Dushan-Wegner

21.06.2018

Chruschtschow, Trump und Merkel

von Dushan Wegner, Lesezeit 6 Minuten, Bild von kazuend
Trump tut verrückt, aber seine Politik ist rational – Merkel tut rational, aber ihre Politik ist verrückt. Ich bevorzuge jederzeit die rationale Politik zum Wohl des eigenen Landes!
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Ist es wichtig, ob es passierte, wenn es doch eine Wahrheit so auf den Punkt bringt? Es gab damals keine Smartphones und kein YouTube. Live-Fernsehen gab es zwar schon, aber diese Sitzung wurde nicht übertragen. Es gibt auch keinen Film davon, kein Video.

Es war 1960. Никита Сергеевич Хрущёв hielt sich wochenlang in New York auf. Chruschtschow war Regierungschef der Sowjetunion und Chef der Kommunistischen Partei.

Chruschtschow kam regelmäßig bei der UN-Vollversammlung vorbei. Die Zeit schreibt (ZEIT Nr. 37/2010): »Seine Auftritte und Reden waren bizarr: Der Mann aus der Ukraine, der 1955 den Kampf um die Nachfolge Stalins gewonnen hatte und seither an der Spitze der Sowjetunion stand, gab den Berserker. Er polterte, schrie, fluchte und pöbelte. Bei fast jeder seiner Reden hob er drohend die Fäuste.« – Er fand, dass die UN eine sinnlose »Quatschbude« sei. (Wieso verbrachte er dann seine Zeit dort?)

Am 12.10.1960, einen Tag vor seiner Abreise, hielt Chruschtschow seine Schuh-Rede.

Lorenzo Sumolong von den Philippinen hatte die Sowjetunion beschuldigt, Osteuropa zu unterdrücken. (Die Rede-Passage steht bei Wikipedia.) Chruschtschow schimpfte zurück, Sumolong sei ein »Lakai des Imperialismus«.

Während Chruschtschow schimpfte, schlug er mit einem Schuh aufs Pult – so die Legende. Ob er es tat oder ob er es nicht tat, die Szene ist als »Chruschtschows Schuh« ins politische Gedächtnis eingegangen: Der Sowjetchef soll mit einem Schuh auf das Pult eingeschlagen haben.

Die spannendere Frage ist nicht einmal, ob es überhaupt passierte. Nehmen wir einfach an, dass er es tat. Die wirklich spannende Frage ist doch: Mit welchem Schuh schlug Chruschtschow eigentlich auf das Pult ein?

Die einen sagen, er habe sich den rechten Schuh kurz vorher ausgezogen. Andere sagen, ihm sei in die Hacke getreten worden, worauf der Schuh sowieso abgefallen sei.

Mir gefällt eine weitere Interpretation: Chruschtschow hatte von vornherein einen dritten Schuh dabei. Das ist, wovon ich ausgehe. (Für mitlesende Philosophen: Ich vertrete hier eine »Instructional Theory of Truth«; wahr ist, was lehrreich ist.)

Chruschtschow hatte am Morgen einen dritten Schuh eingepackt. Den dritten Schuh holte er vor der Rede heraus und schlug damit, der Dramatik wegen, auf das Pultholz.

Die Lehre, welche die Erzählung wahr macht, ist diese: Wut ist ein wichtiges politisches Werkzeug. Bereite deine Wut vor. Zeige dich verrückt und erratisch. Zeige dich als außer Kontrolle. (Solltest du aber tatsächlich wütend sein und es auch noch zeigen, dann bist du ein Trottel, und dein politisches Ende wartet bereits im nächsten Raum.)

Die Wut-auf-Knopfdruck ist ein beliebtes politisches Mittel. Sie erkennen Sie jedes Mal, wenn Nachrichten schreiben, dass einem Politiker »der Kragen geplatzt« sei oder er »ausrastete«.

Drei zufällig ausgewählte Beispiele für künstliche Wut im Stil des Nikita Sergejewitsch Chruschtschow:

  1. »“Schämen Sie sich“ – Grünen-Politiker rastet wegen AfD-Rede aus« (Es geht um Anton Hofreiter, bento.de, 2.2.2018)
  2. »Grünen-Abgeordneter Haßelmann platzt der Kragen« (sz.de, 14.12.2017)
  3. »Grünen-Star platzt der Kragen – Özdemir liest der AfD die Leviten« (srf.ch, 23.2.2018)

Doch während die Deutschen Mini-Chruschtschows ihren »Dritten Schuh« (ihre sorgsam geplante Wut) noch relativ präzise dort einsetzen, wo ihnen die Argumente ausgehen, ist auf der politischen Szene ein anderer, großer Chruschtschow aufgetreten und seit 2016, also noch vor seiner Wahl, kommt kein Medium umhin, täglich über ihn zu berichten. Ja, wir reden von »The Donald«.

Kein Tag vergeht, in dem Donald Trump von Journalisten und Soziologiestudentinnen nicht als »Trottel«, »Idiot« oder ähnliches bezeichnet wird. Ein Milliardär, der es gegen die Polit-Dynastien Bush und Clinton, gegen die Medienkonzerne und gegen die Hollywood-Meinungsmaschine zum US-Präsidenten geschafft hat, der die Arbeitslosenzahlen gesenkt hat, ist also ein »Trottel« und ein »Idiot«.

Trump liefert ihnen Material. Täglich. Er übertreibt. Er macht sich lächerlich. Er macht grammatikalische Fehler.

Boston Globe berichtet (bostonglobe.com, 22.5.2018), wie Trumps Leute einen Teil seiner Tweets vorbereiten, wie sie absichtlich (!) grammatikalische Fehler einbauen – und sich anschließend an der entstandenen Aufregung erfreuen.

Während man sich in Klickdreckredaktionen, ob in Berlin, New York oder San Francisco, mokiert, wie dumm dieser Typ mit den hochtoupierten Haaren sei, zieht dieser Typ sein Ding durch – und sein Ding ist gar-nicht-so-dumme Politik, zum Wohl des Landes und seiner Bürger. (vergleiche z.B. Jochen Bittner auf nytimes.com, 19.6.2018)

Die deutschen Grünen haben von Chruschtschow die Dramatische-Empörung-auf-Knopfdruck gelernt.

Donald Trump hat von Chruschtschow gelernt, erratisch zu erscheinen, dabei aber präzise geplant und zum Wohl des Landes vorzugehen. (Er ist praktisch nie wirklich »wütend«. Er wütet nicht, er spottet.)

Und dann gibt es jene Politikerin, die praktiziert das spiegelbildliche Gegenteil. Es ist Angela Merkel. Sie ist der Anti-Trump, der Anti-Chruschtschow – und das ist hier kein Kompliment.

Trump tut verrückt, aber seine Politik ist rational – Merkel tut rational, aber ihre Politik ist verrückt.

Donald Trump ist der lustige Nachbar, der mit verrückter Frisur verrückte Dinge erzählt, aber den Flur sauber hält und abends die Tür abschließt. Angela Merkel ist die biedere, seriös wirkende Nachbarin, die abends die Haustür sperrangelweit offen stehen lässt und alle möglichen Leute von der Straße ins Haus einlädt.

Ich schimpfe gern und oft über Journalisten. Ja, ich betrachte »Journalisten« als pejorativ. Der Grund ist einfach: Es wäre eigentlich die Aufgabe aller öffentlicher Denker und Schreiber, hinter die Fassaden zu blicken und zu verstehen, was wirklich passiert. Ich kenne aber im realen Leben kaum einen Menschen, der so stabil oberflächlich und wenig hinterfragend ist wie der durchschnittliche deutsche »Qualitätsjournalist«.

Ein Beispiel, aus einem Tweet eines stellvertretenden Chefredakteurs der ZEIT, Moritz Müller-Wirth: »was Angela Merkel in diesen Tagen leistet und auf sich nimmt, um dieses Europa beieinander zu halten, verlangt allerhöchsten Respekt und Anerkennung« (@muellerwirth, 19.6.2018)

Merkels Politik grenzt an Wahnsinn und den Bruch des Amtseids, doch die Damen und Herren von der Qualitätspresse hat sie mit Rauten und Holzschnittrhetorik davon überzeugt, dass sie als Mater Dolorosa im Hosenanzug die Leiden des Kontinentes auf sich nimmt. Merkel tut klug, aber handelt crazy – Trump tut crazy, aber handelt klug. Trump twittert mit Chruschtschows Schuh, Merkel schlägt mit Chruschtschows Schuh auf Europa ein.

Es kann schmerzhaft sein, den Medienopfern in unserem Freundeskreis zu erklären, was heute das Problem ist. Ich selbst suche täglich neu nach Worten, mit denen ich meine Mitmenschen motiviere, an der Fassade von moralischen Sprüchen und Flanellrhetorik zu kratzen. Wer die Realität dem vulgär falschen Hurra-Narrativ bevorzugt, der kann sich in die Isolation reden – und das tut weh, egal wie richtig man liegt.

Wie erklärt man also den großen Graben, der den Westen spaltet? Vielleicht so: Journalisten lassen sich blenden vom Habitus, den Trump und Merkel an den Tag legen – es gilt, hinter die Fassade aus Polit-PR und Talking Points zu schauen. (Jahre nachdem es zuerst notwendig gewesen wäre und zu viele Opfer später, beginnen erste Leitmedien, die bittere Realität hinter der Fassade zu beschreiben und es auf die Startseite zu heben, siehe z.B. faz.net, 21.6.2018.)

Beim Blick hinter Trumps laute Fassade findet man seriöse Politik zum Wohl seines Landes, und beim Blick hinter Merkels seriöse Fassade findet man verrückte Politik zum Schaden Deutschlands und Europas – was ist Ihnen lieber?

Weiterschreiben, Wegner!

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