Dushan-Wegner

29.12.2018

Die Geschichte zweier Arbeitskulturen

von Dushan Wegner, Lesezeit 9 Minuten, Bild von Janita Sumeiko
Ein FDP-Politiker will Hartz-IV-Empfänger zur Arbeit verpflichten. Es ist das Kontrastprogramm zur linksgrünen Leitkultur, welche Faulheit feiert und Leistung verschmäht. Was aber ist Arbeit wert, wenn die Arbeiter gar nicht arbeiten wollen?
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Man könnte es ja mit Opium versuchen, oder mit sanftem Mohntee. Man könnte Lieder singen oder man könnte ihnen schlicht befehlen, die Augen zu schließen. – Kinder zum Schlafen zu bewegen, oder sie auch nur zeitweilig zu beruhigen, das ist schon eine ganz eigene Herausforderung!

Ich selbst habe ein prima Schlafmittel gefunden für mein frühes Ende und unser aller Zukunft (gemeint: Elli und meine Kinder, klar), und dieses perfekte Schlafmittel ist Goethe.

Ich weiß, ich weiß, den Dichterfürsten ein Schlafmittel zu nennen, das ist ein Frevel, doch ich weiß nicht, wie man günstig an Opium kommt.

Nichts ist ohne Schwierigkeiten, kein Bergaufstieg ohne lose Steine und spitze Stöcke. Meine Tochter brach einmal über den Erlkönig in Tränen aus und mein Sohn hält sich für Prometheus, und einige der Dinge, die ich hier sage, stimmen sogar!

Wenn man nun seinen Kindern den guten Goethe vorliest, wird es wieder und wieder passieren, dass man auf ein ganz bestimmtes Wort stößt, dessen praktische Bedeutung heute anders gewichtet ist als zu Zeiten des Meisters, und das Wort ist Busen.

Wenn Goethe das Wort Busen verwendet, meint er mal die Brust allgemein, mal steht es als Metapher für Seele und Emotion, und dann schließlich auch im heutigen Sinn für die weibliche Brust.

Wagner, Faustens Gehilfe im nach seinem Protagonisten benannten Dramahit, sagt:

Ach Gott! die Kunst ist lang,
Und kurz ist unser Leben.
Mir wird, bei meinem kritischen Bestreben,
Doch oft um Kopf und Busen bang.

Wagner fürchtet um sein Leben und um seine Seele, nicht um Körperteile die er gar nicht hat, doch erklären Sie das mal albern kichernden Kindern! Man kann denen ja auch nichts von einem Meeresbusen erzählen und eine Fahrt nach Büsum hat ebenso ihre pädagogisch-linguistischen Herausforderungen.

Karlheinz B.

Es gibt sie noch, wenn sie auch nicht mehr werden, die FDP-Mitglieder und -Politiker, die weitgehend unbeschadet der heutigen Retorten-Coolness und neonfarbenen Denglisch-Unfälle noch immer für die fast schon ins Reich der Mythen versunkene gute, alte FDP stehen, jene FDP, die selbstverständlich und nicht notgedrungen gewählt wurde, von einer Minderheit zwar, aber von dieser dann auch selbstverständlich, ja, eine FDP, sagen wir es einfach, für jene Minderheit, für welche »Streber« kein Schimpfwort war und nie ein Schimpfwort sein wird, für welche Disziplin etwas Erstrebenswertes ist.

Ein FDP-Politiker, an dem man das Ideal der guten alten FDP noch erkennt (und der nicht vergessen hat, dass es für Profil immer auch Kanten braucht), heißt Busen, Karlheinz Busen.

Herr Busen ist Ingenieur und Besitzer eines Unternehmens mit acht Mitarbeitern. Von 2012 bis 2017 war er Abgeordneter im NRW-Landtag (er machte sich u.a. für Jäger stark) und seit 2017 ist er Abgeordneter in Berlin.

Ich habe noch nicht in Erfahrung bringen können, was die konkrete Etymologie seines Nachnamens ist (Stammt der Namen von einer Landschaft? Ich werde es im Online-Text nachreichen, auf www.dushanwegner.com, genau an dieser Stelle, falls ich es in Erfahrung bringen kann.), doch Karlheinz Busen teilt mit mir eine Eigenschaft: Wir beide tragen einen Namen (ich den Vornamen), der eigentlich für Seele steht, aber eben auch an etwas anderes erinnert.

Gesunde Menschen unter 35

Bei der Rheinischen Post erschien zwischen den Jahren 2018/2019 ein Interview mit Busen; die Redaktion hatte diese Überschrift gewählt:

FDP-Politiker Karlheinz Busen denkt etwa ans Spargelstechen: »Für gesunde Menschen unter 35 kein Hartz IV ohne Gegenleistung« (rp-online.de, 28.12.2018)

Aus dem Text dann:

»Bis zum 35. Lebensjahr würde bei mir kein gesunder Bürger einen Cent Arbeitslosengeld II ohne Gegenleistung bekommen. Außer bei Krankheit könnte jeder auch Spargel stechen«, sagte Busen unserer Redaktion. »Die Menschen müssen einfach mehr rangenommen werden.« (rp-online.de, 28.12.2018)

Gerechtigkeit

Busen hat richtig erkannt, dass es ein Gerechtigkeitsproblem ist:

»Der Arbeiter, der 40 Stunden in der Woche schrubbt, ist frustriert, wenn Hartz-IV-Empfänger mit Mietzuschuss und Freibeträgen für andere Leistungen ähnlich viel Geld haben, ohne einen Finger zu rühren.« Ein Großteil von ihnen könne sehr wohl arbeiten. Busen sagte: »Ich sehe mit Sorge, dass die Gesellschaft auseinanderfällt. Der Zusammenhalt bröckelt. 80 Prozent der Bevölkerung leben gut. Und trotzdem sind gefühlt fast alle unzufrieden.« (rp-online.de, 28.12.2018)

Staatliche Hilfsleistungen sollten einst dazu dienen, die Gesellschaft zusammenzuhalten. Es ist dem Menschen eigen, Teil einer gerechten Sache sein zu wollen, nicht einer ungerechten. Selbst ein Dieb redet sich ein, dass die Welt ihm das, was er stiehlt, aus diesem oder jenem vorgeschobenen Grund schuldet, um wieviel mehr will der einfache Mann, den wir auch einen ehrlichen Mann nennen, um wieviel mehr will er doch Teil und Teilhaber einer ehrlichen Sache sein – und, und das kommt hinzu, wie lange wird und kann sein innerer Antrieb aufrecht erhalten werden, wenn er die ungerechten Umstände als Ungerechtigkeit auch ihm gegenüber empfindet? (siehe auch z.B. Ordnung und Gerechtigkeit )

Herr Busen liegt in dieser seiner Analyse vollständig richtig. Wer soll denn die Gesellschaft tragen, wenn die Schultern, die sie tragen, sich ausgenutzt und über Gebühr beschwert fühlen? Wie lange wird der Ochse den Karren ziehen, wenn zugleich jüngere, stärkere Ochsen in der Sonne liegen und doch gleich viel vom gleichen Gras fressen dürfen?

Lebenskonzepte

Man könnte hier auf der Hand liegende Fragen stellen, wie die nach der unter Umständen unappetitlichen Begriffsverbindung von »Arbeit« und »Zwang«; doch in Zeiten des dauernden Begriffskriegs muss man sein Schwert wahrlich nicht zu jeder Deutungsschlacht zücken.

Interessanter scheint mir eine andere, heute zu selten gestellte Frage: Wie entsteht die Faktengrundlage, die ein solches Ungerechtigkeitsgefühl entstehen lässt? Oder, anders: Was sind die Gründe der Gründe der Spaltung?

Als wir in den Westen emigrierten, führten die Erwachsenen meiner Familie diverse Aushilfsjobs aus. Es war völlig selbstverständlich, vom ersten Tag an seinen Lebensunterhalt zu verdienen, und sei es mit den schmutzigsten Arbeiten. Ich selbst nahm meine erste bezahlte Arbeit mit 16 Jahren an, ich fegte eine Tiefgarage. Ich habe auf Baustellen und in Abrissunternehmen gearbeitet, habe am Fließband gestanden und in einer Farbenfabrik die Tanks geputzt. Meinen ersten bezahlten Job als Texter erhielt ich, während ich über den Sommer als Studentenjob in einer Nahrungsmittelfabrik arbeitete und Mehlsäcke schleppte, wenn die Roboter versagten; dort hörte der Abteilungsleiter, dass ich schreibe, und er hatte einen Bekannten, der einen Texter suchte, und ab da hatten meine Jobs meist mit Inhalten zu tun (während der Internetblase programmierte ich einige Jahre lang verschiedene Online-Produkte).

Meine Arbeitsphilosophie ist nicht kompliziert, und sie fußt selbstverständlich auf den Relevanten Strukturen; gut ist, was relevante Strukturen stärkt, und daraus leitet sich direkt ab, was zur Arbeit zu sagen ist: Gut ist eine Handlung, die relevante Strukturen stärkt, also ist Arbeit, welche die klassischen relevanten Strukturen wie Familie, Gesellschaft, Land et cetera stärkt, gut, und es ist gut, ihr nachzugehen.

Es gibt nur einen Arbeitsauftrag, für Angestellte wie für Unternehmer: Finde etwas, wofür Menschen bereit sind, dir mehr Geld zu bezahlen als die Produktion dich kostet – und wenn es auch deinen Talenten und deiner Geschichte entspricht, und dazu noch das Leben der Menschen ein wenig schöner und schmerzfreier macht, dann hast du die Chance, mit deiner Arbeit so etwas wie Glück zu finden.

Der Mensch ist nicht automatisch auf Glück, Glaube und Gutsein programmiert, sondern eher auf F-Worte wie Fressen, Faulheit und Liebemachen; der Mensch ist ein Wesen voller Widersprüche, und zu des Menschen Widersprüchen gehört nun einmal, sich das Glück mit Trieben zu verbauen und zugleich nach eben diesem Glück zu streben, und um Glück zu erreichen, muss der Mensch einige seiner Triebe überwinden, und dazu gehört die Faulheit.

Kulturfrage

Es scheint mir keine triviale Frage zu sein, warum ein Teil der Bevölkerung bei einem nicht unerheblichen anderen Teil der Bevölkerung zum Gefühl beiträgt, das System sei ungerecht.

Abgeordneter Busen schlägt de facto vor, Druck auszuüben, doch wo Druck ausgeübt werden muss, da ist logischerweise ein zu überwindender Widerstand – worin besteht dieser?

Wenn jemand arbeiten kann, aber nicht will, dann ist er faul. Jeder Mensch ist faul, nur vielen gelingt es eben, ihre Faulheit zu überwinden.

Eine um sich greifende Faulheit, eine Faulheit, die so weit verbreitet ist, dass sie die Gesellschaft zu spalten in der Lage ist, ist ein kulturelles Problem.

Gleich mehrere kulturelle Ideen und Bewegungen verklären diese oder jene Form der Faulheit.

Nehmen wir etwa linke Ideen: Sei es die linke Neidkultur, die in jedem Fliegenden einen abstürzenden Ikarus zu sehen hofft, sei es linke Quotenkultur, die Menschen für ihr Geschlechtsorgan und ihre Hautfarbe statt für ihre Leistung belohnen will, sei es die Jeder-gewinnt-einen-Preis-Millenials, die voll dopaminsüchtigem Anspruchsdenken in ein trostloses, verzweifeltes Leben stolpern – linksgrünes Denken ist heute auch ein Faulheitskult, Faulheit im Denken und Faulheit im Arbeiten.

Das brutal Ungerechte an linkem Faulheitskult ist, dass viele seiner lautesten Prediger von Haus aus über die Mittel und dann doch auch über die Restdisziplin verfügen, selbst nicht vollständig an den Schmuh zu glauben, den sie predigen – doch diejenigen, die es glauben und ihren Glauben nicht rechtzeitig korrigieren, deren Leben wird traurig scheitern.

Und dann gibt es, immer mehr, die anderen, die jungen Männer, die kämpfen können, und sonst wenig. Das Problem ist, dass ihr Kampf meist ein Kampf gegen andere ist, gegen Dritte; gegen Grenzen, gegen Behörden, und unter Umständen gegen Ungläubige – nicht ein Kampf gegen sich selbst.

Tages Arbeit

Der Abgeordnete Karlheinz Busen diagnostiziert völlig richtig, doch wie aussichtsreich kann seine Medizin sein? Selbst wenn sein Ansinnen eine politische Mehrheit finden sollte (ausgeschlossen im linksgrün-suizidalen Deutschland), würde sie wirklich das Problem lösen?

Was ist denn die Arbeit eines Menschen wert, der zur Arbeit gezwungen werden muss? Ein Hartz-IV-Empfänger, der Pfleger, Informatiker oder Gärtner werden kann und werden will, der ist es bereits geworden.

Das Problem ist kulturell – und damit meinen wir hier zuerst (aber nicht ausschließlich) ein Problem linker Denkweise: Linksgrüne wenden sich in krassem Populismus an die niedersten Beweggründe im Menschen, und dazu zählt eben auch die Faulheit.

Kann von der Politik ausgehend ein Mentalitätswechsel stattfinden? Ja, sicher, wenn er sich mit Staatsfunk, Leitmedien und Schulen verbündet, doch eher finden wir Käsekuchen auf dem Mars als eine Wertschätzung von Fleiß, Disziplin und täglichem Zähnezusammenbeißen im Brackwasser linksgrüner Einheitsmeinung.

Letztens las ich ein Interview mit einer Bundestagsvizepräsidentin – ich sage es mal so: wenn meine Kinder auf diesem intellektuellen Niveau antworten würden, dann wäre ich besorgt und würde mich schnell beraten lassen. In aktueller Debattenlage ist es wenig wahrscheinlich, dass unsere kulturelle Spaltung zeitnah produktiv aufgehoben wird.

Es ist eine kulturelle Frage: eine Kultur der Arbeitsvermeidung und Faulheit – oder eine Kultur der Arbeit, der täglichen Selbstüberwindung und der Stärkung seiner relevanten Strukturen.

Es geht ja nicht ums um-die-Uhr-feiern, es geht um ein Gleichgewicht, auch Handlungen sind Strukturen, und die sollen einander eben stärken und stützen.

Im Gedicht Der Schatzgräber bringt Goethe es auf den Punkt:

Tages Arbeit! Abends Gäste!
Saure Wochen! Frohe Feste!

Nicht nur und nicht zuerst die Religion, sondern viel mehr die selbsterteilte Erlaubnis zur Faulheit ist das moderne Opium der Massen. Es macht niemanden glücklich, nicht die Gesellschaft und nicht die Faulen selbst, wenn den Menschen gepredigt wird, sie dürften faul sein. Ordne deine Kreise, sagen wir, und diese Ordnung ist eben Arbeit, tägliche, anstrengende Arbeit. Man könnte sagen: das Gegenstück zur Faulheit, die ordnende Arbeit an unseren relevanten Strukturen, das ist, was ich im Busen trage.

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