Dushan-Wegner

25.06.2018

Erdoğan und die deutsche Heimat

von Dushan Wegner, Lesezeit 6 Minuten, Bild von Ina Soulis
Wer Menschen bei sich integrieren möchte, sollte damit beginnen, sich selbst eine Heimat zu sein. Ich wünsche mir, dass Deutschland sich selbst wieder Heimat wird.
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Ich sehe eine Ungleichheit der Mittel. Ja, es ist ein Wettbewerb, ein wir gegen die – genauer: gegen den. Ein Kampf, gewissermaßen. Wir haben in diesem Kampf die Waffen aus der Hand gelegt – während die andere Seite aufrüstet. Das Ziel des Wettbewerbs: Eine Heimat anzubieten.

Gestern hat Erdoğan die Wahl in der Türkei »gewonnen«. Man hört, dass er stapelweise Unterstützung von fleißigen Helfern hatte.

Auch dieses Mal ist das Ergebnis der in Deutschland wählenden Türken aufschlussreich.

Ein guter Teil der in Deutschland lebenden Türken, hört man, sind Erdoğan-Fans. Oder zumindest derer, die wählen dürfen und es auch tun. Auf ihre Stimmen kann Erdoğan regelmäßig zählen. Über 60% der wählenden Deutschtürken entschieden sich diesmal für Erdoğan (siehe z.B. tagesschau.de, 25.06.2018). In Essen waren es sogar über 76% und über 66% für die AKP.

Wie falsch wäre es, wenn ich sagte, dass wer Erdoğan-Fan ist, kaum im Herzen ein Demokrat sein kann – und damit nicht integriert ist? Das würde bedeuten, dass zwei Drittel der wählenden Deutschtürken nicht integriert sind. Zwei Drittel!

In meinem Text »Wie soll man sich integrieren in ein Land, das nicht Heimat sein darf?« habe ich geschrieben:

Damit ein Mensch sich integrieren kann, braucht es ein Angebot von Heimat. Was ist denn das Heimat-Angebot, dass Deutschland dem Einwanderer erster, zweiter oder dritter Generation heute anbietet?

Deutschland ist heute ein insgesamt linkes Land, begleitet von der üblicherweise damit einhergehenden Verschlechterung der Sicherheitslage. Die Leitmeinung der Berliner Republik hängt so weit am linken Rand, dass selbst die Forderung, das Recht einzuhalten, den Vorwurf des »Rechtspopulismus« einbringt.

Was in TV und Leitmedien als »Lage der Nation« verkauft wird, und die Realität, die gerade Deutschtürken in Gebieten wie Berlin-Neukölln erleben, ist in geradezu lächerlichem Maß disjunkt. Der Multikulti-Kinder-auf-Privatschule-Linke hat sich in einem Traumland eingerichtet. In der linken Watttebauschtraumwelt gibt es keine kriminellen Clans und keine Islamisten, keine Ghettos außerhalb des Rechtstaats und keine No-Go-Zonen. Wie sollen Deutschtürken ein Land ernst nehmen, das ihnen an seinen Schnittstellen so realitätsfremd gegenübertritt?

Linke können Heimat nicht. Alles, was Heimat schafft, wie Ordnung, Abgrenzung, Rituale, Tradition, Familie, Sicherheit, Religion et cetera ist Kulturlinken ein Graus. Wer Räder, Motoren und Metall ablehnt, der wird kein Auto bauen können – wer Abgrenzung, Traditionen und geordnete Strukturen ablehnt, der wird keine Heimat anbieten können. Vegetarische Schnitzel sind keine Schnitzel, Heimat ohne kulturelle, rechtliche und geographische Abgrenzung ist keine Heimat.

Heimat braucht sowohl harte als auch weiche Werte. Politiker wie Claudia »Nie wieder Deutschland« Roth, ewige Patronin der politischen Infantilisierung (und damit Entdemokratisierung, denn Demokratie braucht mündige Bürger!) kämpfen gegen beides. Sie kämpfen gegen Grenzen, gegen Durchsetzung des Rechtsstaats und gegen Ordnung, also gegen die harten Werte – und sie kämpfen gegen die weichen Werte, wie auch nur das Schwenken der Fahne. – Wer kann es Deutschtürken denn verübeln, wenn in Deutschland zwar ihr Haus und ihr Job ist, aber nicht ihre Heimat? Die Rothsche Einladung an die Deutschtürken: »Fühlt euch wie daheim, und was das bedeutet, das weiß ich auch nicht.« – Das kann nicht funktionieren, und was nicht funktionieren kann, das funktioniert auch nicht.

Die deutsche Selbstverwirrung kulminierte jüngst in einem kuriosen Akt hilfloser Symbolpolitik, als Die Welt den Erdoğan-Gast Mesut Özil auf die Titelseite hob, begleitet vom Slogan: »Deutschland hat Mesut Özil viel zu verdanken.« (siehe z.B. @ulfposh) – Das Zeichen ist eindeutig. Der Titel sagte: »Wir nehmen uns nicht ernst. Du kannst Wahlkampf für Erdoğan machen und wir finden dich dennoch knorke.« – Was ist denn das Zeichen, das gegenüber Deutschtürken gesetzt wird? Ich sage es mal so: Das Cover hat nicht geholfen, die 60%, die für Erdoğan stimmten, zu überzeugen, es nicht zu tun. Es war ein klares Signal: Sogar die »Almans« finden es gut, wenn einer Werbung für Erdoğan macht – außerdem sind sie sehr verwirrt!

Es funktioniert nicht. Unordnung macht unglücklich. Verwirrung macht verwirrt. Menschen brauchen Wurzeln. (Hier ein schönes Video davon, wie Özil 2011 das Heimatdorf seiner Eltern besucht.)

Die Alles-und-sein-Gegenteil-ist-wahr-Welt der Berliner Linksintellektuellen ist eine Illusion. Wer nichts anzubieten hat, wer Konzepten wie »Heimat« im besten Fall ein ironisches Witzchen abgewinnen kann, der bewirkt eben, dass Menschen sich woanders eine geistige Heimat suchen – zum Beispiel in der Türkei, wo sowieso ihre Wurzeln sind.

Gestern zogen tausende Deutschtürken durch Berlin. Sie feierten den »Wahlsieg« Erdoğans. Sie blockierten den Ku’damm. Sie schwenkten türkische Flaggen. Sie riefen Parolen wie »Recep Erdoğan, unser Führer«. (siehe spiegel.de, 25.6.2018Video bei YouTube) Sie machten, wie vorher Özil, eindeutig klar, wer »ihr« Präsident ist. In einem Land, das nicht Heimat sein darf, zeigten sie, dass sie das Heimat-Angebot Erdoğans annahmen. Wird Die Welt ihnen eine Titelseite gönnen?

Ja, es ist ein Kampf. Ein Kampf um die Herzen. Wir haben Selbstzweifel anzubieten, Erdoğan hat Selbstbewusstsein. Wir haben Grenzlosigkeit anzubieten – und haben uns noch dazu von Erdoğan abhängig gemacht, auf dass er an unserer Stelle unsere Grenzen sichert. Wir haben Realitätsverdrängung anzubieten, Deutschtürken aber kennen die Probleme. Sie sagen nicht, dass Erdoğan sie lösen kann, doch sie sehen, dass Deutschland ihnen kein Gegenangebot machen kann. Wir trauen uns nicht einmal, von Leitkultur zu sprechen, geschweigen denn sie zu leben – Erdoğan hat Assimilation als »Verbrechen gegen die Menschlichkeit« bezeichnet. (siehe z.B. faz.net, 10.2.2008) Man möchte fragen: assimilieren in was?

Die 60% der wählenden Deutschtürken, die für Erdoğan stimmten, sind vor allem eine weitere Niederlage linker Illusionen.

Dass so viele Deutschtürken in Deutschland keine gefühlte Heimat finden, dass sie auch Generationen später nicht »ankommen«, das ist nicht nur ein »Integrations-Problem«. Sicher, eine weitere Reihe weiterer Faktoren trägt mit Schuld. Wir sollten zum Beispiel nicht die Tatsache leugnen, dass eine Reihe von ihnen den Rest der Bevölkerung als »Ungläubige« geringschätzt – das macht Integration nicht  einfacher. Erdoğan hat »Diaspora-Türken« gezielt aufgefordert, die Staatsbürgerschaften anzunehmen, und ihnen versichert, dass sie volle Rechte in der Türkei behalten werden. (siehe z.B. trt.net.tr, 20.5.2018) Die Implikation solcher Aufforderungen und Zusicherungen für Integration sind noch längst nicht ausgeleuchtet. – Doch, wir reden über Heimat – welches Heimatangebot macht Deutschland? Durch welche Tür sollen jene hindurch gehen, die durch eine Tür hindurch gehen wollen?

Denselben Mangel spüren auch Deutsche. Von Schulen, GEZ-TV und Leitmedien wird ihnen Heimatlosigkeit eingehämmert. Die anerzogene Heimatlosigkeit der Deutschen ist wie wenn man einen Menschen überzeugen wollte, dass es das Richtige und Natürliche sei, auf nur einem Bein zu stehen. Es geht nur so lange gut, bis der Mensch müde wird. Türken, die ihre Heimat in der Türkei sehen, weigern sich, auf nur einem Bein zu stehen. Doch auch viele Deutschen sind es müde, heimatlos auf nur einem Bein zu wackeln. Es ist instabil und anstrengend.

Die Lehre aus den 60% lässt sich auch loslegelöst von Deutschtürken und Erdoğan lesen: Menschen sehnen sich nach Heimat. Merkel treibt Deutsche in die Heimatlosigkeit. Die Nationen Europas wollen wieder Heimat werden, jede ihrem Volk. Das hat nichts mit Nationalismus zu tun. Ich liebe meine Familie mehr als irgend eine andere Familie – doch ich bilde mir nicht ein, dass sie »besser« wäre als andere oder dass meine Familie auf irgend einen Art und Weise »über« anderen stünde. Wir sind befreundet mit anderen Familien, unsere Kinder sind mal bei denen, und deren Kinder sind mal bei uns. Und doch, am Ende des Tages, ist deren Familie eben deren Familie, und meine Familie ist meine Familie.

Integration setzt Heimat voraus. Wer Menschen bei sich integrieren möchte, sollte damit beginnen, sich selbst eine Heimat zu sein. Ja, Merkel muss weg. Doch wenn Merkel abgetreten ist, dann wird die Arbeit erst beginnen. (Siehe auch mein Text: Wir Trümmerfrauen nach dem Merkelsturz)

Deutschland wird Werte neu entdecken müssen. Einer dieser Werte ist: Heimat. Es gibt Gebiete in Deutschland, die haben sich geweigert, der Heimatlosigkeit zu verfallen. Man denkt an Bayerns Dörfer. Nach dem Merkelsturz werden wir auch in den Städten (und hoffentlich auch in mehr Medien!) neu entdecken dürfen, was Heimat ist. Ich wünsche mir, dass Deutschland sich selbst wieder Heimat wird.

Weiterschreiben, Wegner!

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