser ‚Probleme’ hinstellt; (…) (Quelle: http://seehofermussgehen.de/, Stand 22.9.2018archivierte Version via archive.is, meine Hervorhebung)

Die erste Kritik, die diese Kulturschaffenden an Seehofer haben ist, dass er angeblich »fortwährend die Arbeitsfähigkeit der Bundesregierung sabotiert«.

Die Argumentation und Sprache dieser Kunstschaffenden ist auf geradezu niedliche Weise kindisch und naiv. Nicht die Kanzlerin, welche sich nach Meinung anerkannter Juristen über Recht, Ordnung und den Rat der Sicherheitsbehörden hinwegsetzt, deren naiv-bösartige Gutmenschpolitik zum unnötigen Gewalttod von Menschen führte, ist laut diesen Kulturschaffenden die Schuldige, welche die »Arbeitsfähigkeit der Bundesregierung sabotiert«, sondern Seehofer, der als Innenminister hin-und-her-gerissen versucht, den auf Merkel zurückzuführenden Schaden vom Volk abzuwenden.

Ignorieren wir hier einfach die Frage, wie unabhängig und damit wertvoll das Urteil etwa von Schauspielern ist, deren Qualifikation darin besteht, Texte abzulesen, und die zudem in Deutschland oft von GEZ-Zwangsgebühren, staatlich geförderten Theatern oder irgendwelchen steuerfinanzierten Kulturprojekten abhängig sind. Ignorieren wir, wie wenige Klicks es bei einigen der Autoren auf der Liste braucht, bis man findet, wo auch sie aus meist linksgrün verwalteten Steuertöpfen finanziert wurden. Nehmen wir den Text beim Wortlaut!

Die Kulturschaffenden greifen den Innenminister an, weil er angeblich die »Arbeitsfähigkeit der Bundesregierung« sabotiert. Es scheint offensichtlich, was sie mit »Arbeitsfähigkeit der Bundesregierung« meinen: Angela Merkel schalten und walten zu lassen, ungebremst und unwidersprochen. Man schiebt noch weitere Begründungen hinterher, aus dem Zusammenhang gerissen und wohl mit Absicht falsch verstanden, doch man macht schon durch die Reihenfolge klar, was die erste Kritik ist, und sie ähnelt nicht nur in der Selbstbetitelung als »Kulturschaffende« der Kritik an der Regierungskritik von 1934/1937 und 1976.

Einigen anderen Schreibern, die etwas mehr von Geschichte und Kultur zu wissen scheinen als die versammelten »Kulturschaffenden«, fiel bald die begriffliche Parallele auf, Twitterern wie @Ruebenhorst (21.9.2018) oder Journalisten wie Tobias Blanken (salonkolumnisten.com, 21.9.2018), welcher auch als Lesehinweis zum Begriff »Kulturschaffender« auf einen interessanten Spiegel-Text vom 28.8.1957 verweist.

Nicht das erste Mal

Randnotiz: Es ist übrigens auch in der Ära Merkel nicht das erste Mal, dass sich ums Gestreicheltwerden buhlende Künstler vor die Kanzlerin werfen. Schon 2016 fand eine ähnliche peinliche Aktion statt, damals sogar mit extra öffentlichem Machtgeturtel:

Sie wollten sich bedanken für Angela Merkels „Wir schaffen das“: Regina Ziegler, Volker Schlöndorff und andere Kulturschaffende brachten der Kanzlerin rote Rosen. (tagesspiegel.de vom 8.3.2016)

Die Idee kam den beiden Kulturschaffenden beim Dreh zum Film »Rückkehr nach Montauk«, schreibt morgenpost.de, 9.3.2016. Ich habe den Film nicht gesehen, aber es ist bestimmt ein guter Film, sonst hätte »medienboard BerlinBrandenburg« ihn bestimmt nicht gefördert (medienboard.de, 3.5.2016). – Ende der Randnotiz.

Froh darüber sein

Der künstliche Begriff »Kulturschaffende« stammt aus den 1920-ern und wurde in der Verwendung durch zwei totalitäre Regimes geprägt.

Der Begriff »Kulturschaffender« offenbart eine kalte, bürokratische Sicht auf Gesellschaft, auf Kunst und auf den Künstler; indem aber Künstler den Begriff annehmen und auf sich selbst anwenden, verraten sie unbewusst, dass sie das kalte, funktionale Menschenbild eines solchen Regimes für sich angenommen haben könnten.

In der Diktatur wird der Mensch auf ein Rädchen im Machtgetriebe reduziert, im Totalitarismus soll er auch noch froh darüber sein.

Die Aufgabe des Künstlers – wie ich sie verstehe – ist es, eine immer neue Sprache zu finden für all die Hoffnungen und Zerrissenheiten, für welche unsere alltägliche Faktensprache keine befriedigenden Worte hat. Beispiel: Die Sachfragen von Romeo und Julia sind schnell beschrieben; zwei Teenager verknallen sich ineinander, die Eltern sind dagegen, bedingt durch ein Missverständnis und Hormonüberschwang bringen sie sich um. Für die Emotionalität jenseits der nüchternen Fakten aber, für die braucht es die Kunst, die Lyrik, die jambischen Pentameter eines William Shakespeare.

Die Kultur einer Gesellschaft ist ein feines und komplexes Gespinst, das Künstler, Wissenschaftler und vor allem die Bürger des Landes über Jahrzehnte und Jahrhunderte hinweg gewebt haben. Der Totalitarismus reduziert alle Teile der Gesellschaft, also auch die Kultur, zu Machtproduktionseinheiten. Der Kulturschaffende soll die der Macht dienliche Kultur schaffen, so wie etwa ein »VEB Neontechnik« die für den sozialistischen Fortschritt notwendige Neontechnik erschafft.

Der Künstler, der sich selbst »Kulturschaffender« nennt, reduziert sich selbst auf ein Rädchen im Machtgetriebe. Wer sich »Kulturschaffender« nennt, grenzt in der Praxis auffallend oft Andersdenkende und Abweichler aus, will selbst definieren, was Kunst und was Meinung ist – und was als solche nicht bezeichnet, nicht gesagt, nicht Raum bekommen darf. Wenn man sich durch die Namen auf der Liste der Unterzeichner von 2018 googelt, kommt man schnell auf anti-freiheitliche Projekte wie »Verlage gegen Rechts«.

Der »Kulturschaffende« von 1934/37 sollte »ein Mittel gegen diejenigen (…) schaffen, die sich ihrer öffentlichen Aufgabe nicht bewusst sind«, und mit »öffentlicher Aufgabe« war gemeint, Hitlers Macht zu zementieren. Die »Kulturschaffenden« von 1976 verteidigten, dass ein Künstler, der »Kunst ohne parteiliche Haltung« produziert, ausgewiesen wird, da sie angeblich zur »Prinzipienlosigkeit« führt. Die »Kulturschaffenden« von 2018 fordern den Rücktritt eines Politikers, wenn er angeblich durch Forderung nach Rechtsstaat die »Arbeitsfähigkeit der Bundesregierung sabotiert«.

Staub auf der Zunge

Sich selbst »Kulturschaffender« zu nennen ist zugleich grandiose Hybris und peinliche Selbstaufgabe. Wer sind diese Leute, sich anzumaßen, eine Kultur zu erschaffen? Aber auch: Wie schmeckt denn der Staub auf der Zunge, wenn man vor den Mächtigen kriecht, sich feilbietet, die Kultur zu erschaffen, die ihrer Macht dient?

»Nur die Künstler verderben die Kunst«, sagte Grillparzer, und ich finde, sie sind damit vollauf beschäftigt – ich finde, die Künstler sollten nicht auch noch die Politik verderben.

 

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