Dushan-Wegner

31.08.2019

Gänsefleisch etwas größer denken?

von Dushan Wegner, Lesezeit 7 Minuten, Bild von Karina Lago
(West-)Deutschland ist wie ein Betrunkener an der Bar, der alle Welt auf teure Drinks einlädt. Man ist so lange nett zu ihm, wie er zahlt. Im Osten spürt man, dass der linksgrüne Spuk etwas irre ist. Ossis, bleibt wie ihr seid, ihr macht das schon richtig!
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Stellen Sie sich bitte eine Party vor – eine Party ist doch immer eine angenehme Vorstellung, oder nicht? Die Musik spielt, das Licht flackert zum Takt, die meisten Leute tanzen, einige streiten sich, und Sie wollen sich einen Drink holen, der Elektrolyte wegen.

An der Bar lallt Sie ein Betrunkener an, und sie kommen näher, und stellen fest, dass es eigentlich zwei Leute sind, es sind zusammengewachsene siamesische Zwillinge, aber nur einer von beiden ist sturzbetrunken, der andere eher so mitvergiftet. Ja, dieser Anblick gruselt Sie ein wenig, da ist zusammengewachsen, was doch so offensichtlich verschieden ist – und zugleich doch zusammengehört.

Es wird noch irritierender! Der Betrunkene der Zwillinge zeigt auf einen der Tänzer auf der großen Tanzfläche und sagt zu Ihnen: »Siehst du den, der tanzt total falsch! So tanzt man nicht!« – Sie sehen hin, und der Tänzer tanzt so, wie die meisten tanzen, wie man so tanzt, und ehrlicherweise wünschen Sie, auch Sie würden so tanzen können, denn er tanzt gar nicht so schlecht. Warum erzählt der Betrunkene der Zwillingen Ihnen das überhaupt? Haben Sie nach einem Tanzurteil gefragt? Hat irgendwer danach gefragt?

Sie wollen sich den zusammengewachsenen Zwillingen entziehen, vor allem dem Betrunkenen der beiden – der andere ist ja mehr so apathisch dabei – doch der Betrunkene spricht den Barmann an: »Einmal vom teuersten Whisky, für unseren Freund hier!«

Erstaunlicherweise nickt der Barmann – der Betrunkene hat wohl guten Kredit bei der Bar. Man stellt Ihnen einen goldenbraunen Whisky hin, mit dem Aroma eines würdevoll abgebrannten Eichenwaldes, und jeder Schluck schmeckt, als würde man das Erbe der Kinder und Enkelkinder vertrinken – sollen die doch selber gucken, wie sie klarkommen! Der betrunkene Zwilling lallt weiter: »Gutes Getränk? Also: Siehst du den den Tänzer, und diese Tänzer, und jenen Tänzer? Die tanzen alle falsch! So tanzt man nicht.«

Eine verstörende Szene wäre das, diese siamesischen Zwillingen, von denen der eine sturzbetrunken ist, offensichtlich reich und dazu ungesund spendabel – eine verstörende Szene, fürwahr.

Gänsefleisch-Credentials

Dieser Tage wird im Osten Deutschlands gewählt, und Zeitungen suchen nach »Bio-Ossis«, die besonders glaubwürdig erklären können, warum die Ossis »so ticken, wie sie ticken«.

Bei »Zeit Online« etwa erklärt ein »Ossi« pünktlich zur Wahl das »Very strange country«, gemeint Brandenburg (zeit.de, 30.8.2019) – dazu muss man wissen, dass der Autor früher im Grünen-Wahlkampf mitwirkte, außerdem »entwickelte« er das später für seine Abweichler-Listen bekannte Portal »Netz gegen Nazis« (»Nazis« scheint dort vor allem »Nicht Links« zu meinen). Heute zeichnet die umstrittene Stiftung einer bekannten ehemaligen Stasi-Mitarbeiterin für jenes inzwischen umbenannte Portal verantwortlich (siehe auch: »Was ist ein Nazi?«). Das ist der Dunst, aus dem heraus ein gebürtiger »Ossi« der Zeit-Leserschaft den Osten »erklären« darf.

Es gibt auch richtig gute Erklärungen des Ostens, von »Ossis«, die man sicher in der politischen Mitte verorten kann. Ralf Schuler fragt bei bild.de, 30.8.2019: »Woher kommen Wut und Frust im Osten?« – Aus dem Text:

Und immer wieder gebe es Stress mit Migranten: Die kämen mit Übersetzer und Betreuer zum ersten Arbeitstag, erzählt der Bauer. Und dann nie wieder. Mit neun von zwölf Praktikanten bei Handwerkern lief es auch so. »80 Prozent der Leute, die ich kenne, wählen hier AfD«, sagt er.
(bild.de, 30.8.2019)

Ich könnte natürlich auch selbst versuchen, meine »Ost-Credentials« hervorzukramen. Ich könnte erwähnen, dass während mancher heutige Erklär-Ossi nach der Wende in den Westen zog, ich für einige Semester gen Osten wanderte. Ich könnte anführen, dass ich meinen Führerschein in der Nähe von Magdeburg machte und dass mein erstes Auto ein Trabi in Gletscherblau war, mit »Mäusekino« für den Spritstand, und wie es ein sehr unvergessliches Erlebnis ist, wenn auf der Autobahn vor, hinter und überholend neben dir große LKWs fahren, allesamt wütend, dass du sie blockierst, weil die Pappe um dich herum einfach nicht schneller fahren kann.

Ich habe nichts gegen Ossis – einige meiner besten Freunde sagen »Gänsefleisch«. Und gerade deshalb bin ich der festen Überzeugung, dass bei der Wahl im Osten es nicht um den Osten geht.

Verwachsen, zwei Persönlichkeiten

Stellen wir uns die Welt wie eine ewige Party vor, mit den Nationen und Volksgruppen als Partygästen.

Im Herbst 1990 versuchten zwei der Weltpartygäste, welche ihre eigene Geschichte kurzzeitig getrennt hatte, sich wieder zu einem einzigen Gast zu vereinigen. Das heutige Deutschland wirkt wie siamesische Zwillinge, erst getrennt und dann wieder zusammengenäht, doch mit zwei Persönlichkeiten, und eine der Persönlichkeiten steht seit nun schon Jahren betrunken an der Weltbar und zeigt allen ein »freundliches Gesicht«, wie Betrunkene und Blöde es schon mal tun, und sie wirft all ihr hart erarbeitetes Geld um sich, sie lädt unbegrenzt Gäste auf teure Drinks ein – und sie schimpft gleichzeitig auf teilweise dieselben Gäste, wie moralisch verkommen diese doch seien. (Frage am Rande: Wie viele der Euro-Milliarden, die das aus deutschmoralischer Sicht so schlimme Ungarn von der EU kassiert, stammen aus Deutschland?)

Es stimmte schon, Deutschland hat sich nach dem Krieg eine gewisse Wirtschaftskraft erarbeitet, aber dann ist es mit der Hilfe von 68-ern und Staatsfunk durchgedreht – Merkel hat »nur« ihre Segel in den ohnehin wehenden Wind gestellt, 2002 wäre sie ja aus heutiger linksgrüner Deutung »rechtsextrem« zu nennen gewesen, doch Merkel hat nur 1 relevante Struktur: Merkel – und jetzt versuchen die klugen der Länder um Deutschland herum, die spendablen Seiten des Betrunkenen zu nutzen, und doch bereitet man sich jeder auf seine Art darauf vor, wenn dem betrunkene Zwilling der Kredit austrocknet.

Es besteht kein Zweifel daran, dass der Westen Deutschlands mehr Geld hat als der Osten – doch die Illusion, Westdeutschland hätte irgendeine moralische Autorität, über den Osten oder sonst jemanden auf der Welt zu urteilen, die ist geradezu niedlich.

Der angenähte Zwilling

Diverse Westdeutsche Zeitungen schreiben heute über »die Ossis« – manchmal via Bezahl-Ossi als Namen überm Text, was westlinksgrünen Ressentiments etwas Glaubwürdigkeit verleihen soll. Das eigentliche Thema der Wahlen in Deutschlands Osten ist aber nicht der Osten.

Man möchte den an sich und ihrer vermeintlichen Moral betrunkenen Linksdeutschen zurufen: Hey, ihr Gutdeutschen, gänsefleisch bitte etwas größer denken?! Hebt doch ein einziges Mal euren Blick hoch, schaut nur einmal weg von eurem Bauchnabel, ihr Besserwessis und Bessermenschen! So wie der »Der Osten« tickt, so ticken die allermeisten der knapp zweihundert Nationen auf der Weltparty – und alle der erfolgreichen! So wie der deutsche Westen heute tickt, so tickt nur und ausschließlich der Westen, und das auch nur noch dank Staatsfunk und Propaganda.

68-er und Staatsfunk haben den Westen Deutschland seelisch ausgehöhlt, und die leere Hülle versucht, sich auf der Weltparty etwas Sympathie zu kaufen. Ostdeutschland ist der angenähte Zwilling, der ein wenig mitvergiftet wird und sich doch wehrt.

Es ist schon okay

Man müsste schon ganz taub sein, metaphorisch gesprochen, um nicht zu hören, um nicht zu spüren, dass die Musik auf der Weltparty in diesen Jahren den Rhythmus wechselt. Dem Zahlmeister Deutschland gegenüber tun noch einige, als würden sie nach deutschen Melodien tanzen, doch das nur so lange, wie der betrunkene der beiden deutschen Zwillinge mit Geld um sich wirft – höchstens einige verwirrte Zwerge nehmen noch die Lächerlichkeit ernst, welche Besserwessis für ihre »Moral« halten, und auch die denken nach und nach um.

Die Westdeutsche Hybris ist wenig mehr als der Wahn eines Reichen, der verrückt geworden ist und gerade sein Geld verzockt, und den man einfach mal machen lässt, bis er pleite ist.

Ich sage: Es ist schon okay, liebe Ostdeutschen, dass ihr zu eurem eigenen Rhythmus tanzt – es ergibt sich auch, dass ihr zu einem ähnlichen Rhythmus tanzt wie die meisten der Völker und Nationen auf der Welt, und wie die erfolgreichen unter den Ländern auf jeden Fall.

Der Zwilling, liebe Ostdeutsche, an den ihr drangenäht seid, er ist betrunken und irre – und er wirft sein Geld (und die Reste seines guten Rufs) um sich. Es ist okay, wenn ihr ein gesundes Misstrauen gegenüber diesen Besserwessis hegt, deren Meinung und Moral so eklatant ihre Vernunft und ihren Verstand übersteigen.

Es ist okay, liebe Ostdeutschen, dass ihr zu eurem eigenen Rhythmus tanzt – euren betrunkenen Zwilling nimmt kaum noch jemand ernst, man tut höchstens nur so, solange er zahlt – und zahlen kann. Tanzt zu eurem eigenen Rhythmus.

Oder, flapsiger formuliert, wenn ich darf: Liebe Ossis, gänsefleisch so bleiben wie ihr seid? Ihr macht das schon richtig so!

Weiterschreiben, Wegner!

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