Dushan-Wegner

17.05.2018

Wie soll man sich integrieren in ein Land, das nicht Heimat sein darf?

von Dushan Wegner, Lesezeit 5 Minuten, Bild von Claudio Testa
Man kann Gündoğan & Özil fast verstehen. 2 Länder bieten sich als Heimat an: Eins mit Geld, das sich selbst hasst – und eins, das Menschenrechte anders definiert, aber Heimat sein will. Integration braucht ein Heimat-Angebot, braucht Werte und Identität.
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Eine Meldung echot in diesen Tagen durch die Nachrichten-Plattformen. Die deutschen Nationalspieler Mesut Özil und İlkay Gündoğan haben dem Präsidenten der Türkei, Recep Tayyip Erdoğan, ihre Aufwartung gemacht. Sie schenkten ihm Spieler-Trikots. Sie ließen sich mit ihm fotografieren. Auf Gündoğans Trikot stand »Für meinen Präsidenten, hochachtungsvoll«.

Erdoğan, der Journalisten einsperrt und dereinst die Demokratie nur als Zug betrachtete, mit Moscheen als Kasernen und Gläubigen als Soldaten, einen Zug, auf den er aufzuspringen gedachte, aber nur so lang, bis er am Ziel sei (zu wenige fragen: an welchem Ziel?!), der muss heute noch auf diesem Zug fahren, schon weil er wartet, bis die EU sich ihm ausreichend angepasst hat, kurz: Es ist wieder Wahlkampf in der Türkei. Zu Pfingsten wird Erdoğan übrigens in Sarajevo auftreten und tausende »Austro-Türken« werden in Bussen hinfahren. In Deutschland wird er nicht auftreten, aber er hat ja Hilfe.

Die Herren

Wissen Sie was? Ich kann die beiden Herren emotional verstehen – ein Stück weit. Und bevor Sie mich jetzt miss-verstehen (absichtliches Missverstehen ist ja, wie Empörungs-Profis heute ihr fauliges Brot verdienen), ich habe nicht gesagt, dass ich gutheiße, was sie taten. Ich kann mancherlei Menschen verstehen, und heiße ihre Taten doch nicht immer gut.

Herrn Gündoğan kann ich sowieso verstehen, ganz persönlich. Er hat, liest man, in der Türkei investiert. Wer in der Türkei erfolgreich investieren will, muss sich mit dem Präsidenten und seinen Freunden verstehen. Gündoğans Freundlichkeit ist Investitionsschutz, selbst wenn sie nicht auf diese Weise gedacht war. Deutschland ist ja auch freundlich zu Iran, Saudi Arabien oder eben der Türkei, aus ähnlichen Gründen.

Ich kann aber auch Herrn Özil verstehen. Er wurde, ebenso wie Gündoğan, in Gelsenkirchen geboren. Es waren seine Großeltern, die nach Deutschland übersiedelten. Sein Vater war damals zwei Jahre alt. Mesut Özil wurde Fußballer. Ein dramatisch erfolgreicher Fußballer! Er spielte für Schalke 04, für Werder Bremen und für Real Madrid. Er wurde Weltmeister mit Deutschland. Heute spielt er für den FC Arsenal in London.

Özil ist ein reicher Mann. Es gab gelegentlich Unklarheiten ob seiner Steuerzahlungen; es wurde von Offshore-Scheinfirmen gemunkelt, Schweizer Konten und Strohmännern – aber es waren alles nur Missverständnisse. Özil hat nachgezahlt und damit muss dann auch gut sein. Er kennt sich damit nicht so gut aus, er will ja nur Fußball spielen.

Özil und Gündoğan waren nun also dem Ruf »ihres« Präsidenten gefolgt. Sie ließen sich lächelnd an seiner Seite fotografieren, auf Tuchfühlung. Erdoğan hat einst erklärt: »Assimilierung ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit«. Der Auftritt der türkischstämmigen Fußballer aus Gelsenkirchen war »das Gegenteil von Integration«, da waren sich die Kommentatoren quer durch das politische Spektrum eindeutig einig.

Ich kann es verstehen

Ich kann die Aktionen der Herren verstehen – die Erklärungen aber nehme ich ihnen nicht ab. Ich habe dann doch Fragen, wenn sie sagen, dass sie nicht wussten, was sie politisch taten, da sie »nur« Fußballer, nicht Politiker seien. (Özil hat 2010 übrigens den Integrations-Bambi bekommen, ähnlich wie ein Jahr später Bushido. Wer integriert ist, der sollte doch wissen, wer »sein« Präsident ist, oder nicht?) Beide sind erfolgreiche internationale Unternehmer in eigener Sache – sie wären nicht so erfolgreich, wenn sie so wenig informiert wären, wie sie sich jetzt geben. Nein, zuerst scheinen sie mir eine nachvollziehbare Kalkulation gemacht zu haben: Der Nutzen dieser Aktion in der Türkei wird langfristig größer sein als der Schaden im Westen. Sie spielen ja in England. Das Spielen in »Die Mannschaft« nimmt man mit oder lässt es bleiben. Im schlimmsten Fall, wenn die Vorwürfe zu groß werden, können sie in Deutschland »Rassismus!« rufen, dann ist das meist vom Tisch, egal, was »das« ist.

Die Debatte wird sich verlaufen. Es wurde zu viel in diese Herren investiert, von Werbeträgern, Politikern und Verbänden, als dass man all dies wegen der Huldigung für einen Diktator fortwerfen wollte. Was sind schon ein paar eingesperrte türkische Journalisten gegen ein deutsches Tor bei der Weltmeisterschaft? Was sind schon ein paar geschlossene türkische Zeitungen gegen die Rettung des deutschen Multikulti-Traums?

Welche Heimat?

Der Grinseauftritt mit Erdoğan, der von vielen Seiten als missglückte Integration angesehen wird, ich kann ihn aus der Perspektive der beiden Fußballer verstehen – und nicht nur aus pragmatischen Gründen.

Man fragt, ob die Fußballer integriert seien, und ich frage: Integriert in was?

Damit ein Mensch sich integrieren kann, braucht es ein Angebot von Heimat. Was ist denn das Heimat-Angebot, dass Deutschland dem Einwanderer erster, zweiter oder dritter Generation heute anbietet?

»Wir hassen uns selbst, hier ist unser Geld, jetzt integriert euch!« – das ist kein Heimat-Angebot, das ist lähmende Selbstverlorenheit.

Ein Haus ohne Wände kann kein Zuhause sein. Selbst ein Zelt hat eine Plane, die zwischen Drinnen und Draußen trennt. Schon Kinder bauen sich Häuser aus Decken und Sofas. Eine Familie, zu der jeder gehören kann, ist keine Familie. Ein Ehemann, der mit jeder Frau schläft, ist kein tauglicher Ehemann. Wer sich jedem als Heimat andient, kann niemandem Heimat sein.

Heimat braucht Stolz und Klugheit. Heimat braucht eine Moral, die das Eigene zuerst sieht. Der Begriff Heimat enthält zwingend auch Heimat zuerst. Wer will zum Mitglied einer Familie werden, die das Konzept Familie insgesamt verabscheut? Wer möchte sich adoptieren lassen von einer Familie, die alle anderen Familien mehr mag als sich selbst?

Es wird manchmal getan, als ob die Integration der Zuwanderer aus bestimmten, trennscharf bestimmbaren Ländern eine Bringschuld der Deutschen wäre. Wenn man nur »toleranter« wäre, wenn man nur mehr Verständnis aufbrächte für religiöse Intoleranz und Frauenunterdrückung, wenn man nur sich selbst mehr verleugnete, dann würde es auch klappen mit der Integration.

Und, wissen Sie was? Ja, ich finde, dass Deutschland tatsächlich »zu wenig« tut für Integration, doch damit meine ich keine Klöppelkurse.

Integration braucht ein Heimat-Angebot. Damit sich irgendwer, ob Fußballspieler, Flüchtling oder »Flüchtling«, in Deutschland integrieren kann, muss es sich selbst zunächst erlauben, eine Heimat zu sein. Selbsthass ist kein Wert, Selbstaufgabe ist kein Wert, allzu große Selbstlosigkeit endet bald in eigener Hilflosigkeit.

Als ich nach Deutschland kam, war Deutschland noch ein Heimat-Angebot. Es war ein Land, in dem man gern arbeitete, für das man gern arbeitete. In den Händen von Alt-68Ern und schließlich der Ex-FDJ-Sekretärin wurde es zum offenen Portemonnaie der Welt.

Wer andere Menschen integrieren will, muss ihnen etwas anbieten, in das hinein sie sich integrieren können. Wer andere lieben will, muss zunächst sich lieben. Wer anderen eine neue Identität, eine neue Kultur und eine neue Geschichte anbieten will, darf diese Identität, Kultur und Geschichte nicht geringschätzen oder gar verachten. Wer anderen eine Heimat sein will, muss zuerst sich selbst eine Heimat sein.

Weiterschreiben, Wegner!

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