Dushan-Wegner

25.05.2018

VEB Hurrafunk, Alexa und der Zweckpessimismus

von Dushan Wegner, Lesezeit 4 Minuten, Bild von Brooke Lark
Wie entstehen die täglichen »Nachrichten«, wie die von den pessimistischen AfD-Wählern? Erlauben Sie mir bitte, es Ihnen zum #TowelDay mit dieser launigen Geschichte zu illustrieren ...
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Der Pessimist sagt, das Glas sei halb leer. Der Optimist sagt, das Glas sei halb voll. Der Opportunist trinkt das Wasser aus – und die Feministin mahnt, das nun leere Glas stehe für die Unterdrückung durch das Patriarchat.

In der Szene, von der wir hier berichten, ist es Donnerstag nach Pfingsten. Die Sonne ist aufgegangen überm verwirrten Land der Deutschen. Die Back-Ketten wärmen ihre Tiefkühlteigwaren auf. In den Stellwerken der Bahnbetriebe wird geplant, wo man sich heute alles verspätet. Die Kioske stapeln die Internet-Aufreger von gestern, gedruckt auf Altpapier, für die Gemächlichen. Dazu Kaffee aus Kapseln für die Erwachsenen. Zigaretten für die Kinder, oder Vaping-Flüssigkeit, oder was die jungen Leute von heute so rauchen. Müde Köter, die gestern nicht nach Hause fanden, verzieren die Gehwege und stellen den Frühschichtlern fiese Fallen. Guten Morgen!

Beim VEB Hurrafunk gönnt man sich den vierten Flat White mit 24 Karat Goldpuder. Die Stimmung war schon besser gewesen. Man muss sich ja auch erst einmal kennenlernen! Drei Redakteure hatten letzte Woche einen Anflug von Gewissen und leider konnten daraufhin ihre Verträge nicht verlängert werden. Sie wurden ersetzt durch 2 bärtige Hipster, einer davon mit infiziertem Ohr, sowie einem dieser »intelligenten« Lautsprecher. In zwei Wochen wird man feststellen, dass der Roboter aus Versehen mitschneidet, wenn das Kennwort »Antifa« erwähnt wird, und den Audiomitschnitt an gewisse konservative Blogger schickt. (Sie denken, dieser Witz sei nur frei erfunden?)

Es ist Donnerstag und die Energie im monatlich neu renovierten Redaktionsraum »Wir schaffen das« könnte stärker sein. Die Woche fing ja schon anstrengend an, mit einem langen Wochenende und so. Da ist der Donnerstag extra hart und selbst der siebte Kaffee, jetzt mit handgeschlagenen veganen Diamantensplittern, hilft nicht wirklich.

»Alexa«, sagt VorsitzendX in Richtung des intelligenten Lautsprechers, »worüber sollen wir schreiben? Was sollen wir funken und berichten?«

»Warum nicht wie immer?«, fragt die schwarze Box zurück.

»Gute Idee! Ja, gut!«, brummt es aus dem Raum zurück, von allen, außer dem zweiten Hipster, der sich Eiter vom Ohr tupft. Diese extra großen Ringe, die sie gelegentlich bei hochqualifizierten Kreativen in den Ohren sehen, heißen »Fleischtunnel«. (Fachleute warnen: » Wird das Loch zu schnell und schlussendlich zu stark gedehnt, kann die Haut an den Außenstellen zu dünn werden – was zu Durchblutungsstörungen führen kann.«)

Alexa ist ein Roboter und »wie immer« ist die perfekte Wohlfühl-Schnittmenge zwischen Robotern und den Angestellten des VEB Hurrafunk.

Der Roboter schlägt diese Themen vor:

  1. Etwas Negatives über Trump! – wird gemacht: »“Nicht die Absage als solche ist gefährlich, sondern die Unberechenbarkeit mit der Donald Trump Außenpolitik macht“ – Claudia Buckenmaier zum abgesagten Nordkorea-Gipfel. (red)« (@tagesthemen, 25. Mai 2018)
  2. Israel als Aggressor dastehen lassen! – das geht doch aus dem Stehsatz: » Israel attackiert offenbar erneut Ziele in Syrien http://www.tagesschau.de/ausland/israel-angriffe-syrien-101.html … #Israel #Syrien« (@tagesschau, 24. Mai 2018)
  3. Irgendwas Absurdes und negativ besetztes über AfD und/oder ihreWähler! – aber immer doch, irgendeine Statistik und abwertendes Propaganda-Filmchen dazu: »#AfD-Wähler haben stark negative Gefühle, wenn sie an die Zukunft denken – so steht es in einer repräsentativen Umfrage. Wähler anderer Parteien sind deutlich optimistischer.« (@tagesschau, 24. Mai 2018)

Fertig, der Plan steht.

»Gute Sitzung«, sagte VorsitzendX.

»Guter Plan«, schallt es von den Profis zurück, außer von Hipster 2, welcher unterm Bocote-Tisch kriecht und sein abgefallenes Ohr sucht.

Man entfernt sich, guter Stimmung. Man plant das Mittagessen. »Nicht schon wieder Borchardt!«, stöhnt Hipster 1. – VorsitzendX findet das Horváth ganz okay: »Horváth ist ganz okay.« Jemand wäre gern ins Ushido gegangen, aber da waren sie letzte Woche schon zweimal.

Die Tür zum Konferenzraum »Wir schaffen das!« schließt sich, so sanft, dass im Vergleich das Schließen einer S-Klasse-Tür wie rostige Dosen scheppert.

»Sie wollen vielleicht noch wissen –«, sagt Alexa.

Hipster 2 richtet sich auf und schlägt mit dem Kopf gegen die Unterseite des teuren Tisches. Er flucht, doppelt. Erstens, weil er nun allein im Raum ist. Zweitens, weil er sein Ohr noch nicht gefunden hat.

»Sie wollen vielleicht noch wissen«, sagt Alexa, »zu der Meldung von der AfD und den Pessimisten. Ich habe da eine wissenschaftliche Theorie gefunden! Das Stichwort ist ›Depressive Realism‹. Wer die Welt negativ sieht, der schätzt sie realistischer ein. Pessimisten sind prinzipiell besser vorbereitet und nach einer Studie leben sie evtl. länger und gesünder. Optimismus bei mangelnder Wissensbasis könnte dagegen mit dem Dunning-Kruger-Effekt beschrieben werden, wonach inkompetente Menschen ihre eigenen Fähigkeiten (und damit Erfolgsaussichten) unrealistisch positiv einschätzen.«

Hipster 2 hat etwas unter dem Tisch gefunden, was sein Ohr sein könnte. Er steckt es ein. Später wird sich herausstellen, dass es doch nur Übriggebliebenes vom letzten Buffet zur wöchentlichen Ordensverleihung ist. Er kriecht wieder unterm Tisch hervor.

Hipster 2 geht durch den Raum, hinüber zum intelligenten Roboter Alexa.

»Man könnte erwähnen«, sagt die sanfte Computerstimme weiter, »dass die Statistik zu den pessimistischen Oppositionswählern von einer Stiftung stammt, die der Regierungspartei nahesteht. Desweiteren und davon abgesehen: Es stellt sich die Frage, ob jene, welche die Zukunft pessimistisch sehen, die Fakten nicht einfach realistisch betrachten. – Insofern sollte man überlegen, ob Protestwähler –«

»Nein, sollte man nicht«, sagt Hipster 2. Mit der einen Hand hält er sich die Seite seines Kopfes, mit der andern schaltet er Alexa aus. »Gerade das brauche ich noch«, knurrt er, »diesen Job gleich wieder verlieren, wegen ›Fakten‹!« – Klick.

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