Dushan-Wegner

11.02.2018

Alles muss kritisiert werden dürfen, alles!

von Dushan Wegner, Lesezeit 4 Minuten, Foto: Foroozan Faraji (Kashan, Iran)
Antisemitismus und Kritik am Islam gleichzusetzen ist infam und falsch. Doch das ist es, was der Groko-Vertrag praktisch tut. - Und es ist ein Verrat an der Aufklärung.
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Im Iran reißen sich Frauen, unter Gefahr für Freiheit und Wohlergehen, ihren Hijab vom Kopf und halten ihn stolz und öffentlich wie eine Trophäe am Stock in die Luft, weit weg von sich und so, dass alle es sehen können. (Dass deutsche Mimimitoo-Feministinnen diesen echten Kampf für die Freiheit der Frau weitgehend ignorieren, sagt einem im Grunde alles was man über Netzempörte wissen muss, doch das nur nebenbei. – Bei der TAZ erklären diese Aktivistinnen übrigens, warum sie kollektiv keine Zeit auch nur für einen Retweet hatten.)

Einige der iranischen Frauen wurden verhaftet für ihren Mut.

Diese Geste des Kopftuch-von-sich-Weghaltens, sie ist zweifelsohne eine Kritik am real existierenden Islam. In Deutschland gilt Kritik am Islam schnell als »Hatespeech«.

Im Koalitionsvertrag zur Merkel-Groko-III heißt es, wörtlich:

Wir werden Antisemitismus entschieden bekämpfen und ebenso anti-islamischen Stimmungen entgegentreten.
– Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, 7. Februar 2018

Mit Verlaub, dieser Passus ist aus mehreren Gründen atemraubend, und nicht auf gute Weise. (Ich will mich auf die Kritik dieser einen Passage beschränken, David Berger zerpflückt darüber hinaus weitere Stellen.)

Wir wissen, was Antisemitismus ist. Es ist der Hass auf Juden, nicht eine »Stimmung« gegen das (oder Kritik am) Gedankengebäude Judentum. Antisemitismus ist der Hass auf Menschen eines bestimmten Volkes, der direkt zum Holocaust führte.

Diese Passage aus dem Groko-Vertrag ist ein Beleg für die Regel, dass Unfähigkeit und Böswilligkeit von außen oft nicht zu unterscheiden sind. Ich denke, die am Koalitionsvertrag schöpferisch Beteiligten sind dermaßen schlicht aufgestellt, dass sie sich wohl auch noch ethisch gut fühlen bei diesem ausformulierten Fehler.

Betrachten wir aber die zweite Formulierung: »anti-islamische Stimmungen«. Diese Formulierung ist so harter Tobak, dass sich einem der Magen zusammenzieht.

Sind alle Religionen gleich vor dem Gesetz oder nicht? Wollen die intellektuellen Tretbootkapitäne der Groko allen Ernstes die Bekämpfung persönlicher Aversion gegenüber einem bestimmten Gedankengebäude zur Staatsaufgabe machen? Was ist mit anti-christlichen Stimmungen? Anti-buddhistischen? Was ist mit Anti-Scientology-Stimmungen? Die empörte Schlange beißt sich in den Schwanz – und frisst sich auf.

Und, natürlich: »Stimmung«! Merkels unselige Experimente mit »Nudging«, ihre Forschungen zum »guten Leben« und die Stimmungs-Propaganda aus dem Familienministerium sollen wohl nicht nur weitergeführt werden, sie werden auch noch zugunsten einer Religion weitergeführt. Wenn der Staat die »Stimmung« gegenüber einer bestimmten Religion korrigieren will, wie soll man das nennen, wenn nicht »Manipulation«? Was sind die notwendigen Maßnahmen, wenn nicht »Propaganda«?

Als wäre die Opferung der Rest-Glaubwürdigkeit gleich dreier Parteien zum Machterhalt von »Mutti« nicht erschreckend genug, macht man es nebenbei zur Aufgabe des Staates, gegen Kritik einer einzigen Religion vorzugehen.

Wenn Antisemiten sich im Judenhass üben, dann geht es immer gegen Menschen. Antisemitismus ist keine Kritik – auch wenn schon mal ein Gericht danebengreift und einen Anschlag auf eine Synagoge zur »Israelkritik« umdeutet.

Wenn allerdings zum Beispiel ehemalige Muslime ihre eigene ehemalige Religion laut und deutlich kritisieren, dann, ja, könnte auch das von Kurzstreckenlogikern als Schüren »anti-islamischer Stimmung« interpretiert werden. Die Kritik an einem alten Denkgebäude mit dem millionenfach tödlichen Hass gegenüber Menschen gleichzusetzen ist infam – und wenig produktiv. Kritik am Islam in die Nähe des Antisemitismus zu bringen schrammt nur haarscharf an der Relativierung der Verbrechen des Dritten Reiches vorbei.

Die Abneigung gegenüber einem Denkgebäude über den Umweg von »Stimmungen« bekämpfen zu wollen ist aktiver Kampf gegen die Aufklärung. Der Groko-Vertrag hebt die Trennung von Staat und Religion auf, nimmt eine bestimmte Religion aus dem öffentlich zu Debattierenden heraus, schlägt sich damit also auf die Seite einer Religion und positioniert sich so gegen alle anderen konkurrierenden Ansätze, inklusive dem aufgeklärten Atheismus. So eine Groko ist dumm, so eine Groko macht dumm, und es ist verdammt gefährlich.

In Berlin wird derzeit von »Dolchen im Gewand« gesprochen, von Missgunst, von Verrat und von Haaren im Gesicht, über die angeblich gewisse Fünfjährige gesprochen haben sollen. In diesem wütenden Geiste könnte man sagen: Die Leute, die den Grokovertrag geschrieben haben, sind geradezu Aufklärungsverräter – doch schwerer wiegt noch, dass es ihnen egal ist.

Stellen wir doch die knallharte Frage: Könnte das öffentliche Entfernen des Hijab als Erzeugen »anti-islamischer Stimmung« empfunden werden – als etwas, dass auch die deutsche Regierung jetzt offiziell »bekämpfen« möchte? Wäre es in der als anti-freiheitlich auslegbaren Denkwelt gewisser Stiftungen nicht als eine Art »visueller Hassrede« deutbar?

Was würde eigentlich passieren, wenn eine Frau in Deutschland öffentlich ihren Hijab an einem Stock in die Luft hielte, als Zeichen der Selbstbefreiung und Gleichberechtigung, und es zu wütenden Reaktionen führen würde – wen würde die Polizei verhaften? Die Wütenden oder die Frau?

Deutschland exportiert Maschinen in den Iran, doch was importieren wir? Dass der Staat sich auf die Seite einer Religion stellt und ihre Sonderrechte einräumt?

Eine Religion ist eine Idee, dazu gehören ein Moralgebäude und ein Set von Riten. Über Ideen muss gestritten werden dürfen. Sie müssen kritisiert und zerpflückt werden dürfen. Es muss erlaubt sein, Abneigung gegenüber Ideen zu haben. Das klingt so selbstverständlich. Es macht einem kalte Gänsehaut, dass dies nicht mehr selbstverständlich ist. Alles muss kritisiert werden dürfen, alles!

Nachtrag: Es wäre falsch, zu sagen, dass deutsche Feministinnen den Iran gar nicht auf dem Radar hätten! Bei »Edition F« weiß etwa Autorin Johanna im August 2017 zu berichten: »Der Iran ist ein wunderschönes Reiseland – auch wenn man als Frau alleine unterwegs ist!«

Weiterschreiben, Wegner!

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