Dushan-Wegner

17.11.2017

Alles Falsch

von Dushan Wegner, Lesezeit 9 Minuten, Bild von Dorné Marting
Die Kampagne »Farben Bekennen« hat eine nette Grundidee - darüber hinaus ist sie aber mit das Unklügste, was in letzter Zeit aus Berlin kommt.
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In Berlin wurde eine Kampagne lanciert, die das Zusammenleben der Menschen in Deutschland zum Besseren formen soll. (Sie heißt »Farben bekennen«, ihre Website ist farbenbekennen.de.)

Hahaha, haben Sie bemerkt, was ich da angestellt habe? Ich bin ja so ein Schlingel! In Berlin werden doch dieser Jahre gefühlt an jedem Berliner Werktag (also Dienstag bis Donnerstag, außer an Feiertagen und bei gutem Wetter) mindestens drei neue Kampagnen zur Volkserziehung lanciert, eine noch am Morgen und zwei nach dem Aufstehen. Teils werden sie finanziert von Steuern – teils bestehen diese »Kampagnen« aber auch nur aus einem WordPress-Blog und einem Twitter-Account, hoffend, sich damit um Brosamen vom großen Propaganda-Kuchen zu bewerben.

Gutgemeint

Zuerst, die durchaus nette Grundidee: Es werden ein paar »Flüchtlinge« (vielleicht auch ohne Anführungszeichen, wir können es nicht prüfen) vorgestellt, die sich aktiv in die deutsche Gesellschaft einbringen wollen. Eine durchaus brauchbare Grundidee, kein Zweifel! Integration bleibt eine Bringschuld der zu Integrierenden, und da steckt im Kern der Kampagne eine brauchbare Idee. Es wird Leuten, die aus Krieg und Verwüstung kommen (und aus einer fremden Kultur, klar), nahegebracht, welche Werte zum Erfolg Deutschlands geführt haben. Toll!

Diese »tolle« Grundidee ist allerdings geradezu bemerkenswert undurchdacht umgesetzt. Wir werden schlauer (und können stellenweise etwas schmunzeln), wenn wir die Details zerpflücken!

Von Putin lernen

Die Kampagne hat eine ganze Reihe »kleinerer« Probleme. Lassen Sie uns diese abhaken, bevor wir zum großen logischen Problem des Ansatzes kommen!

Die Kampagne ist initiiert von der Berliner Staatssekretärin Sawsan Chebli. Frau Chebli ist bekannt für ihre Arbeit als Sprecherin des damaligen Außenministers Steinmeier in der Bundespressekonferenz, sie ist bekannt dafür, keine Islamistin zu sein und natürlich für ihre tapfere Verteidigung gegen den Vorwurf, jung und schön zu sein. Es ist eine politische Kampagne und es werden politisch-gesellschaftliche Ziele verfolgt. Der Erfolg dieser Kampagne der Berliner Staatssekretärin würde ohne Zweifel zugleich die gegenwärtige Politik von Berlin (Land) und Berlin (Bund) bestätigen – und natürlich den Karriereverlauf der Politikerin Chebli befördern. Bei Regimes, die wir nicht mögen, nennen wir so etwas Propaganda.

Und hier fangen die Probleme an.

Die Partner der Kampagne sind interessant.

Alles Falsch
Quelle: farbenbekennen.de

Es ist eine brave Mischung. Das Museum für islamische Kunst, Berlin. Das Gorki-Theater (staatliche Förderung pro Jahr: 117,40€ pro Eintrittskarte, aber auch zwischendurch mal eine halbe Million für das »Refugee Ensemble Projekt«.) Oder die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung (Gesamt-Etat 2016: 167.300.000€).

Zu anständigeren Zeiten hätte es zumindest für kritische Fragen gesorgt, wenn steuerfinanzierte Institutionen unterstützen, was nach Polit-PR einer Parteipolitikerin aussieht. Heute ist es anders. Sehr anders.

Einer der Partner ist auch die BILD-Zeitung. Nach der »Refugees Welcome«-Kampagne nun also »Farben bekennen«? Spannend.

Die Kampagne hat mindesten zwei Rechtfertigungs-Probleme. Das kleinere (und beide sind groß), ist: Hier wird Ähnliches getrieben, wie das, was andernorts den »bösen« Regimes vorgeworfen wird. Regierungsparteien und gut konnektierte Medien kooperieren. In privaten Tweets äußert sich dann mind. 1 Journalist der BILD-Zeitung wie folgt:

#TypischDeutsch: @Elyas_MBarek gibt Paddington seine deutsche Stimme. Und Rand Rajab aus Idlib,die ab Montag im @BILD-Video in einer Kirche Beethovens Ode an die Freude singen wird. Liebe #AFD, liebe Neonazis: Ihr habt schon lange verloren! Ihr merkt es nur nicht. #FarbenBekennen
@julianroepcke, 16.11.2017

Wir können festhalten: Die Politik-BILD-Kooperation »Farben bekennen« scheint sich immerhin in der Interpretation des Julian Röpcke gegen AfD und Neonazis zu richten, und dokumentiert, dass die »schon lange verloren« haben, es nur nicht merken.

Ich zumindest fühle mich auch an Putins Russland erinnert, wo Regierung und Medien kooperieren, um Ziele zu erreichen, die aus Perspektive der Regierung »gut« sind. Es ist Propaganda, auch wenn man die Ziele teilt.

Und doch, das Händchenhalten von Politik und Medien bei regierungskompatibler Erziehung des Volkes ist das geringere Problem.

Die Klischeekrieger

Diese Kampagne wendet sich gegen »Klischees«, sagt Frau Chebli. Die B.Z. (100% Axel-Springer-Tochter) berichtet ganz sachlich:

»Flüchtlinge sind potenzielle Terroristen, nutzen die Sozialsysteme aus und sind nicht integrierbar. Vorurteile gegenüber Menschen, die vor Krieg und Terror fliehen, gibt es genug. Staatssekretärin Sawsan Chebli (39, SPD) möchte mit der Kampagne »Farben bekennen« zeigen, wie realitätsfern die Klischees sind.«
– bz-berlin.de, 14.11.2017

Ein »Klischee« ist eine Eigenschaft, die man einer Gruppe zuschreibt, welche aber nicht jene Eigenschaft ist, die eigentlich diese Gruppe verbindet. Wenn ich etwa sagte: »Leitmedien betreiben Polit-PR« dann würde das eine Eigenschaft herausgreifen, die häufig eben diese Gruppe deutscher Medien richtig beschreibt, aber – man hofft – nicht in jedem einzelnen Fall – und vor allem nicht eine definierende Eigenschaft ist.

Um die Debatte voranzubringen, wurde in den Sozialen Medien die Frage gestellt: »Was ist typisch deutsch?«

Es ist eine wiederkehrende Eigenart Berliner Medientypen, zu vergessen, dass in den Sozialen Medien nicht nur willige Mitspieler sind, sondern denkende Menschen aus Fleisch und Blut – und einige Unflätige. Irgendwie meinen Berliner Medientypen, die Menschen bei Twitter und Facebook seien vor allem eine dumpfe Verfügungsmasse für halbgare Meinungsmache. Die Verfügungsmasse sieht es anders. Wenn die Medienmacher grobe Logikschnitzer in ihren Politkampagnen haben, werden sie darauf »hingewiesen« – nicht immer freundlich.

Flüchtlinge gegen Klisches

Die Kampagne wendet sich sich gegen »Klischees«, sagt sie. Chebli möchte zeigen, »die Klischees« seien realitätsfern. Und wie zeigt sie es? Indem, sie eine klitzekleine handverlesene Edel-Gruppe von Flüchtlingen präsentiert.

Wie soll das das Klischee als »realitätsfern« entlarven?

Niemand sagt, alle Flüchtlinge hätten diese oder jene Eigenschaften. Selbst die Zeit (!) schreibt:

»Die Gewaltkriminalität nimmt wieder zu. Und das liegt vor allem an den Taten von Zuwanderern« – »Zuwanderer waren 2016, selbst wenn man sämtliche ausländerrechtlichen Straftaten wie etwa den illegalen Aufenthalt herausrechnet, überdurchschnittlich an der gesamten registrierten Kriminalität beteiligt. Obwohl sie in der Regel nur zwischen 0,5 und 2,5 Prozent der Wohnbevölkerung in einem Bundesland ausmachen, stellten sie bis zu 10 Prozent aller tatverdächtigen Straftäter.«
zeitonline.de, 20.4.2017

Was genau ist es, das Frau Chebli als »realitätsfern« widerlegen will? Die Realität? Ein Klischee, dass einen statistisch belegbaren wahren Kern hat, ist eben im Kern wahr. Es zu widerlegen, bedeutet zu lügen.

Ich mag es nicht, angelogen zu werden – und ich vermute, Ihnen geht es ähnlich! Indem Frau Chebli ihrer Kampagne die Aura implizierter Lüge gibt, schadet sie ihrem Anliegen weit mehr, als sie nutzt.

Fake-Klischees

Wir sind großgeworden damit, die Zuschreibung von Eigenschaften an eine Gruppe mit allerhöchster Vorsicht zu behandeln – oder sie ganz zu meiden. Dem Team um »Farben bekennen« geht das notwendige Gefühl vollständig ab.

Auf der Website farbenbekennen.de lesen wir Klischees – über Deutschland. Darunter selbstverständlich solche Klassiker wie »Gründlichkeit und Ordnung« und »sich an Regeln halten«. Es werden aber auch Fake-Klischees verbreitet, wie: »sich frei fühlen und unabhängig sein«. Ich kenne nicht alle Menschen dieses Planeten, nur ein paar, aber ich bin recht sicher, dass »frei fühlen und unabhängig sein« keine der Eigenschaften sind, die man gemeinhin den Deutschen zuschreibt.

Lenin soll gesagt haben:

»Wenn diese Deutschen einen Bahnhof stürmen wollen, kaufen die sich erst eine Bahnsteigkarte!«

Das mit der Ordnung und Gründlichkeit stimmte einst, das stimmt, doch zu »den Deutschen« passen eher Gehorsam und blinde Folgsamkeit. Diese sind es, die etwa Merkels Welteinladung möglich machten – in wirklich auf Freiheit versessenen Nationen hätte man Merkel in kurzer Abfolge ausgelacht und abgesetzt.

Die Macher dieser Kampagne haben offensichtlich kein Konzept davon, was »typisch deutsch« wirklich bedeuten sollte.

Für TV-Theologinnen ist »christliche Botschaft« das, was ihnen gerade einfällt und zum linken Zeitgeist passt. Für die Macher dieser Kampagne ist »typisch deutsch«, was ihnen gerade eingefallen ist und zum linken Zeitgeiste passt.

Es hat keine Substanz. Klischees entstehen aus Gründen. Klischees wie die Qualität des »Made in Deutschland« sind gewachsen im Schweiß vieler Generationen von Arbeitern, Ingenieuren, Kaufleuten. Wenn die Berliner »Kreativen« in weitgehender Ahnungslosigkeit darüber verfügen wollen, schaden sie ihrem Anliegen weit mehr, als sie ihm nutzen.

Klischees, ein sehr dummer Aufhänger

Auf der Website wird, selbstverständlich ganz selbstverständlich, selbstverständlich auch die »Geschichte« Deutschlands erwähnt. Die habe auch etwas mit »typisch deutsch« zu tun.

Ich bitte Sie, meine Verwirrung zu verstehen.

Darf man jetzt über »böse« Klischees reden oder nicht? Sind böse Klischees gut, wenn es um Deutsche geht, aber nicht gut, wenn es um Syrer geht?

Ist es nun ein akzeptables Denkmuster, Völker- oder Kulturgruppen typische Eigenschaften zuzusprechen, oder nicht?

Wie gehen wir mit Abweichlern aus Gruppen um? Wer in Klischees denkt, wie diese Kampagne, fördert Gedanken wie: »X ist deutsch, aber gerade pünktlich ist er ja nicht.« Oder »Russen schreiben doch immer so lange Bücher, aber Ilyas Aufsatz ist doch wirklich etwas zu kurz geraten.« Und das sind nur die Probleme bei positiver Stigmatisierung ganzer Bevölkerungsgruppen!

Was ist mit negativen Eigenschaften, die teilweise auch nur die Überspitzung positiver Eigenschaften sind, etwa Pingeligkeit, Engstirnigkeit, Regelreiterei? – Bei Kartoffeln darf man das, oder wie?

Klischees als Ausgangspunkt einer Debatte

Kommen wir dann zur logischen Rückfrage, was ist allein schon mit der Fragestellung: Was ist typisch marokkanisch? Was ist typisch syrisch? Was ist typisch muslimisch? Was ist typisch jüdisch? – Merken Sie selbst, oder?

Bereits die Fragestellung klingt irgendwie gefährlich. Es wird aufgerufen, Vorurteile rauszuhauen. Durch den Aufruf wird es eingeübt, diese Vorurteile auch zu denken. Und: Es reizt, diesen Korrekturversuch selbst zu korrigieren.

Sind die handverlesenen Syrer wirklich »typische« Syrer? Was und wie sind denn »typische« Syrer? Wenn dies aber typische Syrer sind, warum müssen so viele Syrer aus ihrer Gesellschaft fliehen? Warum passiert in Deutschland das, was in Deutschland passiert?

Es ist eine sensationell schlechte Idee, Klischees zum Thema einer Kampagne zu machen. Da die Verantwortlichen offensichtlich nicht verstehen, wie Klischees in der menschlichen Psyche funktionieren, schaden sie ihrem Anliegen weit mehr, als sie ihm nutzen.

Sollen wir Klischees üben?

Die Farben-Bekennen-Kampagne will Klischees bekämpfen und wohl auch Flüchtlinge animieren, sich zu integrieren. Sie erreicht das Gegenteil.

  1. Die engste Verzahnung von Politik und Medien erscheint, als wollte man allen Lügenpresse-Rufern einen geradezu paradigmatischen Beweis liefern, dass »die da oben« zu propagandistischen Zwecken unter einer Decke stecken.
  2. Die Banalität und Beliebigkeit der Zuschreibung »typisch deutscher« Eigenschaft wirkt lieblos und inkompetent. Wer bei der Beschreibung des »typisch deutsch« nicht über »Ordnung« und »deutsche Geschichte« hinauskommt, hat wenig Recht, sich bei 2015-Immigranten über Vorurteile wie »potentiell terroristisch« zu beschweren. Syrer sind weit mehr als das – Deutsche auch.
  3. Die Kampagne »Farben Bekennen« lädt praktisch ein, hemmungslos nach Koinzidenzen von Verhaltensweisen und kulturellen Hintergründen zu suchen – und diese zu benennen. Dann lesen wir doch die Nachrichten (die »richtigen«, nicht ARD, ZDF etc.), und schauen nach, was typisch etwa für viel diskutierte Religionsgruppen ist – sollen wir fragen, was zum Beispiel »typisch-buddhistisch« ist?

Typisch Berlin

An dieser Kampagne kann man auch studieren, wie die Klischees vom »Politik-Journalismus-Komplex« entstehen.

Die Kampagne »Farben Bekennen« ist »typisch Berlin«. Flach, schlecht durchdacht und eigentlich nur Taschenbillard der »Berliner Klasse«.

Wer für sich selbst neu überdenken will, ob er »denen da oben« glaubt, der mag sich farbenbekennen.de zu Gemüte führen. Es werden sich Klischees in seinem Kopf bilden. Ich bin mir aber nicht sicher, dass es die sind, welche die Initiatoren beabsichtigen.

Ich selbst aber will versuchen, statt Klischees lieber von Erfahrung und von Vorsicht zu sprechen. Und wenn eine SPD-Politikerin mit einem großen Medium kooperiert, dann rate ich uns allen zur Vorsicht. Ist »Vorsicht« eine »typisch deutsche« Eigenschaft? Es wäre auf jeden Fall gut, wenn sie es (wieder) würde!

Weiterschreiben, Wegner!

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