Dushan-Wegner

03.01.2018

»Flüchtlingskriminalität« – ein sehr schlechtes Wort

von Dushan Wegner, Lesezeit 5 Minuten, Bild von Peter Paul Rubens (1626)
Der Ausdruck »Flüchtlingskriminalität« markiert die bösen Folgen von Begriffsverdrehung – wie jene, die jeden Einwanderer zum »Flüchtling« erklärte.
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Sprache lebt. Worte ändern ihre Bedeutung und Begriffe ihren Umfang. – »Frau« bezeichnete als »frouwa« früher im Althochdeutschen eine hochgestellte Dame, heute steht es für alle Damen – schön. Einige Wörter kennen wir noch, doch nutzen sie höchstens ironisch, etwa das christliche Wort »Heide«. (Das arabische Wort »Kafir« ist dagegen, so weit ich weiß, ganz unironisch weiterhin im Gebrauch.) Manche Ausdrücke schließlich haben wir ganz vergessen, denn ihr Kontext ist verschwunden, etwa den Begriff »Kartoffelferien«. (Früher ging es in den Herbstferien zur Kartoffelernte.)

Das Problem

Menschen mit Autorität und Absicht nutzen diese Lebendigkeit der Sprache und versuchen, die Bedeutung von Worten und den Umfang von Begriffen zu manipulieren.

Politiker und Journalisten, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, Macht von den EU-Einzelstaaten weg und hin nach Brüssel zu verlagern, »verwechseln« gern »EU« und »Europa«. Die Verschmelzung dieser Begriffe stärkt die Macht des Brüsseler Apparats.

Politiker und Journalisten, die kritische und abweichende Meinungen zum Verstummen bringen möchten, erweitern wiederum den Begriff »Hass« derart, dass er neben tatsächlichem Hass auch die Nennung missliebiger Fakten umfasst. Man versucht, Aussagen wie »Ich hasse X« aus dem Begriff der »Meinung« herauszubrechen (»Hass ist keine Meinung«) und zugleich durch geschickte Formulierung anzudeuten, dass Hass automatisch strafbar sei.

Der Trick

Wenn wir kommunizieren und Begriffe benutzen, dann verlassen wir uns auf sehr viele Voraussetzungen und nehmen vieles als gegeben an, was eigentlich gut funktionieren sollte.

Wenn etwa ein Mensch mit Autorität (z.B. Krawatte) und Selbstsicherheit (z.B. treuer Blick durch Teleprompter in die Kamera) einen Begriff benutzt und mit ihm argumentiert, dann gehen wir unbewusst und automatisch unter anderem davon aus, dass dieser Mensch a) auf möglichst wahren Prämissen baut (oder zumindest auf denselben Prämissen wie wir), b) erklärende Begriffe so benutzt wie sie bislang benutzt wurden, c) selbst ein Verständnis davon hat, was er sagt, und d) das Wohl des für uns relevanten Ganzen im Blick hat und uns also nicht hinters Licht führen wird. – Wir selbst fühlen uns als klein und dumm, aber »der Herr im Fernsehen« wird schon wissen, wovon er spricht. Je selbstbewusster und zugleich väterlicher/mütterlicher er/sie ist, umso mehr vertrauen wir. (Angeblich wollte mal jeder fünfte Deutsche den Moderator Günther Jauch zum Bundeskanzler wählen.)

Es ist zu oft nur Show.

Die Folgen

»Natürliche« Sprachentwicklung vs. »künstliche« Sprachentwicklung (durch Propaganda und journalistische »Deutung«) unterscheiden sich in einem sehr wichtigen Punkt: Natürliche Sprachentwicklung passt Sprache an die Realität an, Propaganda entwickelt Sprache von der Realität weg.

Menschen versuchen ganz natürlich, die Realität (für sie) adäquat zu beschreiben. Manipulatoren versuchen, das Denken der Menschen über die Realität umzuformen, indem sie ihre Begriffe ändern, ihnen quasi eine regierungsgenehme »Denk-Brille« aufsetzen.

Um das Jahr 2015 erlebten wir, wie die deutsche Regierung und regierungsnahe Journalisten alle illegalen Einwanderer mit »Flüchtling« bezeichneten. Der Zweck scheint recht durchschaubar: Man zählte auf den Reflex, in Not geratenen Menschen helfen zu wollen, selbst unter Inkaufnahme von (zeitweiligen?) Nachteilen für einen selbst.

Der 2015-Begriff »Flüchtling« (der »Flüchtling 2.0« quasi) war und ist künstlich, er bildet die Realität nicht adäquat ab.

Problematische Künstlichkeit

Künstliche Begriffe richten regelmäßig Schaden an, weil und wenn sie dazu führen, dass Menschen tun, als wäre die Realität so, wie der Begriff es simuliert.

Auch der »neue« Flüchtlingsbegriff hat diese Probleme:

  1. Wenn »Flüchtling« jetzt »illegal Eingewanderter« bedeutet, wie nennen wir diejenigen, die wirklich vor Not fliehen?
  2. Wenn wir eher pragmatische Einwanderer (»junge Männer«), die in Nordafrikas Armenvierteln sozialisiert wurden, behandeln, als wären sie vor Assad geflohene »Ärzte und Facharbeiter« – wird das nicht so lächerlich wie tragisch auseinanderbrechen?
  3. Wenn wir alle Einwanderer als Menschen betrachten, die vor Terror fliehen – werden wir nicht blind für möglicherweise einwandernde Terroristen?

Jetzt neu: Noch ein Problem!

In Deutschland wird jetzt leider wahr, was jene prophezeiten, die man dafür als »Populisten« beschimpfte: »Flüchtlinge 2.0« begehen Straftaten – Tendenz steigend. Medien versuchen nun, dafür einen Gattungsbegriff zu finden. Und sie haben einen gefunden, nämlich »Flüchtlingskriminalität«.

„Flüchtlingskriminalität“ – ein sehr schlechtes Wort
(Quelle: zdf.de)

Das dem Wort »Flüchtlingskriminalität« zugrundeliegende Problem ist so gravierend, dass selbst das ZDF sich schwertut, es zu verschweigen.

Doch ist es wirklich »Flüchtlingskriminalität«, wenn viele der Täter nicht aus dem Krieg geflohen sind, sondern »einfache« Migranten sind? Oder, anders: Ist Flucht der gemeinsame Nenner der Täter – oder etwas anderes?

Jochen Bittner (Die Zeit, New York Times) kommentiert auf Twitter:

Wer nie unterschieden hat zwischen Flüchtlingen und Migranten, begreift vielleicht spätestens beim Stichwort »Flüchtlingskriminalität«, warum das falsch war.
Es ist doch irre, dieses Wort zu verwenden, wenn viele der Täter gerade keine Flüchtlinge sind.
@jochenbittner, 3.1.2017

Viele Menschen verbinden »Flüchtling« noch immer mit »aus schlimmster Not geflohen. Wenn es jetzt ein offensichtliches Problem gibt, dass »Flüchtlingskriminalität« genannt wird, dann wird es die allgemeine Bereitschaft, in Not geratenen Menschen zu helfen, (weiter) abkühlen.

Der Begriff »Flüchtling« wie er von der Merkel-Regierung und Wohlfahrtskonzernen samt der angeschlossenen Medien und Kirchen verwendet wurde, war eine Lüge – eine Lüge, an der einige noch immer viel Geld verdienen.

Wer diese begriffliche Lüge als solche brandmarkte, wurde als »Populist« oder sogar »Nazi« beschimpft. Eine Lüge bleibt eine Lüge, auch wenn man den, der sie aufdeckt, verunglimpft.

Die Lüge, die alle Immigranten als Flüchtlinge bezeichnete, wendet sich nun gegen alle Beteiligten, gegen die Immigranten, gegen echte Flüchtlinge, gegen Helfer und gegen die Regierung selbst. Die Hilfsbereitschaft sinkt, die Glaubwürdigkeit sinkt, die Summe der Gewalt steigt – alles auch wegen einer Begriffs-Lüge.

Menschlichkeit braucht Wahrhaftigkeit

Diejenigen, die beschimpft und verachtet wurden, die denunziert und bedroht wurden, weil sie einen Begriff korrigierten, erweisen sich im Nachhinein als diejenigen, denen wirklich an Frieden und Menschlichkeit gelegen war.

Ich möchte allen, die auf genauen Begriffen bestehen, den Mut zusprechen, immer weiter die Begriffsverbiegungen »derer da oben« anzugreifen!

Nennen Sie mich einen Zyniker, Pragmatiker oder Träumer, ich nenne mich einen optimistischen Pessimisten. Nein, wir können das durch Wortverdreherei erzeugte Leid nicht immer verhindern – siehe »Refugees Welcome« – aber wir können es verkürzen, vermindern. Wir können – ja, mit Worten und Argumenten! – dafür sorgen, dass das Falsche etwas weniger wird und etwas kürzer Bestand hat. – Es ist einfach: Weniger schlecht ist mehr gut!

Weiterschreiben, Wegner!

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