Dushan-Wegner

06.06.2018

Islamisierung

von Dushan Wegner, Lesezeit 14 Minuten, Bild von Sergei Akulich
Ja, Islamisierung findet statt, nach praktisch allen plausiblen Deutungen des Wortes. Ich lege Ihnen hier eine ausführliche Schritt-für-Schritt-Argumentation vor, deren Einzelteile Sie z.B. im Gespräch mit Nachbarn nutzen können.
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Wo Krieg ist, da wird geplündert. Es ist Krieg, ein Krieg der Worte, Bedeutungen und Wichtigkeiten. Propagandisten führen Krieg. Sie brandschatzen unsere Sprache. Sie plündern unsere Tempel wie die Vandalen einst Rom plünderten. (Siehe auch meine Texte »Wir lassen uns die Liebe nicht nehmen!« und »Die Freiheit nehm‘ ich mir«.)

Die Sätze unserer Sprache sind Häuser für Wahrheit, und Worte sind die Zimmer der Ideen. Wenn es den neuen Vandalen nicht gefällt, dass diese oder jene Wahrheit gesagt und  auch nur gedacht wird, dann werfen sie die Molotow-Cocktails politischer Korrektheit in unser Haus der Sprache. Wenn der metaphorische Molotow-Cocktail nicht genügt, wird die Gewalt auch unmetaphorisch, das ist bekannt. – Es stellen sich nebenbei zwei Fragen: Fördert das Familienministerium tatsächlich linksextreme Gewalttäter? (welt.de, 1.6.2018) Und, zweitens: Was macht das Familienministerium eigentlich, wenn es nicht Propaganda gegen die Opposition finanziert? (siehe etwa achgut.com, 26.04.2017)

Einer der Begriffe, der keinesfalls gesagt werden darf, und wenn doch, dann nur mit den Vorsätzen wie »angeblich« oder »vermeintlich«, ist: Islamisierung.

Die einen essen gerne Schokoladen, die anderen essen lieber Pudding. Ich selbst, wenn ich einen »verbotenen« Begriff sehe, kann gar nicht anders, als ihn auf den Sprachseziertisch zu heben und nachzuschauen, was sein Herz ist, wie seine sonstigen Organe verkabelt sind, und selbstverständlich warum dieser Begriff den Menschen solche Angst bereitet, dass sie ihn in die Grube verbotener Worte hinabstoßen wollen! Ja, reden wir über »Islamisierung«.

»Islam« und »isierung

Das Wort »Islamisierung« hat zwei Bestandteile: »Islam« und »isierung«. Ich sage es gleich: die Brisanz liegt in der »isierung«, nicht im Islam per se, und doch sollte er hier definiert werden.

Von Debatten-Tricksern erleben wir mancherlei Um- und Neudeutungen. Einmal gibt es »den Islam« angeblich nicht, dann ist der Islam angeblich eine »Rasse«. Ex-Muslime fürchten um ihr Leben. Wer den Islam kritisiert oder gar fürchtet, der gilt als »islamophob« – es wird ihm also eine psychische Störung zugeschrieben.

Wenn ich hier »Islam« sage, meine ich die religiöse Welterklärung und daraus begründete tägliche Praxis aller Menschen, die sich auf den Propheten Mohammed und den Koran beziehen, aber auch die Gesellschaftsformen, die sich aus dem Anspruch des Islam ergeben. (Siehe meine Texte: Islam, Deutschland und Zu-etwas-gehören und Alles, was falsch läuft in der Islam-Debatte)

Wichtig ist, dass ich unter »Islam« nicht nur die Theorie verstehe, wie sie in Sachbüchern und Sonntagsreden politischer Aktivisten präsentiert wird. Islam, so wie ich den Begriff verstehe und nutze, bezeichnet die gelebte und geglaubte Praxis der Gläubigen. Als Beispiel: Es wird gelegentlich gesagt, »der Islam« fordere weder die Verschleierung von Frauen noch das Fasten von Kindern im Ramadan. In der Praxis findet, zum Beispiel in Deutschland, beides statt.

Ich sehe nicht, welchen Mehrwert es haben sollte, über einen künstlichen Begriff zu debattieren, wenn die Realität eine andere ist. Wer manipulieren will, der erfindet Begriffe, welche ihm zupass kommen. – Das Christentum ist Summe und Querschnitt des Glaubens, jener, die sich darin auf Jesus Christus beziehen – der Islam ist die Summe und der Querschnitt des Glaubens (inklusive der Glaubenspraxis) jener, die sich darin auf Mohammed und den Koran beziehen.

Die »-ierung«?

Die Endsilbe »-ierung« deutet auf einen Vorgang hin. Sie ist verwandt mit »-ation«, doch letztere betont den Abschluss des Vorgangs, während »-isierung« auf den Vorgang selbst zeigt. (siehe auch duden.de zu »-a­ti­on/-ie­rung«)

Ob in Deutschland und Europa etwas stattfindet, das sich »Islamisierung« nennen ließe, hängt auch davon ab, wie Sie das »ierung« in »Islamisierung« verstehen.

Prozent-Theorie

Die Bedeutung eines Begriffes entsteht im Gebrauch. Will man diesen Gebrauch näher beschreiben, ist es nützlich, mögliche Szenarien auszuprobieren, wie man Puzzlestücke ausprobiert.

Versuchen wir die einfachst mögliche Deutung! Ich will sie ad hoc die »Prozent-Theorie der Islamisierung« nennen.

Sie könnte so lauten: »Islamisierung bedeutet, dass der Anteil von Menschen muslimischen Glaubens in einer Gesellschaft steigt. Ein Land, in dem dieser Anteil über eine längere Zeitdauer steigt, wird islamisiert«.

Wenn wir eine solche Tendenz bereits als »Islamisierung« betrachten, dann ist die Antwort eindeutig: Ja.

Es ist selbstverständlich keine Sache speziell des Islams – nach einer Prozent-Theorie der »-ierung« könnte man jedes Wort statt »Islam« einsetzen, es würde genauso funktionieren: wenn es eine steigende Tendenz gibt, dann ist es eine »-ierung«.

Gelegentlich wird gegen die Prozent-Theorie eingewandt, dass Muslime doch in den meisten Städten und Bundesländern keine Mehrheit bilden und auf absehbare Zeit nicht bilden werden; von daher gäbe es keine Islamisierung. Solche Einwände sind im besten Fall unpräzise, bei kantigerer Deutung sind sie versuchte Manipulation.

Streng genommen könnte der deutsche Begriff »Islamisation« dann für die auch politisch relevante Mehrheit stehen, doch da das deutsche »Islamisierung« im Englischen »Islamization« heißt, ist eine solche Unterscheidung eventuell eher akademisch als realitätsadäquat.

Die Endsilbe »ierung« zeigt auf einen Vorgang. Nach der »Prozent-Theorie« wäre der Anstieg von 1% auf 2% und so fort, über mehre Zeiträume hinweg, eine »Islamisierung«.

Die Tagesschau selbst, also niemand, der allzu großer Merkel- oder Islamkritik verdächtig ist, schrieb 2017: »Der Anteil der Muslime an der Gesamtbevölkerung wird einer Studie zufolge in Deutschland ebenso wie in Europa insgesamt bis zum Jahr 2050 deutlich steigen.« (tagesschau.de, 30.11.2017)

Wenn man »Islamisierung« als Vorgang des kontinuierlich steigenden Anteils von Muslimen zählt, dann ist die Antwort eindeutig: Ja, Deutschland wird islamisiert.

Akteur-Theorie

Die »Prozent-Theorie« erfordert keine handelnde Person oder Institution hinter einem Vorgang, mindestens sogenannte »Verschwörungstheoretiker« jedoch könnten einer »Akteur-Theorie« zuneigen.

Etwas blumig formuliert lautet die Akteur-Theorie: »Es wäre Islamisierung, wenn ein Akteur im Hintergrund bewusst die Verbreitung des Islam (wie auch immer man wiederum eine solche Verbreitung definiert und festmacht) fördert und betreibt.«

Wir finden die Akteur-Theorie sowohl bei extrascharfen Kritikern aktueller Entwicklung, als auch bei Linken und Journalisten, wenn auch aus unterschiedlichem Grund.

Man könnte theoretisch etwa dem oft erwähnten Milliardär Soros vorwerfen, dass er durch Sponsoring von Vereinen, die Muslime nach Europa bringen, eine »Islamisierung« Europas betreibe – doch eine glaubwürdige Akteur-Theorie erfordert, dass ihm auch wirklich an der Islamisierung gelegen ist! Wenn er etwa armen Menschen einen besseren Lebensstandard ermöglichen möchte (auf dem Rücken deutscher Steuerzahler, während er selbst geschützt mit Ivanka Trump und David Koch in den Hamptons Partys feiert, aber das ist ein anderes Thema), dann könnte eine »Islamisierung« nur zufälliges und in Kauf genommenes Nebenprodukt sein, doch keinesfalls die eigentliche Absicht. (Das ist grob, wovon ich in dem Fall ausgehe.)

Wer aktuelle Entwicklung wegreden möchte, dem kommt eine Akteur-Theorie der Islamisierung als Strohmann gelegen. Indem man ausruft, es gäbe doch offensichtlich niemanden, der eine Islamisierung anstrebe, also gäbe es keine Islamisierung, legt man sich vor allem deshalb auf die Akteur-Theorie fest, weil sie durch Einfordern von Belegen auszuhebeln ist.

Rechtsprechung

Bevor man fragt, ob es eine »Islamisierung der Rechtsprechung« in Deutschland gibt, sollte man angeben, was ein solcher Vorgang bedeuten würde – und dann, wie man es feststellt, dass es so ist. Was ist es, das wir feststellen, und wie messen wir es dann? Unter Umständen ist es weniger kompliziert als man auf den ersten Blick fürchtet.

These & Prämisse 1: Der akzeptable Anteil von Rechtsprechung, die auf religiösen Regeln statt auf deutschen Gesetzen basiert, ist Null.

These & Prämisse 2: Damit man sagen kann, dass eine Rechtsprechung »X-isiert« wird, müsste gezeigt werden, dass in einzelnen Fällen religiöse Regeln der Religion X die säkularen Gesetze und Regeln des Landes »überstimmten«, und dass solche Fälle keine Ausnahme sind, sondern regelmäßig passieren und nicht seltener werden.

Erlauben Sie mir bitte, einige Zitate in den Raum zu stellen, allesamt aus Quellen, die der allzu scharfen Islamkritik unverdächtig sind.

»Die Scharia erlaubt die Vielehe, in Deutschland ist sie verboten. (…) Die Mehrehe wird hingegen anerkannt, wenn die privatrechtliche Absicherung aller »Ehepartner« in Frage steht.« (Dt. Bundestag, Ausarbeitung WD 3 – 3000 – 406/08, 24.11.2008) – Das Zitat ist von 2008, also lange vor der neuen Epoche der gefühlten Rechtsbeliebigkeit in den mit Migration zusammenhängenden Bereichen. Über den Umweg der »privatrechtlichen Absicherung« ersetzt die Vielehe des islamischen Rechts in Teilen das deutsche Recht, und das sagen nicht böse »Populisten«; das sagte 2008 der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags.

Vor dem Einheitshurra 2015 war der Einzug islamischer Gesetzgebung in deutsche Rechtsprechung immer wieder ein Anlass zur Sorge in deutschen Leitmedien.

Spiegel Online schrieb 2010:

Immer wieder berufen sich deutsche Richter auf die Scharia: So lehnte das Bundessozialgericht in Kassel vor einigen Jahren die Klage einer Marokkanerin mit dem Verweis auf islamisches Recht ab. Die Witwe hatte sich geweigert, die Rente ihres Mannes mit der Zweitfrau zu teilen. Beiden Gattinnen stehe der gleiche Rentenanteil zu, betonten die Richter. (spiegel.de 9.10.2010)

Die Welt schrieb 2012:

Wendet sich ein Muslim oder eine Muslimin aber an ein deutsches Gericht, kann durchaus die Scharia zur Anwendung kommen. Denn längst hat islamisches Recht auch an deutschen Gerichten Einzug erhalten. (welt.de, 1.2.2012)

Im Artikel werden nicht nur Fälle in Deutschland gelistet, sondern auch erwähnt, dass etwa in Großbritannien schon länger eine ganz »legale« Paralleljustiz in Form der »Muslim Arbitration Tribunals« ausgeübt wird.

Es ist ja nicht nur beim Familienrecht so. Mit entsprechendem religiösen Hintergrund soll es, lesen wir, auch »Rabatte« für Straftaten geben. 2014 schieb die FAZ: »Ein Deutsch-Afghane, der seine schwangere Ex-Freundin hinterrücks erstochen hat, bekommt eine Art Rabatt. Er habe sich »aufgrund seiner kulturellen und religiösen Herkunft in einer Zwangslage befunden«, sagen die Richter.« (faz.net, 25.3.2014) Im Artikel wird die Problematik vertieft – es ist ein Text aus der Zeit noch vor der großen Hurra-Bewegung.

Verfolgt man die Berichterstattung nach 2015, taugt die Vielehe kaum noch zum Aufreger. Man könnte sagen: Die Vielehe gehört zu Deutschland! Von Pinneberg bis Berlin und in die Provinzen.

Findet nun eine »Islamisierung« der Rechtsprechung statt? Wenn Sie unter »Islamisierung« verstehen, dass deutsches, (mehr oder weniger) säkulares Recht, teils durch die »juristische Hintertür«, immer wieder durch die religiösen Gebote der islamischen Rechts ersetzt werden, dann wohl: Ja.

Schulen

Was könnte »Islamisierung« an einer Schule bedeuten?

  • Dass die Zahl der muslimischen Schüler steigt. Das ist offensichtlich der Fall, und zwar schon seit vielen Jahren vor Merkels Welteinladung. (siehe z.B. de, 11.11.2013)
  • Dass muslimische Sitten an den Schulen häufiger werden. Aus ganz Deutschland wird berichtet, dass Schulkantinen »freiwillig« auf Schweinefleisch verzichten. (siehe z.B. net, 10.2.2016; rp-online.de, 15.2.2016)
  • Dass islamische Inhalte unterrichtet werden, aus der Perspektive des Gläubigen (also Religionsunterricht, nicht Geschichte). – Dies wäre Islamisierung im doppelten Sinne: Zum einen ist es ein Zeichen größerer Prozentzahlen, zum anderen werden Kinder mit muslimischem Hintergrund, die eventuell säkular aufwachsen könnten, in der deutschen Schule aktiv zum Glauben aufgezogen. (siehe z.B. de, 29.4.2018)
  • Dass nicht-muslimische Schüler bedrängt werden, dass also Nicht-Muslime bestenfalls »geduldet« sind. Selbst die Deutsche Welle, ganz offizieller »Staatsfunk«, titelt »Religiöses Mobbing an deutschen Schulen nimmt zu« und berichtet dann, dass »muslimische Kinder ihr Gegenüber in »Schubladen ‚wie guter Muslim, böser Ungläubiger‘ sortieren“« – und das ist noch sehr zart ausgedrückt. (Der ganze Text ist wichtig: com, 5.4.2018)

Falls Sie unter »Islamisierung deutscher Schulen« verstehen, dass der Anteil muslimisch geprägter Schulen steigt, dass aktiv Islam als Glaube unterrichtet wird, dass Schulen sich islamischen Bräuchen unterwerfen, dass in immer mehr Schulen es für Nicht-Muslime »ungemütlich« wird, ja, dann findet Islamisierung statt. (Und wenn Sie das nicht darunter verstehen, was verstehen Sie dann darunter?)

Öffentliches Leben

Es sei erinnert: Wenn wir untersuchen, ob etwas stattfindet, das wir »Islamisierung« nennen können, treffen wir damit keine (ethische oder sonstige) Bewertung.

Werden die Debatte und das öffentliche Leben in Deutschland islamisiert – steigt die Präsenz und gesellschaftliche Wirkung islamischer Symbole und Rituale?

Viele Bürger berichten solche Entwicklungen aus ihrem eigenen Alltag, doch diese Entwicklungen passieren auch »von oben«.

Es ist für Kinder nicht gesundheitlich unproblematisch, den Tag über auf Essen und Trinken zu verzichten (Süddeutsche titelte 2014: »Nichts essen, nichts trinken, nichts lernen«), doch im staatsnahen Fernsehen (siehe etwa »30 Tage Ramadan« von 21.08.2016) und in Schulen (siehe z.B. weser-kurier.de, 22.6.2017) wird dafür Verständnis geweckt. (Gleichzeitig wird wohl stellenweise versucht, entstehende Probleme unter den Tisch zu kehren. ksta.de schreibt am 1.6.2017: »Wer offiziell nachfragt, erfährt wenig von den Nöten im Schulalltag im Umgang mit fastenden Kindern.«) Manchmal wird auch versucht, Entwicklungen wieder zurückzuführen: An der Universität Essen wurde ein muslimischer Gebetsraum geschlossen, nachdem Studenten von Diskriminierung »Ungläubiger« und fundamentalistischen Tendenzen berichteten. (siehe waz.de, 12.2.2016)

In Berlin Friedrichshain-Kreuzberg wurde 2014 das Plakatieren von Werbung mit freizügig bekleideten Damen verboten (siehe tagesspiegel.de, 19.6.2017). Die offizielle Begründung ist »Sexismus«, doch es ist schon ein merkwürdiger Zufall, dass es ausgerechnet von Stadtteilen mit hohem muslimischen Bevölkerungsanteil ausgeht (siehe z.B. morgenpost.de, 4.5.2010). (Man vergleiche etwa Sadiq Khan, den ersten muslimischen Bürgermeister von London, zu dessen ersten Amtshandlungen es gehörte, Bilder schöner Frauen an den Wänden der Londoner U-Bahn zu verbieten.) – Wir erleben die ersten Versuche der deutschen Werbetreibenden, ihre eigene Werbung aktiv zu »islamisieren«. Ein gewisses mediales Echo fand etwa eine Katjes-Kampagne, als die Firma einem Instagram-Model serbischer Herkunft einen Hijab anzog und sie als Fake-Muslimin auf rosafarbenem Hintergund die von Schweinegelatine freien Süßigkeiten naschen ließ. (siehe z.B. n-tv.de, 2.2.2018) Auch die Islamisierung muss noch geübt werden.

Wir könnten über die Kölner Groß-Moschee reden, betrieben von DİTİB, und damit unter Aufsicht des türkischen Präsidiums für religiöse Angelegenheiten. Wir könnten über Frauenkinos wie in Kabul reden, über Frauenschwimmen und über türkische Männercafés. Wir könnten über die mindestens bemerkenswerte Beobachtung reden, dass während deutsche »Feministinnen« für das Kopftuch streiten, iranische Frauen bereit sind, ins Gefängnis zu gehen, um es nicht tragen zu müssen. Wir haben über Antisemitismus im Kontext des Islam geredet, und ich fürchte, dass wir es noch weiter werden tun müssen. (siehe z.B. Jüdische Allgemeine, 4.6.2018) Er ist leider wieder wachsender Teil des Alltags.

Wird das öffentliche Leben in Deutschland islamisiert? Wenn Sie unter »Islamisierung« verstehen, dass Elemente muslimischen Glaubens zum Teil öffentlichen Lebens werden, so wie es in traditionell islamischen Ländern der Fall ist, dann: Ja.

Mit eigenen Augen

Lassen Sie uns noch einmal über die »Prozent-Theorie« reden. Es ist ja ein trivialer, aber eben gern verwendeter Einwand, über »Islamisierung« könne man erst reden, wenn 50 Prozent erreicht seien.

Die erste Rückweisung dieses Arguments war: Wir fragen, ob ein Vorgang stattfindet, nicht ob er schon abgeschlossen ist.

Doch, das »bis zu 50% dauert es noch lange«-Argument ist doppelt falsch: In Teilen Deutschlands sind die 50% längst erreicht, ob wir nun von Straßenzügen oder Schulklassen reden.

Politiker erzählen dem Bürger mit Statistiken, dass seine Realität eine andere ist als die, die er mit eigenen Augen sieht. Wenn ein Schüler in eine Klasse kommt und darin sind 90% Muslime, die ihn als »Ungläubigen« betrachten – was nutzt ihm eine Statistik, die ihm sagt, die rechnerische Mehrheit sei in Deutschland »erst« im Jahr X erreicht. Statistiken, die dem Bürger vormachen wollen, dass das, was er selbst erlebt, unwahr ist, tragen ganz wesentlich zur Spaltung Deutschlands bei. Sogenannte Populisten müssen nur sagen: »Die im Fernsehen verkündete Statistik sagt das eine, du trittst aus dem Haus und siehst das andere – du wirst angelogen, wir aber sagen die Wahrheit.« Das Fernsehen kann dem Bürger nur so und so lange ausreden, dass er sieht, was er sieht.

Kommt ein »Euro-Islam«?

Der große Islam-Irrtum westlicher Meinungsmacher besteht darin, im Islam eine Spaßreligion nach Vorbild des modernen Pop-Protestantismus oder Pop-Buddhismus zu sehen.

Der Islam mag viele Facetten haben, aber in keiner einzigen davon nimmt er sich selbst nicht ernst. Der Islam ist im Verständnis aller gläubigen und praktizierenden Muslime der unhinterfragbare Wille Allahs für diese Welt – und zwar für alle Menschen.

Moderne Christen sind geradezu stolz darauf, dass sie ihr Christentum wie eine Hose an- und ausziehen können. Ja, mit Beichte, Vergebung und Absolution hat der Katholizismus das Nicht-Christ-Sein ins Christsein eingebunden: selbst der Mafioso bleibt Christ, wenn er seine Taten nur beichtet und Rosenkränze betet.

Die Auftrennung von Identifikation auf der einen Seite und Handlung auf der anderen Seite ist heute den sogenannten »Gutmenschen« in Fleisch und Blut übergegangen (und sie scheinen so unbewusst wie militant anzunehmen, dass es im Islam genauso ist). Statt tatsächlich guter Taten »setzt man Zeichen« (und fordert die guten Taten von anderen). Man ruft »Refugees welcome!« (Zeichen setzen) und schreit Zeter und Mordio, wenn die »Flüchtlinge« bei einem selbst angesiedelt werden (die »gute Tat« wurde doch bereits durchs Zeichensetzen erledigt). (siehe auch: Aus Gutmenschen, die es selbst betrifft, werden schnell Bösmenschen)

Ich habe den Eindruck, dass westliche Wir-schaffen-das-Politiker hoffen, Muslime im Westen für säkulare Beliebigkeit zu gewinnen. Das Stichwort ist »Euro-Islam«. Kann das gelingen? Ich bin noch nicht mal sicher, dass es nicht gelingen kann. Ob es gelingen kann oder nicht (wer soll der muslimische Luther sein?), fest steht, dass es jetzt noch nicht so weit ist.

Die Trennung von Staat und Religion ist eine europäisch-christliche Erfindung – und nicht einmal im christlichen Europa funktioniert sie so richtig. Jede Religion will einen Einfluss auf die Organisation der Gesellschaft nehmen (es geht auch gar nicht anders, wenn man das Leben vieler Einzelner formt), doch bei wenigen Religionen ist es so eindeutig wie im Islam.

Nach allen mir plausibel erscheinenden Bedeutungsmöglichkeiten des Wortes »Islamisierung« kommt es mir nicht falsch vor, zu sagen: Ja, Deutschland und Europa befinden sich im Prozess der »Islamisierung«; das bedeutet nicht, dass es einen Akteur gibt, der das betreibt, das bedeutet nicht, dass schon in allen Einrichtungen und auf Deutschlandebene ingesamt betrachtet Muslime und islamische Einflüsse in der Mehrheit sind. Es bedeutet noch nicht einmal, dass es schlecht oder dass es gut ist– es besagt lediglich, dass es so ist, und zwar nach allen plausiblen Bedeutungsmöglichkeiten des Wortes, und in den meisten Bereichen öffentlichen Lebens in Deutschland.

Im großen Krieg um Worte können wir hier zumindest Frieden schließen und die sprachlichen Waffen niederlegen. Wenn »Islamisierung« bedeutet, dass Einflüsse des Islam als Religion, als Lebensvorgabe und als Gesellschaftsform nicht nur mehr werden, sondern auch säkulare, christliche und sogar rechtsstaatliche Prinzipien und Traditionen ersetzen, dann, ja, dann lässt sich sagen: Eine Islamisierung findet statt.

Die nächste Frage wäre: Wie werden wir damit umgehen, als Gesellschaft und als Einzelne?

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