Dushan-Wegner

03.06.2018

Wer die AfD schwächen will, muss Merkel abwählen

von Dushan Wegner, Lesezeit 7 Minuten, Bild von Mike Oug
Gauland hat wieder provoziert. Ja, es ist übel. Doch: Gauland's Provokation wird (bloß) bewirken, dass einige Menschen, welche mit Bauchweh die AfD wählen wollten, jetzt die AfD eben mit noch mehr Bauchweh wählen werden. Die AfD wird stärker werden, solange Merkel weiter das Land in Gefahr bringt.
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Der AfD-Vorsitzende Alexander Gauland hat wieder etwas Übles gesagt. Alle sind empört, und ich teile die moralische Entrüstung.

Gauland sprach beim Treffen der AfD-Jugend in Seebach. (Video des diskutierten Ausschnitts auf mdr.de) Er kam auf eines der AfD-Lieblingsthemen: Wie soll der Deutsche umgehen mit der deutschen Geschichte, welche ja nicht in allen Teilen nur ruhmreich war.

Gauland: »Wir haben eine ruhmreiche Geschichte. Und die, liebe Freunde, dauerte länger als die verdammten zwölf Jahre. Und nur wenn wir uns zu dieser Geschichte bekennen, liebe Freunde, haben wir die Kraft, die Zukunft zu gestalten. Ja, wir bekennen uns zu unserer Verantwortung für die zwölf Jahre. Aber, liebe Freunde, Hitler und die Nazis sind nur ein Vogelschiss in über tausend Jahren deutscher Geschichte.« – Applaus vom Publikum.

Millionen und Abermillionen

Gauland hat – so sah es zumindest aus – Wort für Wort vom Manuskript abgelesen. Seine Provokation war geplant, die Formulierung war geplant. Ich bin stets vorsichtig mit Spekulation zu Innenleben und Intention von Politikern. Hier wage ich die starke Vermutung, dass er genau wusste, was er tat.

Der Skandal wurde ja schon vor diesem eigentlichen Satz vorbereitet. Die ersten Pflastersteine wurden in den hinleitenden Sätzen gelegt!

Zur Erinnerung, er sagte: »Ja, wir bekennen uns zu unserer Verantwortung für die zwölf Jahre.«

Ich horche bereits an diesem Punkt auf. Selbstverständlich versteht man mit dem Kopf, dass die Formulierung »12 Jahre« für NS-Herrschaft, mit Konzentrationslagern und Weltkrieg steht, doch für den Bauch sind 12 Jahre eben 12 Jahre, nicht die Millionen von Toten, das Leid und die Zerstörung.

Gauland konnte sich darauf verlassen, dass die Presse und Politiker in Entrüstung aufheulen würden. Er würde der eine Gewinner sein (Aufmerksamkeit). Merkel die andere Gewinnerin (Ablenkung vom BAMF-Skandal). Doch, ach: Die deutsche Presse ist dann am schwächsten, wenn man sie am stärksten braucht.

Melanie Amman vom Spiegel etwa hörte einfach Dinge »dazu«, die Gauland gar nicht gesagt hatte: »Sogar die Saal-Dekoration passt ins Bild, als #Gauland vor der #AfD-Parteijugend @JA_Deutschland den Massenmord und totalen Krieg unter Hitler als „Vogelschiss“ bezeichnet.« (@MelAmman, 2.5.2018) – Was Gauland sagte, war übel. Doch wenn die Dame vom Spiegel schlicht im Detail die Unwahrheit sagt, was seine (in dieser Aussage nicht allzu vielen) Fans zu Recht anmahnen können, wer hat dann in der Debatte »gewonnen«?

Peter Huth von der Welt-am-Sonntag kritzelt in gewohnter schreiberischer Selbstüberschätzung ein flapsiges Meinungsstück. Zitat daraus: »Es wird Zeit, dass das Phänomen Gauland selbst zum Vogelschiss wird.« (welt.de, 2.6.2018) – Boah, das wird es dem Gauland aber zeigen!

Der König der Selbstüberschätzung ist auch weiterhin der ehemalige Bürgermeister von Würselen. Er twittert: »Wer die Untaten der alten Nazis verharmlost, ist der Steigbügelhalter der neuen Nazis. #Gauland ist eine Schande für den Deutschen Bundestag. Die SPD ist das Bollwerk gegen diesen Geist.« (@MartinSchulz, 2.6.2018) – Nein, die SPD ist kein Bollwerk gegen Nichts. Die SPD ist die Partei, die Merkel dabei hilft, Deutschland zu demontieren, die NetzDG, VDS und dubiose Propaganda-Projekte initiiert hat, welche mit FakeNews in den Wahlkampf geht (»21%«) und den Bürgern schon mal den Stinkefinger zeigt. Selbst die Tage der SPD als auch nur zweitstärkste Kraft könnten angezählt sein. (INSA 29.5.2018: SPD 17%, AfD 15,5%)

Nicht alle Reaktionen waren so unbeholfen, aber die meisten waren empört. (Wer mehr will, findet auf tagesschau.de einen brauchbaren Überblick der Empörung.)

Man war sich in der Kritik an Gaulands Aussage quer durch das politische Spektrum einig. Auch jene, welche sich selbst »rechts« nennen, fanden kritische Worte. Stellvertretend etwa Martin Lichtmesz (»Mit Linken leben«): »#Gauland’s Sager ist nicht wie manche von #Höcke‘ s Schnitzern, die oft inhaltlich richtig waren. Er hat einfach in der Sache nicht recht.« (@lichtmesz, 2.6.2018)

Uwe Witt, AfD-Abgeordneter im Bundestag, twitter: »Der größte Massenmörder Deutschlands, Hitler, ist beileibe kein Vogelschiss! Als Politiker der AFD entschuldige ich mich bei allen jüdischen Mitbürgern und den Opfern des Naziregimes sowie deren Familien, für diese unglaubliche Bagatellisierung durch unseren Parteivorsitzenden.« (@Witt_Uwe, 3.6.2018)

Es werden sogar Verschwörungstheorien laut, die solchen Aussagen taktische Unklugheit bescheinigen: »Ich frage mich, ob Gauland nicht ein U-Boot ist, dass eingeschleust wurde, um immer wieder mit solchen Statements die Wählerschaft der AfD klein zu halten.« (Karina Vogel, 2.6.2018)

Gauland ist scheinbar die ganz große Vereinigung der politischen Kräfte in Deutschland gelungen, doch die Motive könnten dabei unterschiedliche sein. Die einen sind wohl froh über die Ablenkung vom BAMF-Skandal, die anderen sind sauer, weil die merkelkritischste aller Parteien (die FDP scheint vielen Wählern dann doch in Sachen Merkelkritik ein Wackelkandidat zu sein) sich so gründlich in das Image »rechter Spinner« hineinreitet.

Was passieren wird

Bevor er in den Chor der emotional Empörten einstimmte, twitterte Julian Reichelt von der BILD noch eine kluge Meta-Reaktion. Er zitierte den erwähnten Martin-Schulz-Tweet, und sagte selbst:

Leider ist derzeit keine Partei ein wirkliches Bollwerk gegen die AfD, wie Wählerwanderungen und Ergebnis der Bundestagswahl zeigen. (@julianreichelt, 2.6.2018)

Nein, die etablierten Parteien sind eher kein »Bollwerk«, und selbst Versuche, demokratische Prinzipien zur angeblichen »Rettung der Demokratie« aufzugeben (Zensur, Propaganda, Aufrufe zu Pro-Merkel-Demos), fruchten nicht so recht.

Es hat ja alles Kontext, auch die Nachricht über Gaulands Satz. Während sich die Medienmaschine über Gaulands unsägliches Gesagtes hermacht, kommen neue Geheimdokumente zur Rolle des Kanzleramts im BAMF-Skandal ans Licht (Bezahl-bild.de, 2.6.2018). Wir lesen von merkwürdigen Details aus den sogenannten Integrationskursen (faz.net, 2.6.2018). Arme deutsche Rentner wühlen im Müll nach Pfandflaschen und überlegen, ob man das mit den mehreren Identitäten auch bei der Mindestrente anwenden könnte. Die Antifa bekennt sich fröhlich zu Anschlägen auf Politiker (Indymedia, 1.6.2018, via archive.is). Wir lesen vom Rapper »Kollegah«, bekannt für die Promotion via ZDF/Böhmermann (googlen) und seine antisemitischen Texte (für die man bei zeit.de viel Verständnis zeigt), der nun einen messerstechenden Freund einfach so gegen Geldzahlung (40.000€ Kaution, bar) aus dem Gefängnis holt (bild.de, 1.6.2018). (Siehe auch mein Text: Ist nicht viel passiert, von den Schwerverletzten abgesehen)

Wenn der Bürger auf die Straße geht und Angst hat, wenn das Kind von der Schule zurückkommt und Angst hat, wenn der Polizist mitbekommt, wie Deutschland rapide abgleitet, und wenn er dann eine Partei sucht, die seine größte Sorge ins Parlament trägt, welche kann er wählen?

Es ist völlig richtig, sich über Gaulands Spruch zu empören; doch diejenigen, die es extra laut tun, haben für die anstehenden Probleme eben keine Lösungen – oder fordern Dinge, welche die Angst und Gefahr noch ärger machen würden.

Es ist das Verdienst von Merkel, SPD, Grünen, ARD, ZDF und regierungsnahen Zeitungen, dass Menschen aus Verzweiflung und Wut eine Partei ins Parlament wählen, deren Spitzenpersonal offen mit der Relativierung der NS-Zeit flirtet – ähnlich wie es die Schuld der Regierung Merkel ist, dass der »neue« Antisemitismus sich ausbreitet. (Siehe auch meine Warnung von 2016: Sagt die Wahrheit, sonst tun es die Populisten)

Journalisten haben heute ein spektakulär kurzes Gedächtnis. Es ist nicht das erste Mal, dass Gauland einen »raushaut«. Im Wahlkampf zum Bundestag 2017 hat er etwa »rausgehauen«, Deutsche hätten »Recht, stolz zu sein auf Leistungen deutscher Soldaten in zwei Weltkriegen«. (Dazu mein Text von September 2017: Wahlkampf ist keine Seminararbeit) Ist das schon vergessen? War das nicht schlimmer? Die Empörung war ähnlich groß wie heute – hat sie aber dem Ergebnis geschadet? Nein, AfD ist größte Oppositionspartei. Ich bin kein Journalist. Ich versuche über den Tellerrand der Tagesemotion zu denken, in die Vergangenheit und in die Zukunft, und »Zukunft« bedeutet hier zuerst: Nach der aktuellen Empörung. Eine alte Börsenregel sagt: »Buy when there is blood on the streets.« Man nennt es »contrarian investing«. Ich sage: Wenn alle sich empören, ent-empöre dich, und frage, was nach der Empörung kommt.

Es wird spekuliert, ob Gaulands Spruch und dessen mediale Ausbreitung die Wahlchancen der AfD verringern werden. – Nein, wird er nicht.

Das wahlrelevante Dilemma hinter dem neuen Gauland-Skandal (und allen früheren wie auch folgenden) bleibt: Gauland verhöhnt die Toten von damals, Merkel nimmt neue Tote in Kauf. Selbstverständlich wäre es so viel wünschenswerter, wenn jemand weder-noch täte, und eine solche Partei hätte das Potential die neue CDU zu werden, doch die, wörtliche,  Alternative heute ist nunmal: Verhöhnung der Toten von damals oder Inkaufnahme neuer Toter? Was ist schlimmer, oder, besser: Was ist weniger schlimm?

Gaulands Spruch wird bewirken, dass einige Menschen, die AfD wählen wollten und dabei Bauchweh hatten, AfD wählen werden und dabei noch mehr Bauchweh haben werden. Das ist alles.

Solange Merkel und die grüne Meinungsmaschine das Land in den Abgrund führen, gilt: Wer die AfD stärker machen will, kann die AfD wählen – oder eine der anderen Parteien, wie sie jetzt aufgestellt sind. Wer die AfD schwächen will, der muss endlich (!!!!) der Realität ins Gesicht sehen, der muss Asyl-Korruption auf einmal aufdecken und beenden. Er muss vorlegen, wie er alle die Menschen ohne Asylaussicht aus dem Land bekommen möchte. Er muss die Gefahren von Ideologien ehrlich benennen. Er muss sehen und realisieren, was in immer mehr Straßen und Schulen los ist. Wer die AfD demokratisch bekämpfen will, der muss sich den Problemen des Landes stellen, beginnend mit den größten und drängendsten: Wer AfD und Gauland schwächen will, muss zuerst Merkel abwählen – und sei es durch ein Misstrauensvotum.

 

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