Dushan-Wegner

19.12.2018

»Egal woran Sie glauben«

von Dushan Wegner, Lesezeit 4 Minuten, Bild von Rod Sot
Auf der Jahresend-Karte von Merkels Integrationsbeauftragter (was macht die eigentlich?) fehlt »Weihnachten«. Gut, keine Überraschung, so sindse halt. – Extra entlarvend ist aber der Text: »Egal woran Sie glauben…« – Moment! Ist das wirklich egal?
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Alle Jahre wieder kommt die Wintersonnenwende, und mit ihr begehen wir manches herzerwärmende Ritual, und wenn wieder in den Supermärkten die zum Weihnachtsmann umgepackten Schoko-Osterhasen stehen, dann sind auch die Skandälchen nicht weit, weil dieser oder jener bei der Begehung der Jahresendrituale nicht deutlich genug »Weihnachten!« gesagt hat.

Dieses Jahr hat es die Integrationsbeauftragte im Kanzleramt erwischt. Wie die mutigen Reporter der BILD-Zeitung recherchierten (bild.de, 18.12.2018), hat die »Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration« zusammen mit ihrer Pressestelle eine Jahresendkarte verschickt, auf der sich das Team aus den Bürostühlen erhoben hat um vorm Weihnachtsbaum zu posieren, so weit so Behördenmief, doch im Text der Skandalkarte fehlt das Wort »Weihnachten«!!!

Der ganze, dürre Text des Skandalons:

»Egal woran Sie glauben … wir wünschen Ihnen eine besinnliche Zeit und einen guten Start ins neue Jahr.« (Skandalkarte von Merkel Integrationsministerin, laut Dokumentation in bild.de, 18.12.2018)

(Etwas Hintergrund zur Integrationsministerin: Studienabbrecherin, Bindestrich-Nachname, so weit ich feststellen konnte, hat sie keine Berufserfahrung außerhalb der Politik, in der Politik jedoch viiiiiele Ämter innegehabt, dazu einige Ehrenämter, unter anderem etwa Schirmherrin des Weltärztekongresses Homöopathie 2017 – sie war schon vorher in der Politik, doch insgesamt eine prototypische Vertreterin der Ära Merkel.)

Bei der Bild-Zeitung, mutigem Sprachrohr der christlichen Bräuche und Traditionen in Deutschland, ist man empört. Ich bin sicher, dass die Bild-Redaktion allwöchentlich so geschlossen zur Eucharistie antritt, dass sie jedes Bibelquiz mit demütiger Bravour besteht, und dass man sowieso seit jeher alle Redaktionskonferenzen mit dem Vers des Tages eröffnet und mit einem Gebetskreis beschließt, folglich kann ich das Verletztsein ob solcher Missachtung christlicher Glaubenstradition leicht nachvollziehen – und ich fühle mich ganz und gar nicht an Social Justice Warriors erinnert, die an anderer Leute Stelle empört sind!

Egal?

Doch, um im der ernsten Lage angemessenen Ernst zu reden, erlaube ich mir, festzustellen: Es ist nicht die Abwesenheit von Weihnachten in der Karte der schon mal dienstreisenden Politikerin, die mir zuerst aufstieß, es ist vielmehr die gewissenlose Dummheit der Formulierung »Egal woran Sie glauben«.

Ja, ich bin der Erste, der für eine Äquidistanz des Staates zu allen Religionen plädiert; Behörden sollten sich nicht mit heiligen und zugleich unsichtbaren Entitäten abgeben, nicht über sie entscheiden, sich nicht in die Interpretation des göttlichen Willens einmischen (siehe auch: Wenn Politiker sich aufmachen, Religionen zu reformieren).

Nicht die Abwesenheit des geschriebenen Weihnachten war der Stein meines Anstoßes, zumal man ja eindeutig vor einem Weihnachtsbaum posierte, und dass ausgerechnet die Bild-Zeitung das sehr große Bild in ihrer Deutung der Aussage ausblendet, das ist charmant.

Schlimmer, als das, was in der Weihnachtskarte jener Dame mit dem unklaren Qualifikationshintergrund nicht drinsteht, ist das, was drinsteht.

Über den amtsgrauen Fußbodenkacheln des stimmungsvollen Fotos politischer Behördenweihnacht steht der tief durchdachte Halbsatz: »Egal woran Sie glauben…«

So wie Merkels Integrationsbeauftragte perfekt für die außerhalb der Politik kaum vermittelbare Kaste neuer Elite steht, ohne erkennbare Fähigkeiten, außer denen, ein politisches Gehalt zu beziehen, so stehen diese vier Worte für die gefährlich dumme Unbedarftheit Berliner Leitmeinung. Man sagt, es sei »egal« woran Menschen glauben, und man fühlt sich in so unreflektierten Äußerungen wahrscheinlich »tolerant«. Das »egal« reflektiert Merkels Schulterzucken »ist mir egal« auf die Frage nach ihrer persönlichen Schuld (»Ist mir egal, ob ich schuld am Zustrom der Flüchtlinge bin, nun sind sie halt da«, welt.de, 27.9.2015).

Was, wenn einzelne Gläubige glauben sollten, dass alle, die nicht so glauben wie sie, »Ungläubige« sind, dass sie darin Affen und Schweinen ähneln? Ist der Regierung »egal«. Was, wenn einzelne Gläubige meinen sollten, sich im Zweifelsfall den Gesetzen der Demokratie statt den Gesetzen ihrer Glaubens zu beugen sei unvereinbar mit ihrem Glauben? Das ist der Regierung wohl auch »egal«.

Das ist es ja, was den Gesinnungsethiker (»Gutmensch«) vom Verantwortungsethiker (in offizieller Debatte: »Populist«, »Rechter«, »Hasser«) unterscheidet: Der Verantwortungsethiker bedenkt die Folgen seiner Taten, aber auch die Auswirkungen von Entwicklungen; dem Gesinnungsethiker ist »egal«, was nicht in sein Weltbild passt. Dem Gutmenschen ist egal, was die Fakten sind und wie es sich auswirken wird – und ob er dann daran Schuld trägt.

Im Buch Talking Points rate ich dazu, das eigene Schaffen probehalber auf ein einziges Wort zusammenzufassen (Exkurs ab S.255). Das Wort für die verheerende linksgrüne Ära, deren prominenteste Figur wohl Merkel gewesen sein wird, könnte sein: »Egal«. – Egal, ob ich daran Schuld bin. Egal, was die Leute glauben. Egal, was nach uns kommt.

Egal muss weg

Ein Gutes (und nicht viel mehr) hat das Abdriften des Kanzleramts in die moralische Beliebigkeit: Es zwingt und motiviert uns, unsere eigenen Positionen nachzuziehen.

Deren Philosophie ist: soziologische Fakten egal, Realität in den Straßen egal, Zukunft egal.

Unsere philosophische Frage ist: Was ist uns wichtig, was sind unsere »relevanten Strukturen«?

Auf der einen Seite steht das Berliner Ist-mir-egal – auf der anderen Seite unser Ordne deine Kreise.

Ich sage es vorsichtig: Wenn zwei Nationen zur Auswahl stünden, wobei die eine »Ist mir egal!« ausruft, ihre Grenzen öffnet und ihre Flughäfen zu Bauruinen verkommen lässt – die andere aber »ihre Kreise ordnet«, selbst wenn die Ist-mir-egal-Nation sie dafür ausschimpft – auf welche Nation würden Sie wetten?

Weiterschreiben, Wegner!

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