Dushan-Wegner

17.03.2018

Islam, Deutschland und Zu-etwas-gehören

von Dushan Wegner, Lesezeit 7 Minuten, Bild von Mohamed Nohassi
Die Debatte, ob Islam zu Deutschland gehört, wird nicht geführt, weil alles so prima läuft – sie wird geführt, weil es knirscht. Aber: Die Debatte ist Fake! – Hier ist meine Erklärung dazu, was da gerade passiert und worum es WIRKLICH geht.
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Islam, gehört er zu Deutschland? Gehört er nicht zu Deutschland? Gehört Sharia zum Islam, womit, wie Broder richtig feststellt, nach dem Prinzip der russischen Matrjoschka-Puppen (die es übrigens auch als Putin-Edition für verdiente Sozialdemokraten gibt!), auch die Sharia zu Deutschland gehören müsste?

In Deutschland wird nun schon seit Jahren ein Wort-Tennis um den Islam gespielt. Der eine schlägt sein Wort übers Netz, der andere schlägt ein Wort zurück. Das Problem beim Wort-Tennis um den Islam ist aber: Es sind ein Dutzend Bälle im Spiel, und jeder schlägt und spielt den Ball, der ihm gerade zum schnellen Punktsieg hilft. So kann sich jeder als Sieger fühlen, nur der Zuschauer ist etwas verwirrt.

Schauen wir uns die Bälle genauer an!

Islam und Nicht-Islam

Eine meiner Denkregeln lautet: Wenn es scheint, dass etwas der Fall sein kann und zugleich nicht der Fall sein kann, sollte man davon ausgehen, dass man das Problem nicht verstanden hat.

Es gibt Leute, die anderen vorwerfen, »islamophob« zu sein, und dann ergänzen, dass es den Islam gar nicht gäbe – was also ist der Vorwurf? Gibt es Islam als eigenständige zu fürchtende Einheit oder nicht? In obiger Tennis-Metapher werden von solchen Anklägern zwei verschiedene Bälle auf einmal gespielt, in der Hoffnung, dass irgendeiner schon den Punkt macht.

Die Absurdität wird vollständig, wenn es als »rassistisch« gilt, dass ein arabischer Ex-Muslim den Glauben eines deutschen Konvertiten hinterfragt. In der Tennis-Metapher entspräche das etwa dem Fall, dass nicht der Ball sondern der Schläger übers Netz geworfen wird.

Es bleibt uns nichts anderes übrig, wir müssen Balljunge spielen! (Oder Ballhund.)

Uhrzeit und Religion

Nehmen wir an, in einem Raum hängt eine Uhr an der Wand. Wir sind uns sicher einig, dass die Uhr damit zum Teil des Raumes wird. Was aber ist mit der Uhrzeit? Ist die Uhrzeit ein Teil des Raumes?

Wenn im Raum ein ausgedruckter Kontoauszug auf dem Tisch liegt, dann ist der Kontoauszug ein Teil des Raumes, ist aber auch der Konto-stand ein Teil des Raums?

Wir merken hier schnell, dass die zweite Frage jeweils schräg ist. Die Uhr und der Kontoauszug sind konkrete Dinge. Sie haben Eigenschaften (Uhr: Stellung der Zeiger, ) deren Beschaffenheit von uns Menschen gelesen wird als Hinweis auf ein abstraktes Faktum.

Im Text »Einer der wichtigsten Sätze überhaupt: Das sind zwei verschiedene Kategorien!« erinnere ich daran, dass man für ehrliche, sinnvolle Debatte stets die Kategorien der verwendeten Gegenstände unterscheiden muss; eine solche Trennung verschiedener Kategorien und möglicher Wortbedeutungen scheint mir auch hier notwendig.

Zum Islam

Was ist gemeint mit dem Wort »Islam«? Betrachten wir zwei denkbare gescheiterte Wortwechsel, wie wir sie dieser Tage häufig erleben:

– Der Islam gehört nicht zu Deutschland.
– Du willst also alle Muslime ausweisen!

Oder:

– Der Islam gehört zu Deutschland.
– Stimmt nicht, Deutschland ist auf jüdisch-christlichem Fundament gebaut.

Diese Pseudo-Argumentationen scheitern, unter anderem, an der jeweils wechselnden Definition von »Islam«.

Das Wort »Islam« könnte sich im Gespräch sinnvoll auf verschiedene Strukturen und Realitäten beziehen:

  • Menschen, die sich in ihrem Glauben auf den bestimmten Religionsgründer Mohammed

berufen, sprich: Muslime.

  • Die Schnittmenge dessen, was Muslime tatsächlich glauben, und wie sie das Geglaubte praktisch umsetzen, also das, was jeder Muslim glaubt und aus diesem Glauben heraus lebt.
  • Die Summe dessen, was Muslime tatsächlich glauben, und wie sie das Geglaubte praktisch umsetzen – alles das, was mindestens 1 Muslim qua Muslim glaubt und aus diesem Glauben heraus lebt, ginge in eine solche Definition mit ein.
  • Die exklusiven Besonderheiten von Kunstwerken und anderen Kulturprodukten, deren Entstehung und Eigenschaften von Muslimen als Gläubigen geprägt sind, also zum Beispiel das Islamische in islamischer Architektur.
  • Die Schnittmenge dessen, was Muslime als Ideal ihres gelebten Glaubens betrachten, unabhängig davon, ob sie es tatsächlich selbst leben. (Vergleich: Ein Christ etwa könnte es als Ideal betrachten, am Sonntag nicht zu arbeiten, obwohl er aus praktischen Gründen am Sonntag arbeitet und sich doch weiter als Christ ansieht.)
  • Die Summe dessen, was Muslime als Ideal ihres gelebten Glaubens betrachten, unabhängig davon, ob sie es tatsächlich selbst leben.
  • Die Schnittmenge (oder wieder: Summe) dessen, was in der muslimischen Welt anerkannte (!) Gelehrte als »Islam« betrachten. (Also eine »institutionelle Erklärung«, wonach ein X ist, was ein für X beauftragtes Institut für X erklärt.)

Es sind natürlich weitere mögliche Bedeutungen von »Islam« denkbar. Wenn Sie eine Debatte zum Islam zum Scheitern bringen möchten, und manche Debatte dieser Tage entgleist ja bereits im ersten Aufschlag, dann verwenden Sie einfach wechselnde Islam-Konzepte.

Deutschland und x-gehört-zu-y

Der Satz, wonach der Islam zu Deutschland gehört, oder nicht, hat ja noch mehr unbestimmte Stellen – er besteht ja aus nichts als unbestimmten Stellen!

Was meinen wir mit »Deutschland«? Die Bundesrepublik als Rechtsform? Eine Regierung? Ein bestimmtes geographisch vermessenes Stück Erdoberfläche? Eine geschichtliche Tradition, die sich schwerpunktmäßig auf diesem geographisch abgesteckten Gebiet abgespielt hat? Die Summe der Menschen mit deutschem Pass?

Und: Was bedeutet es, dass X zu Y gehört?

Bedeutet »der Islam gehört zu Deutschland«, dass Deutschland in seiner Kultur und seinem politischem Werden auf islamische Denkschulen baut, wie es auf christlicher und jüdischer Denkschule baut? Dann ist die Antwort doch recht eindeutig: Nein.

Bedeutet »der Islam gehört zu Deutschland«, dass Muslime nun schon seit Jahrzehnten in Deutschland leben und ihre vom Glauben geprägte Lebensweise und Weltsicht nach und nach wesentlichen Einfluss zum Beispiel auf Lebensalltag, Kultur und Stadtbild hat? Dann ist die Antwort ebenso eindeutig: Ja.

Die Sätze »der Islam gehört zu Deutschland« und »der Islam gehört nicht zu Deutschland« sind beide richtig, je nachdem, was man mit Islam, Deutschland und x-gehört-zu-y meint.

Ich wage recht selbstbewusst die These: Wer »Islam gehört zu Deutschland« oder »Islam gehört nicht zu Deutschland« für sich stehend als Argument in die Debatte wirft, hat entweder das Problem nicht verstanden oder ist populistisch unterwegs. (Mit »populistisch« meine ich übrigens, ein Problem unangemessen zu vereinfachen.)

Worum es wirklich geht

Die »Gehört der Islam zu Deutschland«-Debatte überdeckt die eigentlichen Fragen und brennenden Probleme; ich sehe folgende drei Probleme als die eigentlichen an:

  1. Das moderne westliche »Christentum-Light« ist praktisch die einzige Religion, die eine Trennung von Religion (im Sinne von Mythen, Spiritualiät und Ritual) und dem politisch relevanten Alltagsleben auch nur denken kann. Für die meisten anderen Religionen ist eine Trennung von »privater« Religion und öffentlich gelebtem Leben unvorstellbar und schon als Konzept absurd. Das westliche Prinzip der Religionsfreiheit baut im Kern auf dieser Trennung auf und ist überfordert von Religionen, die eine solche Trennung nicht vorsehen.
  2. Wenn man »Islam« versteht als die Summe dessen, was Muslime (hier genauer: jeweils eine signifikante Gruppe von Muslimen) glauben und für richtig halten, dann ist eindeutig das Primat der Scharia über demokratische Gesetze ein Teil des Islam. (Siehe zum Beispiel Pew 2013.) Wer dies bestreitet, muss sich fragen, ob er sich einen künstlichen Phantasie-Islam für die Debatte zurechtlegt.
  3. Die Politiker, Journalisten und Talkshowgäste, die in Berlin die Debatte bestimmen, treten inkompetent und zugleich populistisch auf.

Tertium fortasse datur

Die Debatte, ob Islam zu Deutschland gehört, wird nicht geführt, weil alles so prima läuft. (Gehört eigentlich der Buddhismus zu Deutschland?) Nein, es wird diskutiert, weil es im Zusammenleben von Christlich-Säkularen und Muslimen knirscht, und zwar täglich lauter.

Die Situation ist nicht unlösbar, noch immer nicht. Amerika etwa hat ähnliche Debatten und findet durchaus Wege des Zusammenlebens, wenn auch da nicht immer ganz geräuschfrei – nur so, wie die Debatte jetzt von Berlin aus geführt wird, ist dieses Projekt, dessen Durchleuchtungstiefe nie über »Wir schaffen das!« hinausging, zum Scheitern verurteilt.

Ich sehe zwei Szenarien:

  1. Ein Wunder geschieht, die Politik entwickelt Gehirn und Gewissen, und alle Berliner Haltungs-Journalisten werden ausgetauscht gegen Leute, die denken können und den Mut haben, zu sagen, was ist. (Es sieht nicht danach aus. Im Gegenteil: Ex-Regierungssprecher und Jetzt-ARD-Chef Wilhelm träumt sogar davon, GEZ-Funk mit ausgewählten Privaten via gemeinsamer Plattform noch enger zu vernetzen – es wird also wohl noch einheitlicher und abgekapselter.)
  2. Deutschland hält Kurs und steuert weiter auf Probleme zu, welche wir früher nur aus Ländern kannten, die wir nicht auf der Weltkarte lokalisieren konnten.

Vielleicht gibt es noch ein weiteres Szenario, eines das ich übersehen habe. Sie können ja den Fernseher einschalten, was der dazu sagt. Im Ersten läuft heute von 20:15 Uhr bis kurz vor Mitternacht »Die große Schlager-Überraschung« mit Florian Silbereisen. Oh, mit Helene Fischer! Ich nehme an, dann kann es alles ja nicht so dringend sein. Die Damen und Herren vom Fernsehen würden uns ja sagen, wenn es dringend wäre.

Weiterschreiben, Wegner!

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